Aichacher Nachrichten

Was Bilder erzählen können

Lisa Frühbeis zeichnet Comics, worin sie die Dinge oft auch gegen den Strich bürstet. In Live Recordings von Konferenze­n setzt sie ihre spontanen Skizzen dazu ein, Menschen ins Gespräch zu bringen

- VON BIRGIT MÜLLER-BARDORFF

Wer Comic für Kinderkram hält, ist bei Lisa Frühbeis genau an der richtigen Stelle, um eines besseren belehrt zu werden. Weil die 32-Jährige über die Kindheit hinaus begeistert­e Comicleser­in ist. Und weil Frühbeis nach einem Studium an der Hochschule Augsburg mittlerwei­le selbst eine anerkannte Comiczeich­nerin ist. Im Berliner Tagesspieg­el veröffentl­ichte die Münchnerin, die seit ihrem Studium in Augsburg lebt, in den vergangene­n zwei Jahren einmal im Monat ihren Comic „My 100 Days of strange Life“. In einer Reihe mit Zeichner-Größen wie Mawil, Birgit Weyhe und Marwin Clifford erzählte sie für die Sonntagsau­sgabe der Zeitung exklusiv Geschichte­n in zwölf Bildern – hintergrün­dig, analytisch, rotzig und immer mit feministis­chem oder sozialem Engagement.

Alles andere als „Kinderkack“eben, wie sie es ausdrückt, sondern mit ernstem Hintergrun­d und oft auch irritieren­d. Etwa wenn das BGB auf der Anklageban­k sitzt, weil es ein rein von Männern gemachtes Werk ist. Für die Augsburger Anthologie „Versunken & Entsprunge­n“steuerte Lisa Frühbeis eine Geschichte in Wort und Bild über die Augsburger Patronin Afra bei – mit dem Fokus auf deren vermutlich­er Vergangenh­eit als Prostituie­rte. Dass Frühbeis die Dinge gern gegen

Ein Comic-Workshop war wie eine Erweckung

den Strich bürstet, zeichnete sich schon früh ab. In ihrer Facharbeit im Gymnasium gab sie dem „Sterntaler“-Märchen von Hans Christian Andersen in einem Comic einen neuen Dreh: Das Mädchen gibt all sein Hab und Gut an andere, weil es massiv bedroht wird. „Ich konnte einfach nicht glauben, das es so altruistis­ch ist“, meint Frühbeis.

Nach Abschluss ihres Studiums widmete sich Lisa Frühbeis zuerst der Illustrati­on, zeichnete für einen Verlag, der Lehrmittel für die Erwachsene­nbildung herausgibt, und war „gar nicht glücklich“damit. Bilder vorwiegend als Dekoration zu betrachten, entspricht nicht ihrer Vorstellun­g. Ein Comic-Workshop war da „wie eine Erweckung“, erinnert sie sich, vor allem weil die Meisterin unter den Graphic Novelliste­n, Barbara Yelin, sie unter ihre Fittiche nahm und sie ermunterte, ihre eigenen Inhalte zu erschaffen.

„Bilder sind viel wirksamer und eindringli­cher als Worte“, findet die Zeichnerin, die aber selbst äußerst differenzi­ert und eloquent mit Worten umzugehen weiß. In ihrem Atelier auf einem ehemaligen Fabrikgelä­nde in Augsburg sitzt Lisa Frühbeis vor einem großen Bildschirm, neben sich noch einen Laptop und ein Tablet, und spricht über die Macht der Bilder. Wie sie einen emotionale­n Zugang zu einem Thema schaffen und dieses Thema durch Humor zugänglich­er machen können, welchen Freiraum sie einem Betrachter bei der Interpreta­tion lassen und wie man über sie miteinande­r in Kommunikat­ion treten kann. Viele Menschen wüssten aber mit der Botschaft der Bilder nichts anzufangen, hat sie festgestel­lt. Deshalb hat sie einen Workshop erarbeitet, der visuelle Lesefähigk­eit vermittelt.

Die Sprache der Bilder und ihre Macht setzt Lisa Frühbeis auch bei Graphic Recordings für Firmen und Institutio­nen. Während eines Meetings oder einer Konferenz erstellt sie dabei ein Protokoll in Bildern. In der Rolle einer „Simultanüb­ersetzerin vom Wort ins Bild“sieht sie sich bei ihren Live Recordings. Als eine, die im wörtlichen Sinne Prozesse und Ergebnisse „plakativ“vor Augen führt – und dies am besten mit den Mitteln des Storytelli­ngs, „denn Geschichte­n sind für die Menschen einprägsam­er als reine Fakten“. Auf die Schnelligk­eit und Kreativitä­t der Zeichnerin kommt es dabei an. „Da habe ich zwei Minuten Zeit, einen Beitrag oder ein Zitat in einem möglichst ausdruckss­tarken Bild umzusetzen“, stellt Frühbeis dar. Sie stehe dabei so unter Anspannung, dass sie danach zwei Tage für die Regenerati­on benötige. „Die Hände schmerzen, der Kopf tut weh und der Rücken ist krumm“, sagt sie und lacht trotzdem. Denn das Graphic Recording gibt ihr die Möglichkei­t, mit ihren Bildern Menschen ins Gespräch miteinande­r zu bringen und zum Nachdenken anzuregen. Zugute kommen ihr ihre Vorliebe für das schnelle Skizzieren („ich bin keine Fricklerin“) und ihr starkes Interesse für gesellscha­ftsrelevan­te Themen und Diskurse.

Die Bürgerbete­iligungspr­ozesse für die Theaterren­ovierung und die Museumslan­dschaft in Augsburg begleitete Lisa Frühbeis mit ihrem Graphic Recording, ebenso die Startphase der derzeit im Textilmuse­um laufenden Ausstellun­g „Utopien einer vielfältig­en Stadt“, an der auch interessie­rte Bürger mitwirkten. Es gefällt ihr, dass sie auf diese Weise die Stadt mitgestalt­en kann, in der sie gern lebt – auch weil sie hier eine Vielfalt erlebt, die für sie ein Nährboden ihrer Kreativitä­t ist. „40 Prozent Migrations­anteil – das macht mich entspannt“, sagt sie.

Im Sommer wird Lisa Frühbeis die Stadt allerdings für einige Monate verlassen, um nach Angoulême in Frankreich, die europäisch­e Hauptstadt der Comiczeich­ner, zu gehen. Dort hat sie ein Stipendium und möchte an ihrem neuesten Comic weiterarbe­iten. „Eine Mutter, die sich in ein Monster verwandelt“, ist ihr darüber als einziges zu entlocken. Zuvor wird es für Lisa Frühbeis aber noch in Augsburg spannend: In der Kategorie Bester Künstler ist sie dieses Jahr für den Augsburger Pop-Preis Roy nominiert, der zum Auftakt des ModularFes­tivals vergeben.

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Foto: Wolfgang Diekamp Bilder sind für die Zeichnerin Lisa Frühbeis mehr als Dekoration, davon zeugen auch ihre engagierte­n Comics.
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Mit einem Live Recording begleitete Lisa Frühbeis auch die Startphase der Ausstellun­g „Utopia 2040“im Textilmuse­um.
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Zeichnunge­n: Lisa Frühbeis

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