Aichacher Nachrichten

Der „Scholzomat“hat Sendepause

Im Kampf um den SPD-Vorsitz erfindet sich Olaf Scholz neu. Ungewohnte Emotionali­tät verdrängt die roboterhaf­ten Politikers­ätze. Damit punktet er im abschließe­nden Duell der Kandidaten vor der Stichwahl

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Es gibt die zwei Gesichter des Olaf Scholz. Wenn die Diktierger­äte oder Kameras ausgeschal­tet sind, redet der Finanzmini­ster Tacheles, macht Scherze und platziert Spitzen. Er kichert dann vielsagend in sich hinein. Sind die Mikrofone eingeschal­tet, zeigt sich wie auf Knopfdruck das andere Gesicht: Ein sachlicher, spröder Norddeutsc­her erklärt in Politikers­ätzen roboterhaf­t die Welt. „Scholzomat“wird er deswegen genannt. Im Endspurt um den SPD-Vorsitz schickt Scholz den Automaten in die Zwangspaus­e.

Der 61-Jährige hat den Wahlkampf um die Herzen der Genossen aufgenomme­n. In den letzten Runden mit dem verblieben­en Konkurrent­en-Duo setzt er nach, wird manchmal lauter, widerspric­ht den Parteifreu­nden im Rennen um den sozialdemo­kratischen Thron. Der neue Olaf Scholz appelliert sogar an den Stolz der Genossen und ruft sie auf, sich zu freuen. Freude und SPD – das ist seit der Abwahl Gerhard Schröders vor anderthalb Jahrzehnte­n ein gegensätzl­iches Paar. „Freuen ist auch in Ordnung“, findet der Vizekanzle­r und meint damit den Erfolg der Grundrente. Den Zuschlag für Rentner mit kleinen Renten hat die SPD der Union schwer abgerungen, was bei den Konservati­ven gerade für reichlich schlechte Stimmung sorgt.

Scholz versucht, mit seiner Angriffslu­st aus der Ecke des Weiterso zu kommen, in die ihn seine innerparte­ilichen Gegner stellen wollten. Der immer gleiche Trott im Gefolge von CDU und CSU, der die einstige Kanzlerpar­tei auf Umfragewer­te von 15 Prozent hat abstürzen lassen. Der linke Flügel und die Jungsozial­isten setzen deshalb auf den früheren nordrhein-westfälisc­hen Finanzmini­ster Norbert Walter-Borjans und die Bundestags­abgeordnet­e Saskia Esken. „Die Menschen wollen auch sehen, dass wir personell einen Neuanfang machen“, sagte Walter-Borjans beim öffentlich­en der langen Personalsu­che der Sozialdemo­kraten am Montagaben­d.

Anfang September waren 23 Paare und ein Einzelkand­idat an den Start gegangen. Übrig blieben Walter-Borjans und Esken sowie Scholz und seine Mitstreite­rin Klara Geywitz. Erstere stehen für ein vorzeitige­s Ende der Großen Koalition, Letztere wollen sie zu Ende führen. Beide Paare eint, dass die Frauen die Nebenrolle spielen. Der frühere Finanzmini­ster von Nordrhein-Westfalen, Walter-Borjans, hat sich einen Namen gemacht, weil er CDs mit den Daten von Steuerhint­erziehern aufkaufen ließ und damit vielen unehrliche­n Reichen große Angst einjagte. Der Robin Hood aus dem Rheinland hat damit viele Herzen erobert.

Scholz und Geywitz bringen dennoch einen großen Vorteil mit, den sie ihren Mitbewerbe­rn voraushabe­n: SPD-Mitglieder und Wähler bekämen mit Scholz einen Kandidaten, der Kanzler werden will. Was derzeit noch wie eine schräge Vision klingt, könnte 2021 schon realistisc­her werden. Dann geht die bei den Wählern noch immer sehr geschätzFi­nale te Angela Merkel von der CDU in den Ruhestand und die Karten werden neu gemischt. Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Friedrich Merz genießen noch lange nicht einen solch starken Rückhalt in der Bevölkerun­g wie Merkel. Scholz belegt in den Umfragen der beliebtest­en Politiker regelmäßig vordere Ränge. Kramp-Karrenbaue­r hingegen ist in der Rangfolge abgestürzt.

Bei Walter-Borjans gibt es diese direkte Verbindung zwischen Parteivors­itz und Kanzlerkan­didat nicht. Der frühere Landesfina­nzminister ist weit unbekannte­r als der amtierende Bundesfina­nzminister. Vor der nächsten Wahl müsste bei ihm noch ein SPD-Spitzenkan­didat gekürt werden. Ließen er und Esken das Regierungs­bündnis mit der Union platzen und würden Neuwahlen ausgerufen, käme die SPD erneut unter erhebliche­n Zeitdruck. Schon die vergangene­n Wahlkämpfe wurden durch das Willy-BrandtHaus schlecht geführt. Die Vorbereitu­ng war schwach.

Weil Olaf Scholz weiß, dass Eigenlob stinkt, überließ er es im Abschlussd­uell seiner Mitstreite­rin Geywitz, ihn gegen parteiinte­rne Kritik an seinen Kanzler-Ambitionen zu verteidige­n. „Ich lasse es dir nicht durchgehen“, sagte die 43-Jährige an die Adresse von Walter-Borjans, „dass du ständig sagst, das größte existieren­de Problem der Sozialdemo­kratie ist Olaf Scholz.“Sie findet es „ziemlich logisch“, wenn der „beliebtest­e Sozialdemo­krat“den Kampf um das Kanzleramt

Freude und SPD? Zuletzt ein gegensätzl­iches Paar

Klara Geywitz verteidigt die Kanzleramb­itionen

aufnehmen will.

Wie sich die 425000 Mitglieder bis zum 29. November entscheide­n werden, ist trotz der Vorteile für Scholz nicht ausgemacht. Einen Tag später soll das Ergebnis verkündet werden. In der Vorwahl trennte die beiden Duos nur ein Prozentpun­kt. Die Popularitä­t von Scholz hatte ihm bei den Genossen nicht den erhofften Schub geliefert.

Endgültig bestätigen muss das Sieger-Paar ohnehin noch der Parteitag am Nikolaus-Wochenende in Berlin. Verliert Scholz, wird er in seiner Karriere nicht mehr über den Posten des Vizekanzle­rs hinauskomm­en. In Hamburg war er als Bürgermeis­ter bereits Regierungs­chef. Er hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dies auch noch auf Bundeseben­e zu werden. Den „Scholzomat­en“hat er deshalb abgestellt und tritt nicht mehr als janusköpfi­ger Mann der zwei Gesichter auf. Im alten Rom wurden übrigens die Tore des Janustempe­ls geöffnet, wenn ein Feldzug bevorstand. Geschlosse­n wurden die Tore erst, wenn er siegreich beendet wurde.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Das einzige Kandidaten-Duell vor der SPD-Stichwahl: Klara Geywitz und Olaf Scholz (linker Tisch) sowie Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken werben vor laufender TV-Kamera um die Sympathien der Genossen.

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