Ein anderer Blick auf die Migration
Jan Plamper hat neue Ideen des Dazugehörens
Wie kann es sein, dass Menschen unter uns wohnen, die generationenlang als Fremde abgestempelt werden? Danach fragte der Historiker Jan Plamper und schrieb „eine andere Geschichte der Deutschen“, in der Migration seit Jahrhunderten dazugehört – hinaus wie herein. Mit diesem Blick kann er sagen: „So außergewöhnlich ist Deutschland heute nicht.“Die Philologisch-Historische Fakultät wollte mehr dazu wissen und lud Plamper zu ihrem Semesterauftakt ein, mit der Bitte um einen „thesenstarken“Vortrag.
Prompt wies der Historiker auf das deutsche Dilemma hin: In einer Situation der Hypervielfalt, wo jeder nach seiner Facon lebt, gebe es eine starke Vorstellung von deutscher Identität. Anstatt der Staatsbürgerschaft bestimme das Aussehen die Zugehörigkeit. Plamper hielte die Idee einer Staatsbürgernation für angebrachter. In den USA sei man abgerückt vom Begriff des Schmelztiegels, worin sich alle Zugewanderten zu einer homogenen Gesellschaft assimilieren, hin zum Bild der Salatschüssel, deren Buntheit als positiv empfunden wird.
Wer bislang als Ausländer ausgegrenzt wurde, empfand es als Fortschritt, als Bürger mit einem Migrationshintergrund bezeichnet zu werden. Doch für Plamper läuft auch diese Zuweisung Gefahr, gesellschaftliche Gruppen zu ethnisieren und zu biologisieren. Dem Historiker taugt am meisten der Name „Plusdeutsche“, denn „er enthält viel Offenheit“. Erübrigen müsse sich die Nachfrage, wo man herkomme. Aber auch mit Multikulti hält es Jan Plamper nicht: „Das funktioniert in der Praxis nicht.“Es brauche schon eine gemeinsame Identität als Deutsche. Sie muss nicht „Leitkultur“heißen, vielmehr sollten ihre Inhalte im freien Spiel auf demokratischem Wege definiert werden. Verbunden damit sollte Migration als historische Realität in die deutschen Museen aufgenommen werden. Selbst in den aktuellen Darstellungen der neueren deutschen Geschichte sind Migranten allenfalls Randerscheinungen.
Überhaupt wünschte sich der Historiker Zeremonien zur Bekräftigung der deutschen Identität, etwa Einbürgerungsfeiern, denn sie könnten „sehr positive Kräfte freisetzen“. Die auch als ein Gegengewicht dienen zum überhöhten Patriotismus, womit Russland und die Türkei ihre deutsche Diaspora vereinnahmen. Lob erhielt die Fakultät für ihr gestartetes Projekt „Nathan 4.0“. „Migration wird noch lange das Megathema der Gegenwart sein und die historische Perspektive kann zu der Erkenntnis beitragen, dass die Gegenwart gemacht ist“, lautete Plampers Diagnose.