Damit Kinder auf dem Bauernhof sicher sind
In Schwaben verunglückt im Schnitt jedes Jahr ein Kind auf einem Bauernhof tödlich. Ein Sicherheitstag im Wittelsbacher Land soll helfen, Unfälle zu vermeiden. Was die Jüngsten lernen und welche Rolle Kameras spielen
Inchenhofen-Ingstetten Ein Kind nach dem anderen steigt in das Führerhaus des Schleppers. Die Mädchen und Buben schauen sich dessen Rückfahrkamera und WeitwinkelSpiegel an. Vor dem Traktor ist ein Parcours aufgebaut, aber nur für einen Spielzeug-Schlepper. Der hat auch eine Rückfahrkamera. Simon, zehn Jahre alt, dreht eine Runde. Er findet das „cool und schön“.
Es ist Montag Vormittag auf einem Bauernhof in Ingstetten in der Marktgemeinde Inchenhofen im Landkreis Aichach-Friedberg. Die Sonne scheint, die Kinder tragen kurze Hosen und nehmen an einem Kindersicherheitstag teil. Eine Station heißt „Rückfahrkamera und Toter Winkel“, die Buben und Mädchen lernen, wie gefährlich es sein kann, wenn ein Traktor auf dem Hof umher fährt und rangiert. Erste Hilfe, Güllegase und Gefahrenstoffe, Waldpädagogik, Brandschutz und Bewegung sind weitere Stationen.
Der Kreisverband AichachFriedberg des Bayerischen Bauernverbandes und die Berufsgenossenschaft für Landwirtschaft haben den Aktionstag organisiert und Kinder aus bäuerlichen Familien zwischen sechs und zehn Jahren eingeladen. 80 Buben und Mädchen sind gekommen. Ziel laut Bauernverband ist es, den Kindern Gefahren auf dem Bauernhof zu zeigen und ihnen zu demonstrieren, wie sie sich richtig verhalten.
Von den bisherigen drei Stationen, die Simon an diesem Ferientag absolviert hat, habe ihm das Fahren mit dem Mini-Traktor am meisten Spaß gemacht, sagt er. Zumal er über einige Hindernisse fahren muss und ein Bildschirm zeigt, was hinten passiert. Simon kennt die Technik schon, sein Vater ist Landwirt. Er ist gerne auf dem Hof unterwegs. Einer ihrer Traktoren ist mit einer solchen Kamera ausgerüstet. Einer, der weiß, wie wichtig die neue Technik ist, ist Michael Schenk. Er ist Sicherheitsberater bei der Berufsgenossenschaft für Landwirtschaft. „Wir wollen die Kinder für die Gefahren sensibilisieren“, sagt er. „Wenn sie die Dinge aufnehmen und zuhause erzählen, haben wir schon etwas erreicht.“Der 42-Jährige sagt, dass es durchschnittlich einen Unfall pro Jahr auf einem Bauernhof in Schwaben gebe, bei dem ein Kind tödlich verunglücke. Dabei seien zu über 90 Prozent Fahrzeuge beteiligt. „Die Kinder wollen zu Opa oder Papa und sind im toten Winkel des Traktors.“Deshalb seien Weitwinkel bei Schleppern seit vergangenem Jahr Pflicht. Bayernweit liege die Zahl der Todesfälle von Kindern bei vier bis fünf in einem Jahr. Heuer sei noch kein Kind gestorben, sagt Schenk und hofft, dass das so bleibt. So wie es 2017 der Fall war.
Aber auch Erwachsene seien von Unfällen betroffen. Täglich fielen laut der Statistik der Genossenschaft zwei Menschen auf bayerischen Höfen von einer Leiter. Deshalb trainieren die Kinder auf dem Bauernhof mit Mitarbeitern des Roten Kreuz, was sie tun können, wenn sie eine bewusstlose Person finden. Etwa ist Wolfgang Martin etwas zugestoßen, er liegt bei der Station „Trau dich – Erste Hilfe“mitten auf dem Bauernhof mit dem Rücken auf dem Boden.
Er kann sich nicht bewegen. Seine Augen sind zu, er droht, seine Zunge zu verschlucken. Martin braucht dringend Hilfe – auch wenn es nur eine Übung ist. Ein Dutzend Kinder mit orangen Warnwesten steht um
Es geht auch um Güllegase und Gefahrenstoffe
Jeden Tag fallen auf Höfen zwei Leute von einer Leiter
ihn herum und schaut gebannt zu, wie Gesa Obeser vom Roten Kreuz Erste Hilfe leistet. Sie fragt die Kinder, was sie machen soll. „Seitenlage“, sagt eines. „Richtig“, sagt Obeser. „Du machst einen Berg mit den Beinen und eine Kurve mit den Armen. Dann ziehst du den Wolfgang zu dir rüber.“
„Wir müssen ihn zudecken“, sagt Obeser zu den Kindern. Sie nimmt eine Decke und legt sie über den Patienten. „Wenn ihr jemandem helft, müsst ihr ihn auch trösten.“Ihm sagen, dass der Krankenwagen gleich komme. Den sollen die Kinder in der Zwischenzeit schon gerufen haben. „Welche Nummer wählt ihr?“, fragt Obeser. „112“schallt es zurück. Die W-Fragen zu beantworten, sei dabei das Credo. Als Wolfgang wieder aufsteht, sagt er, wie gut es getan habe, dass die Kinder ihn zugedeckt haben. Fabian wiederholt dabei dessen scherzhaften Wunsch von zuvor: „Wolfgang wollte aber eine Leberkässemmel anstatt einer Decke.“