Anleitung zum Romanschreiben
Die Frankfurter Buchmesse hat wie immer ihre Stars, in diesem Jahr zum Beispiel einen ziemlich veränderten Karl Ove Knausgård. Sie zeigt wie immer unfassbar viele fertige Bücher. Da sitzen aber auch zwei Frauen, die fangen gerade erst mit Kapitel eins an
Frankfurt am Main Bevor ein Roman ein Roman wird, ist er ein Plot. Der Plot ist so etwas wie das Gerippe eines Romans. Gibt es keine Handlung, nicht irgendetwas Knochiges, würde ein Roman wie Sprachbrei zerfließen. Der Plot in diesem Fall sieht derzeit so aus: Da gibt es zwei Schwestern in ihren Dreißigern, die eine erfolgreich, die andere nicht so sehr, aber die ist dafür die coolere. Ina will eigentlich gerade zur Weltreise aufbrechen, da steht plötzlich die Vorzeigeschwester Anja vor der Tür, verzweifelt, verheult: Ihr Verlobter hat sie verlassen, ihren Job bei der Bank hat sie verloren, weil sie angeblich Geld veruntreut hat... Was passiert nun?
Ganz genau wird man’s erst am Ende dieser Frankfurter Buchmesse wissen, also am Sonntag, denn bis dahin sind die beiden Autorinnen Stefanie Seiler-Runge und Natascha Birovljev noch am Schreiben. Und zwar öffentlich, Halle 3.0, Stand K 12. Man kann sich einfach an den Stand stellen und zuschauen. Wie zum Beispiel Stefanie Seiler-Runge gerade vor dem kleinen Laptop sitzt. Und dass sie da nicht Mails checkt oder sonst irgendwie Zeit verdaddelt, sieht man daran, dass auf dem großen Bildschirm für alle sichtbar Zeile für Zeile erscheint. Im Übrigen mit erstaunlich wenigen Tippfehlern.
Der Plan ist folgender: Jeweils zwei Stunden schreibt die eine, dann zwei Stunden die andere. Jede muss mindestens zwanzig Seiten hinbekommen oder ein paar mehr. Am Ende sollen es etwa 250 Seiten sein, die letzte Szene hat Natascha Birovljev schon im Kopf. Die gehört nämlich ihr. Nur so viel: Mit der Weltreise wird es etwas...
Auch so also kann man es machen. Man reist zur Frankfurter Buchmesse mit nichts als einem Plot an und schreibt dann den ganzen Roman einfach mal hier, in fünf Tagen, inmitten des ganzen Trubels, und macht damit auch noch Werbung für eine Online-Schreibakademie, gibt sozusagen eine DemoVersion des Schriftstellerdaseins. aber natürlich kaum einer. Noch immer ist es bei der Buchmesse so, auch wenn sich von Jahr zu Jahr ständig etwas ändert, inklusive des Standorts der beliebtesten Currywurst-Bude, dass die meisten Aussteller und ihre Schriftsteller mit den fertigen Büchern kommen. Im Plot für die Buchmesse ist das Schreiben von Romanen eigentlich nicht vorgesehen. Nur das Reden und das Verhandeln darüber.
Was gibt es also Neues zu erzählen – von der Buchmesse, aus der Literaturwelt, vom ganzen Land? Vielleicht erst einmal Nebensächliches. Sasa Stanisic, den Gewinner des Deutschen Buchpreises, kann man wieder gerührt in den Arm nehmen, ohne Ansteckung zu befürchten. „Ich bin wieder gesund, ich kann wieder richtig denken“, sagt Stanisic zu Beginn seiner Ochsentour durch die Messe. Rauf aufs Sofa, runter vom Sofa, rauf aufs nächste Sofa – oder den nächsten Stuhl, um zu reden, zu lesen, sich zu erklären. Und das alles ohne Ibuprofen! Der Plot seines Romans auf wenige Worte verkürzt: Wie ich mit 14 Jahren aus Jugoslawien vor dem Krieg fliehen musste, der Zufall mich nach Heidelberg brachte, und wie ich dann zum Schriftsteller wurde – und zum HSV-Fan.
