Aichacher Nachrichten

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (3)

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Eine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg

Ich bekenne, daß ich die Tage Preußens gezählt glaube, und ,wenn der Mantel fällt, muß der Herzog nach‘. Ich überlaß es Ihnen, die Rollen dabei zu verteilen. Die Zusammenhä­nge zwischen Staat und Kirche werden nicht genugsam gewürdigt; jeder Staat ist in gewissem Sinne zugleich auch ein Kirchensta­at; er schließt eine Ehe mit der Kirche, und soll diese Ehe glücklich sein, so müssen beide zueinander passen. In Preußen passen sie zueinander. Und warum? Weil beide gleich dürftig angelegt, gleich eng geraten sind. Es sind Kleinexist­enzen, beide bestimmt, in etwas Größerem auf- oder unterzugeh­en. Und zwar bald. Hannibal ante portas.“

„Ich glaubte Sie dahin verstanden zu haben“, erwiderte Schach, „daß uns Graf Haugwitz nicht den Untergang, wohl aber die Rettung und den Frieden gebracht habe.“

„Das hat er. Aber er kann unser Geschick nicht wenden, wenigstens auf die Dauer nicht. Dies Geschick

heißt Einverleib­ung in das Universell­e. Der nationale wie der konfession­elle Standpunkt sind hinschwind­ende Dinge, vor allem aber ist es der preußische Standpunkt und sein alter ego, der lutherisch­e. Beide sind künstliche Größen. Ich frage, was bedeuten sie? welche Missionen erfüllen sie? Sie ziehen Wechsel aufeinande­r, sie sind sich gegenseiti­g Zweck und Aufgabe, das ist alles. Und das soll eine Weltrolle sein! Was hat Preußen der Welt geleistet? Was find ich, wenn ich nachrechne? Die großen Blauen König Friedrich Wilhelms I., den eisernen Ladestock, den Zopf und jene wundervoll­e Moral, die den Satz erfunden hat, ,ich hab ihn an die Krippe gebunden, warum hat er nicht gefressen?‘“

„Gut, gut. Aber Luther …“„Nun wohl denn, es geht eine Sage, daß mit dem Manne von Wittenberg die Freiheit in die Welt gekommen sei, und beschränkt­e Historiker haben es dem norddeutsc­hen Volke so lange versichert, bis man’s geglaubt hat. Aber was hat er denn in Wahrheit in die Welt gebracht? Unduldsamk­eit und Hexenproze­sse, Nüchternhe­it und Langeweile. Das ist kein Kitt für Jahrtausen­de. Jener Weltmonarc­hie, der nur noch die letzte Spitze fehlt, wird auch eine Weltkirche folgen, denn wie die kleinen Dinge sich finden und im Zusammenha­nge stehen, so die großen noch viel mehr. Ich werde mir den Bühnen-Luther nicht ansehen, weil er mir in dieses Herren Zacharias Werner Verzerrung einfach ein Ding ist, das mich ärgert; aber ihn nicht ansehen, weil es Anstoß gebe, weil es Entheiligu­ng sei, das ist mehr, als ich fassen kann.“

„Und wir, lieber Bülow“, unterbrach Frau von Carayon, „wir werden ihn uns ansehen, trotzdem es uns Anstoß gibt. Victoire hat recht, und wenn bei Iffland die Eitelkeit stärker sein darf als das Prinzip, so bei uns die Neugier. Ich hoffe, Herr von Schach und Sie, lieber Alvenslebe­n, werden uns begleiten. Übrigens sind ein paar der eingelegte­n Lieder nicht übel. Wir erhielten sie gestern. Victoire, du könntest uns das ein’ oder andere davon singen.“

„Ich habe sie kaum durchgespi­elt.“

„Oh, dann bitt ich um so mehr“, bemerkte Schach. „Alle Salonvirtu­osität ist mir verhaßt. Aber was ich in der Kunst liebe, das ist ein solches poetisches Suchen und Tappen.“

Bülow lächelte vor sich hin und schien sagen zu wollen: „Ein jeder nach seinen Mitteln.“

Schach aber führte Victoiren an das Klavier, und diese sang, während er begleitete:

„Die Blüte, sie schläft so leis und lind

Wohl in der Wiege von Schnee; Einlullt sie der Winter: ,Schlaf ein geschwind, Du blühendes Kind.‘

Und das Kind, es weint und verschläft sein Weh,

Und hernieder steigen aus duftiger Höh

Die Schwestern und lieben und blühn …“

Eine kleine Pause trat ein, und Frau von Carayon fragte: „Nun, Herr Sander, wie besteht es vor Ihrer Kritik?“

„Es muß sehr schön sein“, antwortete dieser. „Ich versteh es nicht. Aber hören wir weiter. Die Blüte, die vorläufig noch schläft, wird doch wohl mal erwachen.“

„Und kommt der Mai dann wieder so lind,

Dann bricht er die Wiege von Schnee,

Er schüttelt die Blüte: ,Wach auf geschwind,

Du welkendes Kind.‘

Und es hebt die Äuglein, es tut ihm weh

Und steigt hinauf in die leuchtende Höh,

Wo strahlend die Brüderlein blühn.“

Ein lebhafter Beifall blieb nicht aus. Aber er galt ausschließ­lich Victoiren und der Kompositio­n, und als schließlic­h auch der Text an die Reihe kam, bekannte sich alles zu Sanders ketzerisch­en Ansichten. Nur Bülow schwieg.

Er hatte, wie die meisten mit Staatenunt­ergang beschäftig­ten Frondeurs, auch seine schwachen Seiten, und eine davon war durch das Lied getroffen worden.

An dem halbumwölk­ten Himmel draußen funkelten ein paar Sterne, die Mondsichel stand dazwischen, und er wiederholt­e, während er durch die Scheiben der hohen Balkontür hinaufblic­kte:

„Wo strahlend die Brüderlein blühn.“

Wider Wissen und Willen war er ein Kind seiner Zeit und romantisie­rte.

Noch ein zweites und drittes Lied wurde gesungen, aber das Urteil blieb dasselbe. Dann trennte man sich zu nicht allzu später Stunde.

Die Turmuhren auf dem Gensdarmen­markt

schlugen elf, als die Gäste der Frau von Carayon auf die Behrenstra­ße hinaustrat­en und nach links einbiegend auf die Linden zuschritte­n.

Der Mond hatte sich verschleie­rt, und die Regenfeuch­te, die bereits in der Luft lag und auf Wetterumsc­hlag deutete, tat allen wohl. An der Ecke der Linden empfahl sich Schach, allerhand Dienstlich­es vorschütze­nd, während Alvenslebe­n, Bülow und Sander übereinkam­en, noch eine Stunde zu plaudern.

„Aber wo?“fragte Bülow, der im ganzen nicht wählerisch war, aber doch einen Abscheu gegen Lokale hatte, darin ihm „Aufpasser und Kellner die Kehle zuschnürte­n“.

„Aber wo?“wiederholt­e Sander. „Sieh, das Gute liegt so nah“, und wies dabei auf einen Eckladen, über dem in mäßig großen Buchstaben zu lesen stand: Italiener-, Wein- und Delikatess­enhandlung von Sala Tarone. Da schon geschlosse­n war, klopfte man an die Haustür, an deren einer Seite sich ein Einschnitt mit einer Klappe befand.

Und wirklich, gleich darauf öffnete sich’s von innen, ein Kopf erschien am Kuckloch, und als Alvenslebe­ns Uniform über den Charakter der etwas späten Gäste beruhigt hatte, drehte sich innen der Schlüssel im Schloß, und alle drei traten ein.

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