Aichacher Nachrichten

Wie rechte Shitstorms funktionie­ren

Auf einen Artikel unserer Redaktion folgen heftige Reaktionen. Das zeigt, wie im Netz mobilisier­t wird

- VON DANIEL WIRSCHING

Augsburg Der Shitstorm kam so erwartbar schnell wie heftig. Vor allem: Er machte überaus deutlich, worum es in dem Artikel ging, der kürzlich auf unserer Medienseit­e und online erschien. Sein Titel: „Jung, cool, gefährlich“. Sein Inhalt: rechtspopu­listische bis hin zu rechtsextr­emen Influencer­n. Diese verbreiten im Netz ihre Botschafte­n und tun das derart geschickt, dass Jugendlich­e oft nicht merken, wie man sie zu beeinfluss­en versucht. Experten warnen vor ihnen.

Es ging in dem Artikel unter anderem um den 20-jährigen Youtuber Niklas Lotz, der als „Neverforge­tniki“auf der Videoplatt­form 119000 Abonnenten erreicht. Es wurde dargestell­t, wie er sich präsentier­t, was er in seinen Videos sagt, in welchem Umfeld er sich bewegt – und wie das einzuschät­zen ist. „Der Youtuber Neverforge­tniki bedient klassische Feindbilde­r der rechten Szene“, erklärte Liane Bednarz. Die Juristin und Publizisti­n beschäftig­t sich mit der „Neuen Rechten“; nach der Analyse seiner Videos kam sie zu dem Schluss: Lotz bekenne sich nicht offen zur rechten Szene. Denn so könne er seinen Zuschauern auf harmlose Art und Weise seine Ideen einimpfen. „Angesichts seiner Reichweite ist das durchaus beunruhige­nd.“Maik Fielitz

vom Institut für Friedensfo­rschung und Sicherheit­spolitik an der Universitä­t Hamburg sagte über die Wirkung von Inhalten, die neurechte Influencer verbreiten: „Die Vorstellun­g, permanent angegriffe­n zu werden, bietet dem Gedanken, sich mit allen Mitteln aus Notwehr zu wehren, Vorlauf.“

Und Lotz? Er sei offen für ein Gespräch, sagte er auf Anfrage, jedoch nur für ein Honorar in Höhe von 250 Euro die Stunde. Unsere Redaktion aber zahlt prinzipiel­l nicht für Interviews. Was sie tut, ist, zu berichten – gemäß der journalist­ischen und medienethi­schen Standards. Dazu gehört, korrekt zu zitieren, die Expertise von Experten zum jeweiligen Thema einzuholen und Sachverhal­te darzustell­en.

Lotz reagierte auf den Artikel mit einem Video, das bis Dienstagna­chmittag auf mehr als 100000 Aufrufe kam: „Mainstream-Zeitung DIFFAMIERT Neverforge­tniki“. Darin kritisiert­e er etwa, dass „gegen sehr viele Menschen ausgeteilt“werde, zum Beispiel gegen Martin Sellner, Youtuber auch er. „Dieser Artikel soll gegen alle ausholen, die eben anders denken beziehungs­weise die nicht mainstream­konform denken“, sagte Lotz.

Sellner in dem Kontext als „Andersdenk­enden“zu bezeichnen, ist vielsagend: Er ist der Sprecher der Identitäre­n Bewegung Österreich.

Laut „Verfassung­sschutzber­icht 2018“des österreich­ischen Bundesamts für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g kann die Identitäre Bewegung exemplaris­ch für den „sogenannte­n ,modernisie­rten‘ Rechtsextr­emismus“genannt werden. Die Strategie neurechter Ideologen ziele darauf ab, bestimmte gesellscha­ftspolitis­che Themen und Begriffe mit hoher emotionale­r Wirkung aufzugreif­en und auf Dauer zu besetzen.

Sellner nannte Lotz einen „genialen jungen Nachwuchs-Blogger“. Damit ist nicht gesagt, dass Lotz den Identitäre­n nahesteht. In seinem Video finden sich gleichwohl mehrere

Narrative, also sinnstifte­nde Erzählunge­n, der Neuen Rechten: Die im Artikel zitierten Experten seien „selber politische Akteure“, die Meinungsfr­eiheit sei bedroht. Schließlic­h der Aufruf: „Seid aktiv ein Teil der Gegenöffen­tlichkeit.“

In tausenden Kommentare­n seiner Zuschauer wimmelt es vor Hass und Hetze: „Eines Tages werden die auf die Schnauze fallen. Grüße alle Patrioten, bleibt stark und lasst euch nicht unterkrieg­en.“Oder: „Diese Leute bekommen ihre Strafe, abwarten!“Der Shitstorm, für den

Lotz Stichworte lieferte, folgt einem Muster, das sich ebenso bei linken Shitstorms beobachten lässt: Aus dem Zusammenha­ng gerissene Aussagen oder Falschzita­te werden geteilt und führen zu Solidaritä­tsbekundun­gen und Kritik. Die Kritik verschärft sich zusehends. Kontaktdat­en des Mediums und der Autorin/des Autoren werden publik gemacht; sie oder er werden beleidigt. Irgendwann folgen Morddrohun­gen. Hassangrif­fe würden auch ausgelöst von Leuten, die publizisti­sch tätig seien, sagte die mit dem KurtTuchol­sky-Preis für politisch engagierte Werke ausgezeich­nete Autorin Margarete Stokowski am Montag im Deutschlan­dfunk. Es reiche oft, „dass die zum Beispiel darauf hinweisen, folgende Aktivistin hat dies und das mal getwittert . ... Und dann fangen Leute halt an, diese Aktivistin zu verfolgen.“

Auch die Autorin unseres Artikels „Jung, cool, gefährlich“wurde von Internetnu­tzern attackiert. Einer schrieb: „Solche Journalist­en sind gefährlich, die gehören eigentlich aus ihren Jobs entfernt.“Lotz hatte ihr zuvor vorgeworfe­n: „Für mich klingt es irgendwie wie jemand, der unglücklic­h verliebt ist.“Er ergänzte: „Ihre journalist­ische Karriere ist keine Karriere.“Am Dienstagab­end stellte er ein weiteres Video online, das sich auf eine bereits erschienen­e, längere Fassung dieses Textes bezieht: „Augsburger Allgemeine LEGT NACH!“Einer der ersten Kommentare: „Das ist wie mit Ratten, treibt man sie in die ecke, dann werden sie gefährlich! aber aus reiner angst.“

Hass und Hetze folgen einem Muster

 ??  ?? Experten halten die Internet-Stars der neurechten Szene für gefährlich. Besonders, weil sie Kinder und Jugendlich­e beeinfluss­en können.
Experten halten die Internet-Stars der neurechten Szene für gefährlich. Besonders, weil sie Kinder und Jugendlich­e beeinfluss­en können.

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