„Herkunft“heißt dieser großartige Roman, der eigentlich den Preis als Aufmerksamkeitsverstärker gar nicht mehr nötig hätte, weil er ohnehin schon in den Bestsellerlisten steht. Handke heißt der Mann, nach dem Stanisic nun ständig gefragt wird, weil er sich in seiner Dankesrede so erschüttert über die Vergabe des Nobelpreises an den Österreicher gezeigt hat. „Ich bin froh, dass so nun ein Gespräch über die politische Wirkkraft von literarischen Texten stattfindet“, sagt Stanisic ernst, derweil Peter Handke in Österreich, gefragt nach Stanisic, erklärt, er wolle nie wieder mit Journalisten reden. Stanisic, Handke, Stanisic – im Plot der diesjährigen Buchmesse ist dies einer der unvorhergesehenen Handlungsstränge. Aber einer der tragenden...
Acht Punkte sieht im Übrigen der Romanfahrplan vor, der bei den beiden Autorinnen in Halle drei vorgestellt wird. Von Punkt eins, Romanidee, bis zu Punkt acht, Exposé. Figurenentwicklung und Heldenreise sind Punkt zwei und drei. Würde man die diesjährige Buchmesse in einen Roman packen, dann sähe einer der Helden aus wie Sasa Stanisic, Karohemd, Pullunder, Dreitagebart und eine Haarsträhne, die er sich immer wieder aus dem Gesicht streicht. Der andere Held sähe aus wie ein frisch geföhnter, grau-, fast weißhaariger Herr, der eine entfernte Ähnlichkeit mit dem wildmähnigen norwegischen Schriftsteller-Star Karl Ove Knausgård aufweist. Es aber tatsächlich ist. Also Knausgård. Nur eben mit ganz anderer Frisur, was immer wieder zu Irritationen führt. „Ist er das wirklich da vorne?“, wispert eine Zuhörerin, als der Buchmessen-Direktor Juergen Boos persönlich Knausgård auf der Bühne im Pavillon des Gastlandes befragt. Und die Frau neben ihr zuckt die Schultern: „Hmm, aber steht ja da.“
Boos möchte von Knausgård, der auf die Messe mit seinem neuen Buch über den Maler Edvard Munch gekommen ist, erst einmal wissen, wann der zuletzt einen Roman mit mehr als 600 Seiten gelesen habe. Knausgård ist sich nicht sicher: Ob „Krieg und Frieden“denn mehr als 600 Seiten habe? Boos ist sich sicher. Dann also Leo Tolstoi, gelesen vor einem Jahr, einer seiner absoluten Lieblingsromane, erzählt Knausgård. Unglaublich gutes Buch, bei jedem Mal Lesen veränderte sich der Roman beziehungsMacht weise das, was er darin entdeckt. Offenbar wird der Roman auch jedes Mal ein bisschen dünner...
Was Knausgård dann selbst über das Schreiben erzählt, müsste im Romanfahrplan vielleicht noch eingefügt werden als Punkt fünf oder sechs: Nachdenken und verzweifeln! Vier Jahre lang habe er versucht, über den Tod seines Vaters zu schreiben, ohne irgendetwas fertig zu bringen. „Das war mein Fulltime-Job für vier Jahre. Können Sie sich das vorstellen, Sie gehen vier Jahre lang zur Arbeit und versagen jeden Tag?“Später erst habe er erkannt, dass diese vier Jahre wohl nötig waren, weil sich etwas ansammeln musste. Nun wisse er: „Einen Roman zu schreiben ist einfach. Das Schwierige ist, dahin zu kommen, wo es einfach ist.“
Seine sechs autobiografischen Bände jedenfalls schrieb Knausgård dann wie ein Getriebener, zwanzig Seiten am Tag. Als er den Romanzyklus beendete, wollte er auch das Schreiben ad acta legen. Zwei Monate genoss er den Zustand, kein Schriftsteller mehr zu sein. Dann fing er wieder an. Ähnlich erging es ihm mit dem Rauchen. Knausgård ist in Norwegen übrigens der Verleger von Peter Handke, das nur am Rande, weil es ja auch interessant ist, wie die Handlungsstränge auf dieser Buchmesse immer wieder erstaunlich schön zusammenführen.
Welche Geschichte aber würde diese Buchmesse gerne von sich selbst erzählen? Obwohl der grobe Plot ja immer der gleiche ist, versucht die Messe jedes Jahr, sich zumindest eine andere Art Titel zu geben. Und den einen oder anderen neuen Handlungsstrang miteinzubauen. „Create your revolution“heißt nun eine neue Kampagne mit Heldinnen wie zum Beispiel der Umweltaktivistin Luisa Neubauer, bekannt auch als deutsche Greta. Es geht um revolutionäre Ideen, wie man die Welt zum Positiven verändern kann, aber natürlich auch darum, wie wichtig die Kultur als Problemlöser ist. Und wie wichtig damit auch die Buchmesse, die sich tatsächlich ja noch immer fast wunderbar altmodisch anmutend „Buchmesse“nennt.
