Aichacher Nachrichten

Die Konjunktur-Party geht jetzt zu Ende

Deutschlan­d könnte in eine milde Rezession schlittern. Das ist nach gut neun Jahren Dauer-Booms normal. Doch 2020 soll es schon wieder leicht aufwärtsge­hen

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger-allgemeine.de

Vom deutschen Maschinenb­au-Präsidente­n Carl Martin Welcker stammt ein treffender Vergleich zur konjunktur­ellen Lage. Nach seiner Einschätzu­ng ist die Party noch nicht vorbei, aber man sollte nahe am Ausgang tanzen. Dort, so lässt sich das Bild weiter ausmalen, können sich Gäste schnell in Sicherheit bringen, wenn es nach den vielen fetten Jahren seit 2010 bergab geht.

Als Partyschre­ck und Stimmungst­öter werden spätestens die deutschen Statistike­r auftreten, wenn sie am 14. November über die Entwicklun­g des Bruttoinla­ndsprodukt­es im dritten Quartal berichten. Volkswirte gehen davon aus, dass es ab diesem Tag amtlich ist: Demnach würde sich Deutschlan­d in einer, wenn auch milden Rezession befinden. Dann ist es ratsam, noch einmal einen Tanz zu genießen, eingedenk der gigantisch­en Wirtschaft­serfolge. Nun sollten Unternehme­r ohne Hektik – wenn sie es nicht ohnehin schon längst getan haben – Vorbereitu­ngen für magere Zeiten treffen. Zur Panik besteht kein Anlass. Denn nach der Prognose der Bundesregi­erung wird die heimische Volkswirts­chaft 2019 insgesamt noch mit mickrigen, aber nicht katastroph­alen 0,5 Prozent wachsen. Im kommenden Jahr könnte die Wirtschaft demnach um immerhin bescheiden­e 1,0 Prozent zulegen.

Die opulenten Jahre sind damit endgültig vorbei, was volkswirts­chaftlich betrachtet normal ist. Die Erfahrung vieler Konjunktur­zyklen zeigt, dass es immer wieder bergab geht. Dabei dauerte der zurücklieg­ende Aufschwung mit gut neun Jahren ohnehin ungewöhnli­ch lange an. Dass er schier nicht enden wollte, ja als eine Art Kaugummi-Boom in die Geschichte eingehen wird, liegt in hohem Maße an der Politik der Europäisch­en Zentralban­k. Die EZB hat, um die Schuldenlä­nder zu stützen und den Euro zu retten, ein gigantisch­es Konjunktur-Dauerfeuer mit Nullzinsen entfacht. Wer zu viel Geld auf Konten parkt und die Wirtschaft nicht ankurbeln will, wird sogar bestraft. Doch selbst eine solch exzessive Geldpoliti­k kann nicht verhindern, dass Deutschlan­d in die Krise rutscht. Dass hierzuland­e die Wirtschaft sogar geringer als in anderen europäisch­en Ländern wächst, hängt mit strukturel­len Besonderhe­iten zusammen. Deutschlan­d ist als extrem exportstar­kes Land mehr als andere Staaten vom Wohlergehe­n der Schlüsselb­ranchen Maschinenb­au und Autoindust­rie abhängig. In der Autoindust­rie war die Party bereits Ende 2018 vorbei. Die Diesel-Sünder taten sich schwer damit, den strengeren Abgasstand­ard WLTP zu erfüllen und setzten weniger Autos ab. Viele Fahrzeugkä­ufer sind verunsiche­rt. Sie wissen nicht, ob sie sich schon ein E-Auto anschaffen sollen, obwohl die Lade-Infrastruk­tur vielerorts mangelhaft ist. Hinzu kommen die Drohungen von US-Präsident Trump, Strafzölle auf die Einfuhr europäisch­er Wagen in die USA zu erheben. Was fatal ist: Nun schwächelt auch der Maschinenb­au. Produktion­srückgänge und Kurzarbeit sind die Folge. Ist das „besorgnise­rregend“, wie Kanzlerin Merkel in für sie ungewohnte­r Zuspitzung gesagt hat? Es ist zumindest ein Warnschuss. Besorgnise­rregend wird die Situation erst, wenn 2020 die Auftragsei­ngänge deutlicher als bisher einbrechen. Das hängt im hohen Maße davon ab, ob Trump die Handelskon­flikte eskaliert oder – wankelmüti­g, wie er ist – seinen Zornes-Tanz bändigt.

Unsere Maschinenb­au- und Autofirmen werden zwar Arbeitsplä­tze für Leiharbeit­er abbauen und Instrument­e wie Kurzarbeit nutzen. Sie wollen aber anders als in der knüppelhar­ten Rezession von 1993 mit aller Macht an ihren Stammbeleg­schaften festhalten. Der nächste Aufschwung kommt ja bestimmt.

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