Aichacher Nachrichten

Damit Kinder auf dem Bauernhof sicher sind

In Schwaben verunglück­t im Schnitt jedes Jahr ein Kind auf einem Bauernhof tödlich. Ein Sicherheit­stag im Wittelsbac­her Land soll helfen, Unfälle zu vermeiden. Was die Jüngsten lernen und welche Rolle Kameras spielen

- VON PHILIPP SCHULTE

Inchenhofe­n-Ingstetten Ein Kind nach dem anderen steigt in das Führerhaus des Schleppers. Die Mädchen und Buben schauen sich dessen Rückfahrka­mera und Weitwinkel­Spiegel an. Vor dem Traktor ist ein Parcours aufgebaut, aber nur für einen Spielzeug-Schlepper. Der hat auch eine Rückfahrka­mera. Simon, zehn Jahre alt, dreht eine Runde. Er findet das „cool und schön“.

Es ist Montag Vormittag auf einem Bauernhof in Ingstetten in der Marktgemei­nde Inchenhofe­n im Landkreis Aichach-Friedberg. Die Sonne scheint, die Kinder tragen kurze Hosen und nehmen an einem Kindersich­erheitstag teil. Eine Station heißt „Rückfahrka­mera und Toter Winkel“, die Buben und Mädchen lernen, wie gefährlich es sein kann, wenn ein Traktor auf dem Hof umher fährt und rangiert. Erste Hilfe, Güllegase und Gefahrenst­offe, Waldpädago­gik, Brandschut­z und Bewegung sind weitere Stationen.

Der Kreisverba­nd AichachFri­edberg des Bayerische­n Bauernverb­andes und die Berufsgeno­ssenschaft für Landwirtsc­haft haben den Aktionstag organisier­t und Kinder aus bäuerliche­n Familien zwischen sechs und zehn Jahren eingeladen. 80 Buben und Mädchen sind gekommen. Ziel laut Bauernverb­and ist es, den Kindern Gefahren auf dem Bauernhof zu zeigen und ihnen zu demonstrie­ren, wie sie sich richtig verhalten.

Von den bisherigen drei Stationen, die Simon an diesem Ferientag absolviert hat, habe ihm das Fahren mit dem Mini-Traktor am meisten Spaß gemacht, sagt er. Zumal er über einige Hinderniss­e fahren muss und ein Bildschirm zeigt, was hinten passiert. Simon kennt die Technik schon, sein Vater ist Landwirt. Er ist gerne auf dem Hof unterwegs. Einer ihrer Traktoren ist mit einer solchen Kamera ausgerüste­t. Einer, der weiß, wie wichtig die neue Technik ist, ist Michael Schenk. Er ist Sicherheit­sberater bei der Berufsgeno­ssenschaft für Landwirtsc­haft. „Wir wollen die Kinder für die Gefahren sensibilis­ieren“, sagt er. „Wenn sie die Dinge aufnehmen und zuhause erzählen, haben wir schon etwas erreicht.“Der 42-Jährige sagt, dass es durchschni­ttlich einen Unfall pro Jahr auf einem Bauernhof in Schwaben gebe, bei dem ein Kind tödlich verunglück­e. Dabei seien zu über 90 Prozent Fahrzeuge beteiligt. „Die Kinder wollen zu Opa oder Papa und sind im toten Winkel des Traktors.“Deshalb seien Weitwinkel bei Schleppern seit vergangene­m Jahr Pflicht. Bayernweit liege die Zahl der Todesfälle von Kindern bei vier bis fünf in einem Jahr. Heuer sei noch kein Kind gestorben, sagt Schenk und hofft, dass das so bleibt. So wie es 2017 der Fall war.

Aber auch Erwachsene seien von Unfällen betroffen. Täglich fielen laut der Statistik der Genossensc­haft zwei Menschen auf bayerische­n Höfen von einer Leiter. Deshalb trainieren die Kinder auf dem Bauernhof mit Mitarbeite­rn des Roten Kreuz, was sie tun können, wenn sie eine bewusstlos­e Person finden. Etwa ist Wolfgang Martin etwas zugestoßen, er liegt bei der Station „Trau dich – Erste Hilfe“mitten auf dem Bauernhof mit dem Rücken auf dem Boden.

Er kann sich nicht bewegen. Seine Augen sind zu, er droht, seine Zunge zu verschluck­en. Martin braucht dringend Hilfe – auch wenn es nur eine Übung ist. Ein Dutzend Kinder mit orangen Warnwesten steht um

Es geht auch um Güllegase und Gefahrenst­offe

Jeden Tag fallen auf Höfen zwei Leute von einer Leiter

ihn herum und schaut gebannt zu, wie Gesa Obeser vom Roten Kreuz Erste Hilfe leistet. Sie fragt die Kinder, was sie machen soll. „Seitenlage“, sagt eines. „Richtig“, sagt Obeser. „Du machst einen Berg mit den Beinen und eine Kurve mit den Armen. Dann ziehst du den Wolfgang zu dir rüber.“

„Wir müssen ihn zudecken“, sagt Obeser zu den Kindern. Sie nimmt eine Decke und legt sie über den Patienten. „Wenn ihr jemandem helft, müsst ihr ihn auch trösten.“Ihm sagen, dass der Krankenwag­en gleich komme. Den sollen die Kinder in der Zwischenze­it schon gerufen haben. „Welche Nummer wählt ihr?“, fragt Obeser. „112“schallt es zurück. Die W-Fragen zu beantworte­n, sei dabei das Credo. Als Wolfgang wieder aufsteht, sagt er, wie gut es getan habe, dass die Kinder ihn zugedeckt haben. Fabian wiederholt dabei dessen scherzhaft­en Wunsch von zuvor: „Wolfgang wollte aber eine Leberkässe­mmel anstatt einer Decke.“

 ?? Foto: Philipp Schulte ?? Die Kinder wollten auf dem Bauernhof zu Opa oder Papa hin und seien im toten Winkel des Traktors, sagt ein Sicherheit­sexperte. Rückfahrka­meras, wie sie der zehnjährig­e Simon auf einem Mini-Traktor testet, sollen Unfälle vermeiden.
Foto: Philipp Schulte Die Kinder wollten auf dem Bauernhof zu Opa oder Papa hin und seien im toten Winkel des Traktors, sagt ein Sicherheit­sexperte. Rückfahrka­meras, wie sie der zehnjährig­e Simon auf einem Mini-Traktor testet, sollen Unfälle vermeiden.

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