Wie rechte Shitstorms funktionieren
Auf einen Artikel unserer Redaktion folgen heftige Reaktionen. Das zeigt, wie im Netz mobilisiert wird
Augsburg Der Shitstorm kam so erwartbar schnell wie heftig. Vor allem: Er machte überaus deutlich, worum es in dem Artikel ging, der kürzlich auf unserer Medienseite und online erschien. Sein Titel: „Jung, cool, gefährlich“. Sein Inhalt: rechtspopulistische bis hin zu rechtsextremen Influencern. Diese verbreiten im Netz ihre Botschaften und tun das derart geschickt, dass Jugendliche oft nicht merken, wie man sie zu beeinflussen versucht. Experten warnen vor ihnen.
Es ging in dem Artikel unter anderem um den 20-jährigen Youtuber Niklas Lotz, der als „Neverforgetniki“auf der Videoplattform 119000 Abonnenten erreicht. Es wurde dargestellt, wie er sich präsentiert, was er in seinen Videos sagt, in welchem Umfeld er sich bewegt – und wie das einzuschätzen ist. „Der Youtuber Neverforgetniki bedient klassische Feindbilder der rechten Szene“, erklärte Liane Bednarz. Die Juristin und Publizistin beschäftigt sich mit der „Neuen Rechten“; nach der Analyse seiner Videos kam sie zu dem Schluss: Lotz bekenne sich nicht offen zur rechten Szene. Denn so könne er seinen Zuschauern auf harmlose Art und Weise seine Ideen einimpfen. „Angesichts seiner Reichweite ist das durchaus beunruhigend.“Maik Fielitz
vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg sagte über die Wirkung von Inhalten, die neurechte Influencer verbreiten: „Die Vorstellung, permanent angegriffen zu werden, bietet dem Gedanken, sich mit allen Mitteln aus Notwehr zu wehren, Vorlauf.“
Und Lotz? Er sei offen für ein Gespräch, sagte er auf Anfrage, jedoch nur für ein Honorar in Höhe von 250 Euro die Stunde. Unsere Redaktion aber zahlt prinzipiell nicht für Interviews. Was sie tut, ist, zu berichten – gemäß der journalistischen und medienethischen Standards. Dazu gehört, korrekt zu zitieren, die Expertise von Experten zum jeweiligen Thema einzuholen und Sachverhalte darzustellen.
Lotz reagierte auf den Artikel mit einem Video, das bis Dienstagnachmittag auf mehr als 100000 Aufrufe kam: „Mainstream-Zeitung DIFFAMIERT Neverforgetniki“. Darin kritisierte er etwa, dass „gegen sehr viele Menschen ausgeteilt“werde, zum Beispiel gegen Martin Sellner, Youtuber auch er. „Dieser Artikel soll gegen alle ausholen, die eben anders denken beziehungsweise die nicht mainstreamkonform denken“, sagte Lotz.
Sellner in dem Kontext als „Andersdenkenden“zu bezeichnen, ist vielsagend: Er ist der Sprecher der Identitären Bewegung Österreich.
Laut „Verfassungsschutzbericht 2018“des österreichischen Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung kann die Identitäre Bewegung exemplarisch für den „sogenannten ,modernisierten‘ Rechtsextremismus“genannt werden. Die Strategie neurechter Ideologen ziele darauf ab, bestimmte gesellschaftspolitische Themen und Begriffe mit hoher emotionaler Wirkung aufzugreifen und auf Dauer zu besetzen.
Sellner nannte Lotz einen „genialen jungen Nachwuchs-Blogger“. Damit ist nicht gesagt, dass Lotz den Identitären nahesteht. In seinem Video finden sich gleichwohl mehrere
Narrative, also sinnstiftende Erzählungen, der Neuen Rechten: Die im Artikel zitierten Experten seien „selber politische Akteure“, die Meinungsfreiheit sei bedroht. Schließlich der Aufruf: „Seid aktiv ein Teil der Gegenöffentlichkeit.“
In tausenden Kommentaren seiner Zuschauer wimmelt es vor Hass und Hetze: „Eines Tages werden die auf die Schnauze fallen. Grüße alle Patrioten, bleibt stark und lasst euch nicht unterkriegen.“Oder: „Diese Leute bekommen ihre Strafe, abwarten!“Der Shitstorm, für den
Lotz Stichworte lieferte, folgt einem Muster, das sich ebenso bei linken Shitstorms beobachten lässt: Aus dem Zusammenhang gerissene Aussagen oder Falschzitate werden geteilt und führen zu Solidaritätsbekundungen und Kritik. Die Kritik verschärft sich zusehends. Kontaktdaten des Mediums und der Autorin/des Autoren werden publik gemacht; sie oder er werden beleidigt. Irgendwann folgen Morddrohungen. Hassangriffe würden auch ausgelöst von Leuten, die publizistisch tätig seien, sagte die mit dem KurtTucholsky-Preis für politisch engagierte Werke ausgezeichnete Autorin Margarete Stokowski am Montag im Deutschlandfunk. Es reiche oft, „dass die zum Beispiel darauf hinweisen, folgende Aktivistin hat dies und das mal getwittert . ... Und dann fangen Leute halt an, diese Aktivistin zu verfolgen.“
Auch die Autorin unseres Artikels „Jung, cool, gefährlich“wurde von Internetnutzern attackiert. Einer schrieb: „Solche Journalisten sind gefährlich, die gehören eigentlich aus ihren Jobs entfernt.“Lotz hatte ihr zuvor vorgeworfen: „Für mich klingt es irgendwie wie jemand, der unglücklich verliebt ist.“Er ergänzte: „Ihre journalistische Karriere ist keine Karriere.“Am Dienstagabend stellte er ein weiteres Video online, das sich auf eine bereits erschienene, längere Fassung dieses Textes bezieht: „Augsburger Allgemeine LEGT NACH!“Einer der ersten Kommentare: „Das ist wie mit Ratten, treibt man sie in die ecke, dann werden sie gefährlich! aber aus reiner angst.“
Hass und Hetze folgen einem Muster