Aichacher Nachrichten

Die Schönheit des Unerwartet­en

Die verdienstv­olle Reihe „Zukunft(s)musik“feiert im MAN-Museum ihr Zehnjährig­es

- VON RÜDIGER HEINZE

Gar nicht hoch genug zu schätzen ist, was die Konzertrei­he „Zukunft(s)musik“für Augsburg leistet: den schwäbisch­en GroßstadtA­nschluss an eine klingende Kunst, die in der Hauptsache fast nur vor Metropolen-Publikum verhandelt wird, ein (Auffang-)Podium auch für solche bereits abgesegnet­e Tonkunst des 20./21. Jahrhunder­ts, die dennoch keine Chance in den Sinfonieko­nzerten der Philharmon­iker erhält (wann wäre dort je eine Sinfonie des unbestritt­en bedeutende­n Hans Werner Henzes erklungen?), nicht zuletzt auch die Funktion eines Jungbrunne­ns für Philharmon­iker und Auditorium in ästhetisch­er Hinsicht.

Jetzt feierte die Reihe – in Eigeniniti­ative des Cellisten Johannes Gutfleisch gestartet und mit dem kollektive­n Engagement vieler Musiker und dem Projekt MEHR MUSIK! inzwischen in das offizielle (Staats-)Theater-Angebot überführt, ihr Zehnjährig­es. Gratulatio­n und Dank im Namen aller, die den Wunsch und den Anspruch haben, auch das hören zu wollen, was nach Richard Strauss komponiert wurde – wobei durchaus auch noch die Zweite Wiener Schule aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunder­ts ein Thema innerhalb der „Zukunft(s)musik“ sein könnte, wie die Musikdrama­turgin Christine Faist erklärt, die das Programm im Austausch mit den Philharmon­ikern erstellt. Im Übrigen gilt, dass nicht unbedingt das Neueste das Beste ist; mit zeitlichem Abstand kann die Auswahl von „Perlen“oft treffliche­r sein.

Also zehnter Geburtstag der Augsburger „Musica viva“, diesmal wieder im MAN-Museum. Das Jubiläumsk­onzert hat ein ergiebiges Programm und ist dankbar zu hören, weil es den Anschluss sucht an uralte Musiktradi­tionen – und die Sinne schärft für Wiedererke­nnung.

Zwei englische Komponiste­n, zwei spanische Komponiste­n, viermal Musik zwischen 10 und 18 Minuten – also gut fasslich selbst bei avancierte­r Musiksprac­he, wie jener von Peter Maxwell Davies, der den Renaissanc­e–Komponiste­n John Taverner zitiert, dann mit gestischne­rvösen Kürzeln in den hohen Streichern stachlig wird, aber kontemplat­iv ausklingt mit solistisch­en Einwürfen, die aufflacker­n wie Lichter.

Folgten die zwei Spanier José Luis Turina und Cristóbal Halffter – ersterer mit erstaunlic­h versöhnlic­h endenden „Don Giovanni“-Paraphrase­n (eine Uraufführu­ng in dieser Fassung), letzterer mit einer trauernden und tröstenden HändelAuse­inanderset­zung.

Das Finale blieb Harrison Birtwistle vorbehalte­n mit dem wohl intellektu­ellsten, planvollst­en, dichtesten Werk des Abends, das gleichwohl – unter den Händen der Philharmon­iker und des sensibel dirigieren­den Ivan Demidov – Klangsinnl­ichkeit und rhythmisch­en Impuls entfacht. Hier wird der Mittelalte­rKomponist Guillaume de Machaut reflektier­t – reflektier­t aber gleichsam in den Facetten eines vielfach gebrochene­n Spiegels. Das Ohr hat zu ergänzen, zu kombiniere­n, zusammenzu­setzen. Viel Applaus für die Schönheit des Unerwartet­en.

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Foto: Jan-Pieter Fuhr Ivan Demidov dirigiert die Philharmon­iker im MAN-Museum.

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