Nachtschicht mit den Bier-Zombies
Ein ehemaliger Münchner Taxifahrer verarbeitet seine Erfahrungen rund um das Oktoberfest in einem Comic. Düster und sehenswert
München Die Geschichte beginnt, wie sollte es anders sein, im Taxi. Vorn sitzt Fahrer Vincent, hinten zwei Geschäftsmänner. Sie versprechen ihm ein saftiges Trinkgeld, wenn er auf der Fahrt zum Flughafen ordentlich Gas gibt. Also rast Vincent durchs verregnete München – und wird prompt geblitzt. Macht einen Punkt und 125 Euro Strafe. Trotzdem kommen die Männer rechtzeitig zu ihrem Flug. Das Trinkgeld? Zwei Euro, zehn Cent.
Geschichten wie diese kann Frank Schmolke viele erzählen. Man kann ihn beim Comicfestival München, das an diesem Mittwoch um 19 Uhr in der Alten Kongresshalle auf der Theresienhöhe von Digital-Staatsministerin Judith Gerlach eröffnet wird, auch danach fragen. Schmolke signiert dort am Stand des Verlags Edition Moderne zwischen Donnerstag und Sonntag sein aktuelles Werk „Nachts im Paradies“. Darin erzählt der ehemalige Taxifahrer aus München von drei Nächten aus dem Leben eines Taxlers in der Landeshauptstadt – zur lukrativsten und schlimmsten Zeit für die Branche: dem Oktoberfest.
Da mutieren betrunkene Fahrgäste zu Zombies, brauchen Prostituierte einen Taxifahrer, der zugleich Personenschützer spielt, und da müssen junge Frauen vor ihre Wohnungstür gebracht werden, weil sie kaum mehr laufen können. Mit Vincent erleben Leser WiesnNächte aus einer völlig neuen Perspektive. Es geht um die Unterwelt, den Untergang des Fahrgastgewerbes – und einen Mann, dessen einziger Hoffnungsschimmer seine Tochter zu sein scheint. Figuren, die Vincents Weg im Comic kreuzen, hat Schmolke in Wirklichkeit getroffen. „Die meisten Fahrgäste sind freundlich, aber immer wieder ist auch ein Quotenarsch dabei“, sagt er. Und er muss es wissen.
Denn bevor der 51-Jährige Ende der 90er Jahre den Beruf wechselte und Illustrator wurde, chauffierte er über 20 Jahre lang Menschen durch die Großstadt. Seitdem sitzt er nur noch hin und wieder im Taxi, dann, wenn ihn die Auftragslage für sein Atelier dazu zwingt. „Das passiert ziemlich genau alle fünf Jahre“, hat Schmolke festgestellt. Jedes Mal, wenn es wieder so weit sei, sei das für ihn wie ein Neuanfang. „In fünf Jahren Abwesenheit verändert sich in der Stadt radikal alles. Bars verschwinden, neue machen auf. Zudem wird die Stadt immer größer. Viele Straßen kennt man gar nicht, wenn man wieder fährt.“
Zuletzt war Schmolke 2014 als Taxler unterwegs, und die Geschehnisse der Wiesn-Wochen damals waren ihm Inspiration für einiges, das in seiner Graphic Novel passiert. Der Zeichenstil ist düster gehalten, Schwarz dominiert. Wie in einem Noir-Krimi. Die Handlung spielt nachts, es regnet durchgehend und die meisten Figuren sind nur schemenhaft zu erkennen. „Als Taxifahrer in der Nachtschicht sieht man seine Fahrgäste nicht anders. Man schaut sie sich, wenn überhaupt, nur kurz an, und das in schlechtem Licht“, erklärt Schmolke. Dafür entstehe beim Fahrer durch Geruch, Stimme und Gespräche ein ganz eigenes Bild von den Menschen auf der Rückbank. „Während der Fahrt macht man sich ein Porträt im Kopf“, erzählt er. Und das zeichnete er dann in kurzen Pausen zwischen den Fahrten in einen Skizzenblock. Heute will Schmolke nicht noch einmal als Taxifahrer arbeiten müssen. „Die Menschen sind nachts anders als tagsüber. Für viele ist die Fahrt im Taxi, als säßen sie im Beichtstuhl. Man hört Dinge, von denen man nie was wissen wollte.“ⓘ
Frank Schmolke: Nachts im Paradies. Edition Moderne, 352 Seiten, 29,80 Euro. Die Graphic Novel wird am Donnerstag um 19 Uhr im Kösk, Schrenkstraße 8, in München vorgestellt. Dort sind bis zum 23. Juni auch Originale und Skizzenbücher ausgestellt. Das Comicfestival München – eine der größten Veranstaltungen der Szene – findet in der Alten Kongresshalle statt. Weitere Infos zu Programm, Öffnungszeiten und Signierterminen unter www.comicfestival-muenchen.de