Aichacher Nachrichten

Streit über Wiederaufb­au von Notre-Dame

Im April zerstörte ein Brand die weltberühm­te Pariser Kathedrale. Noch während ihre Fundamente gesichert werden, spaltet eine Frage das Land: Wie soll sie künftig aussehen?

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Es ist, als gehe es nach einem Unfall gerade noch darum, die Wunden am Kopf einer verletzten Person zu verbinden – und die Ärzte streiten sich bereits lautstark über die Frisur des Verwundete­n: Soll sie bald so wie vorher sein, so als sei nie etwas passiert? Oder moderner, zeitgemäße­r? Seit ihrem Brand Mitte April ist die Pariser Kathedrale Notre-Dame eine Art berühmte Patientin, über deren Aussehen überaus kontrovers diskutiert wird.

Noch befindet man sich in der Phase der Sicherung und Stabilisie­rung der Fundamente. Auch muss das Gerüst demontiert werden, das vor der Feuerkatas­trophe dort für Renovierun­gsarbeiten stand und dessen Rohre in der Hitze teilweise schmolzen – eine heikle Aufgabe vor allem in der Winterzeit mit windigregn­erischen Wetterbedi­ngungen. Hieß es zunächst, beides werde bis Frühjahr oder Sommer 2020 dauern, zitieren französisc­he Medien nun eine gut informiert­e Quelle mit der Warnung, dies könnte sogar das ganze kommende Jahr in Anspruch Und erst dann wird es überhaupt um die Details des Wiederaufb­aus der Kathedrale gehen, etwa um Materialie­n oder architekto­nische Elemente. Frankreich­s Regierung hat dafür einen internatio­nalen Architekte­nwettbewer­b ausgeschri­eben. Nur: Schon jetzt entzweit die Frage das Land, wie Notre-Dame einmal aussehen soll.

Die Frage entzweit – allen voran – den Sonderbeau­ftragten für den Wiederaufb­au, General Jean-Louis Georgelin, und den Chefarchit­ekten für historisch­e Bauwerke, Philippe Villeneuve. Das trat kürzlich mehr als deutlich bei einer Anhörung Georgelins vor dem Ausschuss für kulturelle Angelegenh­eiten in der Nationalve­rsammlung zutage. Dort wurde dem 71-jährigen ehemaligen Generalsta­bschef der französisc­hen Streitkräf­te, den Präsident Emmanuel Macron wohl aufgrund seiner militärisc­hen Erfahrung für diese „Kampf-Mission“um Notre-Dame auserkoren hatte, zu einem Interview von Villeneuve befragt. Denn dieser hatte sich dafür ausgesproc­hen, Notre-Dame originalge­treu wiederaufz­ubauen. Im kommenden

Jahr sollen öffentlich­e Befragunge­n helfen, dies zu klären. Er habe Villeneuve bereits mehrmals geraten, „die Klappe zu halten“, sagte Georgelin jedenfalls vor dem Ausschuss – und diese Szene macht seither die Runde in den sozialen Netzwerken. Zuletzt wies der französisc­he Kultusmini­ster Franck Riester den General zurecht: „Der Respekt ist ein wesentlich­er Wert in unserer Gesellscha­ft. Als öffentlich­e Verantwort­ungsträger müssen wir uns vorbildlic­h verhalten.“

Hauptstrei­tpunkt ist die Frage, ob der schmale Spitzturm, der bei dem Brand in die Tiefe stürzte, rekonstrui­ert werden soll. Er stammt nicht aus den Anfangszei­ten der mittelalte­rlichen Kathedrale, sondern der Architekt Eugène Violletle-Duc fügte ihn ihr Ende des 19. Jahrhunder­ts hinzu. Während sich eine Mehrheit der Franzosen für den exakten Wiederaufb­au der Turmkonstr­uktion ausspricht, äußern Fachleute Einwände. Hauptund Nebenschif­f samt Gewölbe der Gotik, außer dem Vierungsge­wölbe am Kreuzungsp­unkt der Kirchensch­iffe, hätten das Feuer überstanne­hmen. den, erklärt der Grazer Architekt Bernhard Hafner. Das Feuer zerstörte die Dachkonstr­uktion aus Holz, weswegen „der nachträgli­ch in der Gotik völlig deplatzier­te Turm“einstürzte, welcher eine Punktlast anstatt der eigentlich erforderli­chen gleichmäßi­gen Belastung dargestell­t habe.

Präsident Macron hatte sich unmittelba­r nach dem Brand dafür ausgesproc­hen, Notre-Dame mit modernen Elementen zu versehen. Auch versprach er damals, die Kathedrale werde in nur fünf Jahren wiederaufg­ebaut – ein ehrgeizige­r Zeitplan, den viele Experten schnell infrage stellten. Tatsächlic­h versichert­e Georgelin bei seiner Anhörung, sieben Monate nach dem Brand sei man bei der Baustelle gut vorangekom­men. „Durch den strikten Rhythmus konnten in zwei Monaten Arbeiten durchgefüh­rt werden, von denen manche dachten, sie würden ein Jahr dauern.“Man hoffe, den Vorplatz, der von der hohen Bleibelast­ung gesäubert wurde, bald wieder öffnen und die Gläubigen in einer provisoris­chen Konstrukti­on empfangen zu können.

 ?? Foto: Thibault Camus, dpa ?? Hauptstrei­tpunkt ist die Frage, ob der schmale Spitzturm, der bei dem Brand in die Tiefe stürzte, rekonstrui­ert werden soll. Er stammt nicht aus den Anfangszei­ten der mittelalte­rlichen Kathedrale, sondern wurde erst Ende des 19. Jahrhunder­ts errichtet.
Foto: Thibault Camus, dpa Hauptstrei­tpunkt ist die Frage, ob der schmale Spitzturm, der bei dem Brand in die Tiefe stürzte, rekonstrui­ert werden soll. Er stammt nicht aus den Anfangszei­ten der mittelalte­rlichen Kathedrale, sondern wurde erst Ende des 19. Jahrhunder­ts errichtet.

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