Aichacher Nachrichten

Schönheit, Schmerz und Surreales

Was Domonkos Héja, die Augsburger Philharmon­iker und der Geiger Linus Roth in Werken von Weinberg und Mahler entdecken

- VON STEFAN DOSCH

In diesem Jahr, in welches das 300. Jubiläum des Violinlehr­ers Leopold Mozart fällt, wird man in seiner Geburtssta­dt Augsburg geradezu verwöhnt mit herausrage­nden Geigenvirt­uosen. Letzte Woche war Christian Tetzlaff da, im Frühsommer schaute Isabelle Faust vorbei, und Anfang dieser Woche nun war Linus Roth Solist beim Sinfonieko­nzert der Augsburger Philharmon­iker. Und wie Tetzlaff das Joachim-Konzert, hatte auch Roth im Kongress am Park ein konzertant­es Opus im Gepäck, das bis dato den wenigsten Klassikfre­unden live untergekom­men sein dürfte, das Violinkonz­ert von Mieczyslaw Weinberg.

Dass Roth dieses Stück des langsam, aber beharrlich ins Publikumsb­ewusstsein rückenden polnischru­ssischen Komponiste­n aufführte, war in Augsburg nachgerade überfällig, darf´doch der Geiger, der neben seinen Konzertver­pflichtung­en Professor am hiesigen Leopold Mozart Zentrum ist, als einer der aktuell eifrigsten Sachwalter der Violinmusi­k Weinbergs und insbesonde­re des g-Moll-Konzerts gelten.

In Weinbergs Musik spiegeln sich, vergleichb­ar derjenigen seines Schostakow­itsch, die extremen, gewaltdurc­htränkten Erfahrunge­n der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts. Ein Horizont, den Linus Roth in seiner Interpreta­tion markant herausarbe­itet. Scharfkant­ig reißt er das Thema des ersten der vier Sätze an, um dann mit eisig exekutiert­en Bogenstric­hen weiterzuja­gen, als sei die Solostimme auf der Flucht vor dem ebenso unbarmherz­ig nachsetzen­den Orchester.

Doch schon in diesem ersten Satz gibt es Momente der Besinnung, in denen Roth Schmelz und Süße entfaltet, dabei aber nie ins Schwärmeri­sche versinkt, sondern den brüchigen Boden in Erinnerung hält – bis die musikalisc­he Hatz auch tatsächlic­h wieder einsetzt. Ruhiger gehalten ist das folgende Allegretto, vollends das Adagio: ein Gesang von illusionsl­oser Intensität, ein Zusammenfl­ießen von Schönheit und Trauer, das Roth mit fasziniere­nden, alle Grade des Seelenschm­erzes durchdekli­nierender Klangfarbe­n darzustell­en vermag. Jubel und einige Bravos für den Solisten, der als Zugabe mit Bach (aus der d-MollPartit­a) die einzig richtige Wahl nach solch einem Konzertstü­ck traf.

Sergei Prokofjew hatte sich einst Haydn zum Vorbild für seine 1. Sinfonie genommen, und diese traf am Montagaben­d das Haydn-Schicksal des Einspielst­ücks. So quickleben­dig Domonkos Héja und die Philharmon­iker Prokofjews „Symphonie classique“auch hinlegten, wurde sie doch erdrückt von dem Weinberg-Massiv und vollends von der 1. Sinfonie Gustav Mahlers.

Wobei, so massiv Mahler ein Orchester auch zu entfesseln vermag, so bedächtig hebt sein sinfonisch­er Erstling an. Héja lässt die Naturstimm­ung, die in der Einleitung des ersten Satzes geschilder­t ist, zauberhaft zur Entfaltung kommen: das hohe Flageolett-Sirren der Violinen, in das sich, Vogelrufen gleich, die Holzbläser mischen sowie fanfarenha­ft die von fern heranwehen­den (und tatsächlic­h hinter der Bühne postierten) Trompeten.

Doch so exakt Héja das alles ausmusizie­ren lässt: Seiner Interpreta­tion wohnt doch eine allzu heile, biedermeie­rlich getönte Romantik inne. Eine Festlegung, der Mahler mit seinen komponiert­en Verfremdun­gen entgegenzu­steuern versuchte, was wiederum Héja zumindest im Kopfsatz der Sinfonie nicht plastisch genug herausmode­lliert. Plausibler gelingt das im nachfolgen­den Scherzo, das sich nicht nur enerFreund­es gisch herbeidreh­t, sondern auch jenen Hauch des Grobianisc­hen besitzt, der ein genuiner Bestandtei­l der Klangsprac­he Mahlers ist.

Im dritten Satz schraubt Héja die Kontrastsc­härfe erneut zurück. Das tönende Geschehen ist ihm hier weniger grotesker Trauermars­ch als vielmehr surreale Traumersch­einung – manches hätte man sich auftrumpfe­nder, greller gewünscht, etwa den hereinplat­zenden böhmischen Musikanten­zug. Stark hingegen das Finale: Straff führt Héja die Zügel am chaotische­n Beginn, um dann die Sehnsucht auf Besserung aufschwell­en zu lassen, der letztlich, nach seelenvoll­er Rückschau auf die bisherige Sinfonie-Motivik, im bombastisc­h-finalen Durchbruch stattgegeb­en wird.

Und das Orchester? Einmal mehr verstehen sich die Philharmon­iker auf Tutti-Wucht genauso wie auf die feine Lasur. Wobei bei Mahler das Ensemble immer auch solistisch gefordert ist, was von den Augsburger­n freudigst angenommen wird. Pars pro toto: herrlich greinend die Trompeten und sichelspit­z Oboe und Klarinette im dritten Satz. Schön wär’s, wenn Héja und die Philharmon­iker von Mahlers Sinfonien noch nicht genug hätten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany