Aichacher Nachrichten

Gleiches Recht für Lucke

Der frühere AfD-Chef wird von Studenten niedergebr­üllt. Wann haben wir eigentlich verlernt, andere Meinungen auszuhalte­n?

- VON MICHAEL STIFTER msti@augsburger-allgemeine.de

Bernd Lucke ist ein Mann, über den sich streiten lässt. Der Wirtschaft­sprofessor hat eine Partei gegründet, die (auch) zum Sammelbeck­en für Europa-Hasser, Rechtsextr­emisten und Antisemite­n wurde. Eine Partei, die den Ton in der politische­n Debatte vergiftet hat. Er hat zu spät gesehen oder sehen wollen, dass er damit geholfen hat, „ein Monster zu schaffen“, wie Hans-Olaf Henkel, ein Mitstreite­r der ersten Stunde, später sagte. Über all das ließe sich mit ihm streiten. Doch das wollten die Studenten ja gar nicht, die Luckes Rückkehr an die Hamburger Universitä­t nun ins Chaos stürzten.

Der 57-Jährige wird niedergebr­üllt und körperlich bedrängt, er wird mit Papierkuge­ln beworfen und verlässt am Ende, ohne ein einziges Wort in Ruhe gesagt zu haben, den Hörsaal an der Seite von Polizisten. „Nazi-Schweine raus aus der Uni“, skandieren ein paar hundert junge Leute, als Lucke sich ans Rednerpult stellt, um über Makroökono­mie zu sprechen. Sie begeben sich damit auf jenes armselige Niveau, das sie Luckes einstiger Partei vorwerfen. Ja, der Professor behandelt politische Gegner bisweilen in einer schwer erträglich­en, besserwiss­erischen Art. Er ist ein stockkonse­rvativer, marktradik­aler Euro-Gegner und ein Populist. Das alles ist aber nicht verboten. Mit dem Aufstieg des rechten Flügels in der AfD begann der Abstieg des Parteigrün­ders. Die Geister, die er rief, hörten ihm am Ende nicht mehr zu und jagten ihn davon. Übrigens, nur zur Erinnerung an die AfD-Leute, die sich nun scheinheil­ig mit ihrem früheren Chef solidarisi­eren: Als Lucke zum letzten Mal auf einem Parteitag der Alternativ­e für Deutschlan­d sprach, wurde er von den eigenen Leuten ausgebuht und niedergepf­iffen. Er verließ die Partei, als sie immer weiter nach rechts kippte. Das befreit ihn nicht von einer Mitverantw­ortung für deren Radikalisi­erung. Ein Nazi ist er trotzdem nicht.

Nüchtern betrachtet haben die Hamburger Studenten, angestache­lt von der linksradik­alen Antifa, mit ihrem Gegröle einem Mann, dessen Ansichten sie nicht teilen, das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung genommen. Nur wo soll denn ein offener, gesellscha­ftlicher Diskurs, wo soll das Ringen um die besten Argumente stattfinde­n, wenn nicht an unseren Universitä­ten? Der Eklat um Lucke bestärkt all jene populistis­chen Krakeeler, die behaupten, in Deutschlan­d dürfe man ja gar nicht mehr seine Meinung sagen und werde immer sofort in die rechte Ecke gestellt. Welch ein Desaster.

Die AfD arbeitet konsequent daran, das Sagbare immer weiter nach rechts zu verschiebe­n. Und es ist die Verantwort­ung eines jeden Einzelnen, der sich in der Mitte der Gesellscha­ft verortet, dagegenzuh­alten. Doch der Kampf gegen Radikale rechtferti­gt eben nicht alle Mittel. Lucke braucht kein Mitleid. Das Sprechverb­ot gegen ihn dürfen wir trotzdem genauso wenig schulterzu­ckend hinnehmen wie die Entgleisun­gen von Rechtsauße­n. Dass der Hamburger Uni-Präsident und die Wissenscha­ftssenator­in den Aufruhr im Hörsaal zunächst als „diskursive Auseinande­rsetzung“bezeichnet­en, die man aushalten müsse, ist deshalb ein fatales Signal. Denn was soll das bitte für eine Auseinande­rsetzung sein, wenn eine Seite die andere daran hindert, zu sprechen? Wenigstens in einem zweiten Statement stellte die Wissenscha­ftsbehörde klar, es gehe nicht, „dass die Lehrverans­taltungen von Herrn Lucke niedergebr­üllt werden“.

Wann haben wir eigentlich verlernt, andere Meinungen zu ertragen? Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die politische Auseinande­rsetzung immer weiter radikalisi­ert. Wohin das führt, lässt sich in den USA beobachten, wo der Präsident sich von einem Wutanfall zum nächsten twittert. Wo Spaltung längst zum alltäglich­en politische­n Instrument geworden ist.

Demokratie bedeutet gleiches Recht für alle – und nicht nur für die, deren Ansichten uns in den Kram passen. Es geht nicht darum, zuzustimme­n. Es geht darum, zuzuhören. Und danach lässt sich immer noch streiten. Auch mit Lucke.

Die politische Debatte wird radikaler – auf allen Seiten

 ?? Foto: Markus Scholz, dpa ?? Bernd Lucke war fünf Jahre im Europaparl­ament. Seine erste Vorlesung nach der Rückkehr an die Hamburger Universitä­t endete im Chaos.
Foto: Markus Scholz, dpa Bernd Lucke war fünf Jahre im Europaparl­ament. Seine erste Vorlesung nach der Rückkehr an die Hamburger Universitä­t endete im Chaos.

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