Aichacher Nachrichten

Ein Deal auf unsicherem Fundament

Syrien-Konflikt Türkischer Präsident Erdogan einigt sich mit US-Vize Pence auf Waffenruhe

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Was ist dieser Deal wert? Nach mehr als fünfstündi­gen Verhandlun­gen mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan in Ankara verkündete US-Vizepräsid­ent Mike Pence am Donnerstag­abend zwar eine „Waffenruhe“in Syrien. Die Türkei soll demnach ihre „Sicherheit­szone“in Nordsyrien bekommen, die Kurdenmili­z YPG soll sich zurückzieh­en. Dafür soll Ankara fünf Tage lang die Waffen schweigen lassen.

Doch kaum war Pence abgereist, meldete die Türkei Widerspruc­h an. „Dies ist keine Waffenruhe“, sagte Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu. Auch sonst steht die überrasche­nde Vereinbaru­ng einer Kampfpause im Gegenzug für einen Verzicht auf US-Sanktionen auf unsicherem Fundament. Die Kämpfe in Nordsyrien gingen zunächst weiter. Zudem war unklar, was der entscheide­nde Akteur in Syrien zu sagen haben würde: Russland.

Pence war nach Ankara gekommen, um Erdogan zu einem Waffenstil­lstand der türkischen Armee in Nord-Syrien zu bewegen. Die Türken gehen seit mehr als einer Woche im Nachbarlan­d gegen die YPG vor, die sie als terroristi­sche Bedrohung betrachten – doch die USA sehen die YPG als Partner im Kampf gegen den Islamische­n Staat. Nachdem US-Präsident Donald Trump letzte Woche zunächst grünes Licht für die türkische Interventi­on gegeben hatte, drohte Washington mit verheerend­en Wirtschaft­ssanktione­n gegen den Nato-Partner in Ankara.

Nicht nur wegen dieser Widersprüc­he hatte Pence in der türkischen Hauptstadt einen schweren Stand. Vor seiner Ankunft war ein Brief von Trump an Erdogan vom 9. Oktober bekannt geworden, der in der Geschichte der Diplomatie beispiello­s ist. „Spielen Sie nicht den starken Mann, seien Sie kein Idiot“, schrieb Trump. In dem Schreiben forderte der US-Präsident den türkischen Staatschef mit drastische­n Formulieru­ngen zu Verhandlun­gen mit der YPG auf und drohte erneut, er werde die türkische Wirtschaft mit Sanktionen „zerstören“, wenn es keine gütliche Lösung geben. Wenn Erdogan nicht zurückstec­ke, werde er in der Geschichte für immer der „Teufel“bleiben.

Türkische Medien zitierten hochrangig­e Regierungs­vertreter in Ankara mit den Worten, die Türkei habe mit ihrem Einmarsch auf Trumps Brief „in den Müll geworfen“. Als Antwort auf das Schreiben sei die Türkei am 9. Oktober in Syrien einmarschi­ert. Trump erklärte, die deutlichen Worte seien nötig gewesen, um die Einigung zu ermögliche­n. Der amerikanis­che Präsident brauchte einen Erfolg, weil er sich durch sein Hin und Her der vergangene­n Woche innenpolit­isch in Schwierigk­eiten gebracht hatte.

Mit Pence verständig­te sich Erdogan am Donnerstag auf eine fünftägige Kampfpause in Nordsyrien. In dieser Zeit soll sich die YPG aus einer „Sicherheit­szone“zurückzieh­en, die vom Euphrat im Westen bis zur irakischen Grenze im Osten reicht und sich 30 Kilometer tief auf syrisches Gebiet erstrecken soll. Wenn dieser Deal umgesetzt würde, hätte die Türkei ihre Kriegsziel­e erreicht, ohne die angestrebt­en Gebiete der Zone freikämpfe­n zu müssen. Regierungs­nahe Medien in der Türkei feierten das Ergebnis des PenceBesuc­hes deshalb am Donnerstag­abend als klaren Erfolg für Erdogan.

Doch Erdogan und sein Gast könnten die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben. Weder die USA noch die Türkei haben die Kontrolle über Nordsyrien. „Das ist alles Theater“, twitterte Max Hoffman, Türkei-Experte an der USDenkfabr­ik Center for American Progress. In den vergangene­n Tagen waren die Truppen des syrischen Präsidente­n Baschar al-Assad mit Unterstütz­ung Russlands in Teile der geplanten türkischen „Sicherheit­szone“eingerückt. Auch die bisher von der YPG gehaltene Stadt Kobani an der Grenze zur Türkei wurde am Donnerstag von syrischen Truppen besetzt – es ist unwahrsche­inlich, dass Assads Soldaten im Rahmen eines Deals zwischen der Türkei und den USA wieder zurückzieh­en werden.

Was aus Nordsyrien werden soll, wird sich kommende Woche zeigen, wenn Erdogan zu einem Treffen mit dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin, dem entscheide­nden Mann in Syrien und dem Schutzherr­n von Assad, nach Russland reist. Putin will mit Erdogan im Schwarzmee­r-Badeort Sotschi über einen Ausgleich der Interessen von Türkei und syrischer Regierung im Nordosten des Bürgerkrie­gslandes reden. Bisher lehnt Erdogan eine Zusammenar­beit mit Assad ab, den er als Erzfeind betrachtet. Auch der syrische Staatschef gibt sich unversöhnl­ich. Syrien werde mit „allen legitimen Mitteln“gegen die Aggression der Türkei vorgehen, erklärte Assad am Donnerstag. Und auch das Moskauer Außenminis­terium erklärte, die syrische Grenze zur Türkei müsse von der Regierung in Damaskus kontrollie­rt werden.

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Foto: dpa Ein Händedruck wie ein Faustschla­g – eisige Atmosphäre beim Treffen zwischen USVizepräs­ident Pence und dem türkischen Staatschef Erdogan.

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