Auch zur Mahnwache wird aufgerufen – mit aufgeklappten Regenschirmen, dem Symbol der Hongkonger Freiheitsbewegung, demonstrieren am Donnerstag Messebesucher für die Freilassung von Gui Minhai. Seit vier Jahren ist der Autor, Verleger und Buchhändler in China in Haft. Dass die Agora dann doch nicht so voll ist, wie man vielleicht erwarten hätte können – vielleicht hätte es regnen müssen. Empfohlen worden war im Übrigen, doch am besten Knirpse mitzubringen – wegen möglicher Sicherheitskontrollen. Frankfurt und Hongkong, das ist nicht nur kilometermäßig einfach ziemlich weit voneinander entfernt.
Wobei man sich ohnehin wundern kann, was die Kontrolle anstandslos alles passiert. Ganz offenbar auch dieser Papp-Wal, der blinkt, von Petra Spillmann und ihrer Assistentin über die Messe geschleppt wird und mit dem die Autorin auf ihr Kinderbuch und ihren Leadership-Ratgeber aufmerksam machen will. Der Plot, auch nur in Kürze: Wenn ein Wal strandet, kann ein einzelner Sandwurm nichts ausrichten. Aber wenn alle Sandwürmer zusammenhelfen, bringen sie ihn wieder zurück ins Wasser. Das Sandwurmprinzip also. Was denn für Petra Spillmann der Wal, also das drängende Thema auf der Buchmesse ist? „Dass man auch den Kleinen eine Chance gibt...“
Apropos Nebensächlichkeiten: Die Ringe von Harald Glööckler sind der Wahnsinn. „Ich will nur die Ringe fotografieren, nur die Ringe“, sagt eine Besucherin und schiebt sich sacht nach vorne, wo der Modedesigner sich in vollem Ornat präsentiert: rote Samtjacke mit glitzernden Litzen und auch die Finger schwer von Gold. Wenn jemand nicht so wirken will, als wäre er ein Schriftsteller, weder wie der frühere noch der jetzige Knausgård, dann jedenfalls Glööckler. Obwohl auch er mit einem Buch gekommen ist.
Und, auch das muss man sagen, er reiht sich damit ganz wunderbar in diese Messe ein, in der in diesem Jahr überall über Klima, Nachhaltigkeit und Achtsamkeit gesprochen wird. Darum geht es jedenfalls auch in „Vor zwölf“. Glööckler erklärt sein Anliegen am Beispiel der Steingärten. Die Leute sollten das doch lieber sein lassen, auf seinem Anwesen habe er zum Beispiel 200 Bäume und Büsche gepflanzt. Aber klar, so einen Garten zu pflegen, „das ist eben anstrengend“. Wobei man sich schon mal fragen kann, ob Harald Glööckler mit diesen neonorangenen Fingernägeln jemals schon in einem Blumenbeet gewühlt hat. Aber seit sechs Monaten isst er kein Fleisch mehr, trinkt keine Milch... Auch das im weitesten Sinne Figurenentwicklung.
Nun aber zurück zu Stand K 12 in Halle drei. Wie läuft es denn so mit dem Roman? „Wir humpeln ein bisschen hinterher“, sagt Natascha Birovljev. Gerade schreibt wieder Stefanie Seiler-Runge. Auf dem Bildschirm erscheint der Satz „Die alte Dame öffnet die Türe weit...“Jetzt, also am späten Nachmittag des zweiten Messetages, sei man gerade bei Seite 54. Eigentlich sollten es schon 80 sein. Aber gut, ist halt doch viel Trubel. Und wie das mit Fahrplänen so ist, man kennt das ja von der Deutschen Bahn. Unter den Messebesuchern jedenfalls gibt es schon ein paar Leser, die immer mal wieder schauen, wie weit man den Plot schon vorangetrieben hat. Der Arbeitstitel lautet übrigens „Schwesternherzen“. Und wie sieht es aus mit einem Verlag? Da habe sich noch keiner gefunden. Aber wer weiß. Die Messe geht noch bis Sonntag. Happy End wäre schön.
Rauf aufs Sofa, runter vom Sofa, rauf …
Modedesigner Glööckler hat auch was geschrieben