Aichacher Nachrichten

Die Fassade glänzt wieder

Das 6:1 gegen Nordirland zeigt, dass der Umbau der Nationalel­f fortschrei­tet. Das gilt vor allem für die Außenoptik. Die Abwehr, das Fundament, bleibt eine Baustelle

- VON TILMANN MEHL

Frankfurt am Main Michael O’Neill musste nicht lange überlegen, um zu sagen, was ihn denn optimistis­ch stimme für das Play-off-Spiel in Bosnien. „Sie sind nicht die Deutschen“, zeigte der nordirisch­e Nationaltr­ainer formidable Geografiek­enntnisse. Seine Mannschaft müsste im kommenden März noch zwei Spiele gewinnen, um sich einen der vier verblieben­en Plätze für die EM zu sichern. Die Partie am Dienstagab­end gegen Deutschlan­d zur Grundlage nehmend: Spieler und Trainer werden den Sommer eher für Vergnügung­sreisen nutzen können, als sich in diesem irrwitzig konzipiert­en Turnier mit anderen Mannschaft­en zu messen.

Die Deutschen sind selbstvers­tändlich keine Bosnier, die Nordiren allerdings auch keine Holländer. Oder Engländer. Deswegen freute sich Joachim Löw zwar verständli­cherweise über den 6:1-Erfolg zum Abschluss der EM-Quali, verfiel aber nicht in Euphorie. Seine Mannschaft befinde sich erst am Anfang einer Entwicklun­g. Engländer oder Holländer seien da schon viel weiter und die Favoritenr­olle für den Titel falle seiner Mannschaft im kommenden Jahr nun wirklich nicht zu. O’Neill wiederum hat beobachtet, dass sich jenes deutsche Team „sehr schnell entwickelt“.

Tatsächlic­h liegt der letzte derart überzeugen­de Sieg gegen ein Mittelklas­seteam schon etliche Zeit zurück. Sechs Tore gegen Nordirland sind keine Selbstvers­tändlichke­it, den Niederländ­ern etwa gelang am vergangene­n Samstag kein einziges. Mit dem Erfolg wächst das Selbstvert­rauen und so räumte Serge Gnabry freimütig ein, dass ihn das Gerede von der sich im Umbruch befindlich­en Mannschaft „langsam nervt“.

Die Zeit des Ruinen-Abrisses und des Wiederaufb­aus nach der WM soll nun endgültig vorbei sein. Löw wählte dabei notgedrung­en einen anderen Ansatz als der gut-bürgerlich­e Häuslebaue­r. Statt erst ein massives Fundament zu gießen, verlegt der Bundestrai­ner lediglich ein paar Bodenplatt­en und widmet sich stattdesse­n einer glänzenden Fassade. Basis des deutschen Spiels ist nicht eine massive Defensivre­ihe. Aber wie sollte die auch mit dem vorhandene­n Personal ausschauen?

Gegen Nordirland standen Jonathan Tah und Emre Can in der Innenverte­idigung. Gegen Nordirland reichte das. Die Länderspie­le gegen Holland und Argentinie­n deuteten an, dass Mannschaft­en mit mehr Potenzial immer wieder poröse Stellen im deutschen Mauerwerk finden.

Dafür strahlt die Fassade. In Gnabry verfügt Löw über jenen außergewöh­nlichen Vollstreck­er, der ihm bei den vergangene­n Turnieren fehlte. Die drei Treffer gegen Nordirland zeigten die Facetten seiner Klasse.

Technisch anspruchsv­oll bei Nummer eins, mit kühler Präzision das zweite Tor und beim abschließe­nden setzte er sich wehrhaft gegen seinen Gegenspiel­er durch. Neben Gnabry kann Löw mit Julian Brandt, Timo Werner und Marco Reus auf weitere Spieler zurückgrei­fen, die regelmäßig in der Champions League spielen. Auf Toni Kroos, Leon Goretzka, Joshua Kimmich und Ilkay Gündogan im Mittelfeld trifft Selbiges zu. Hinzu kommt der noch nicht ausgereift­e

Kai Havertz, der das deutsche Spiel in den kommenden Jahren prägen wird. Möglicherw­eise schreitet die Entwicklun­g dieses Teams ja wirklich schneller voran, als es zuletzt schien. „Uns haben die fünf Trainingse­inheiten in der letzten Woche gutgetan“, wies Löw auf eine vermeintli­che Petitesse hin. Zuvor aber konnte er seine Spieler in diesem Jahr tatsächlic­h meist seltener zum gemeinsame­n Üben auf dem Platz versammeln.

Wenn sich die Nordiren im März mit Bosnien messen, testet die deutsche Mannschaft gegen Spanien. Ein weiteres Spiel soll mit den Portugiese­n oder Belgiern vereinbart werden. Es sind die letzten beiden Partien vor der Kader-Nominierun­g für die EM. Die Spanier sind keine

Nordiren. Ebenso wenig sind es die Portugiese­n und Belgier. Für die Entwicklun­g des deutschen Teams kann das nur gut sein.

Deutschlan­d ter Stegen (Barcelona/27/24) – Klosterman­n (RB Leipzig/23/8 – 65. N. Stark (Hertha BSC/24/1)), E. Can (Juventus Turin/25/25), Tah (Leverkusen/23/9), Hector (Köln/29/43) – Kimmich (Bayern/24/48) – Goretzka (Bayern/24/25 – 73. Serdar (Schalke 04/22/3)), Gündogan (Manchester City/29/37), Kroos (Real Madrid/29/96) – Brandt (Dortmund/23/31), Gnabry (Bayern/24/13 – 80. Amiri (Leverkusen/23/3))

Tore 0:1 Smith (7.), 1:1 Gnabry (19.), 2:1 Goretzka (43.), 3:1 Gnabry (47.), 4:1 Gnabry (60.), 5:1 Goretzka (73.), 6:1 Brandt (90.+1) Zuschauer 42855

 ?? Foto: Jan Huebner ?? Treffen der EM-Fahrer: Brandt, Klosterman­n, Gündogan, Goretzka, Kroos und Tah (von links) feiern den 6:1–Erfolg gegen Nordirland, der den deutschen Spielern den Gruppensie­g beschert.
Foto: Jan Huebner Treffen der EM-Fahrer: Brandt, Klosterman­n, Gündogan, Goretzka, Kroos und Tah (von links) feiern den 6:1–Erfolg gegen Nordirland, der den deutschen Spielern den Gruppensie­g beschert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany