Was Yücel und Döpfner meinen
Meinungsvielfalt Manchmal fragen mich Leserinnen oder Leser – aber auch Bekannte –, ob ich denn immer schreiben dürfe, was ich schreiben möchte? Ich schaue dann stets irritiert, habe ich mir sagen lassen. Und antworte, wörtlich wie schriftlich im Falle von Mails, mit einem schlichten Ja. Noch nie hat mir irgendjemand in meinem Berufsleben als Journalist vorgeschrieben, was ich zu schreiben oder zu meinen habe.
Dass wir in der Redaktion über Themen reden, auch diskutieren; dass wir vor und nachdem etwas veröffentlicht wurde, kritisch über Artikel sprechen – das ist etwas anderes. Die Frage hat in letzter Zeit jedoch einen Begleittext: dass Journalisten eben nicht schreiben dürften, was sie wollten. Eine Verschwörungstheorie, die vor allem unter Rechtspopulisten bis hin zu Rechtsextremisten beliebt ist. Zwei Tage nach „Halle“veröffentlichte Springer-Chef Mathias Döpfner (Welt, Bild) am 11. Oktober in der Welt einen umstrittenen Meinungsbeitrag mit der Überschrift „Nie wieder, nie wieder’!“Den Hauptvorwurf daran formulierte Medienjournalist Stefan Niggemeier so: „Mathias Döpfner hat den tödlichen Anschlag eines Rechtsextremisten zum Anlass genommen, über alles zu schreiben außer über Rechtsextremismus.“Damit habe er „der AfD aus der Seele“geschrieben.
Besonders kritisierte Döpfner eine „rechtsstaatlich sehr zweifelhafte Flüchtlingspolitik“und ging mit der eigenen Branche hart ins Gericht: „Deutschlands Politik- und Medieneliten schlafen den Schlaf der Selbstgerechten und träumen den Wunschtraum der Political Correctness.“Weiter: Eine „mediale Elite“beschwöre und beschreibe Dinge eher zu oft, „wie sie sein sollten, als zu beschreiben, wie die Lage ist“. Was nicht wenigen Branchenvertretern, zurecht, missfiel. Döpfner ist auch Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, spricht also im Namen sämtlicher Verleger. Pauschale Medienschelte vom Verleger-Präsidenten?
Ihm steht es selbstverständlich frei, seine Meinungen öffentlich zu vertreten. Und selbstverständlich kann und muss man über Döpfners Beitrag diskutieren, kann und muss scharf widersprechen dürfen. Reaktionen wie die des Berliner Büroleiters der Neuen Zürcher Zeitung, Marc Felix Serrao, sind jedoch verfehlt: „Haben Deutschlands Diskurswächter dem Vorstandsvorsitzenden von Axel Springer schon ein Berufsverbot erteilt? Darf man die @welt noch offen lesen?“, twitterte er. Er suggerierte, es gebe Denk-, Meinungs-, gar Berufsverbote. Ein Narrativ der (ganz) Rechten.
Wie Meinungsvielfalt – auch im selben Unternehmen – gelebt werden kann, haben übrigens Welt und Welt am Sonntag (Wams) gezeigt. In der Wams kritisierte Chefredakteur Johannes Boie seinen Chef Döpfner (ohne dessen Namen zu nennen) für eine schiefe Prioritätensetzung. Denn: „Wir sollten (...) etwas gegen deutsche Nazis tun.“Welt-Korrespondent Deniz Yücel (unser Foto) kommentierte: Natürlich dürfe Döpfner „das“schreiben, aber in seinem Beitrag verkümmere „der eigentliche Anlass – der rechtsterroristische Anschlag in Halle – zu quasi einer Nebensache“. Und das war nun keine Meinung, sondern eine zutreffende Feststellung. Schon am 11. Oktober twitterte Yücel: „Wenn ein Rechtsterrorist durch Halle läuft und Menschen ermordet, sollte man zuerst nicht über Flüchtlingspolitik, Political Correctness oder den HSV reden, sondern – und in der gebotenen Ernsthaftigkeit – über genau das: Rechtsterrorismus.“