Aichacher Nachrichten

Deutschlan­d macht dicht

Das öffentlich­e Leben kommt beinahe vollständi­g zum Erliegen. Trotzdem verhängt die Politik weitere drastische Maßnahmen: Ein strenges Kontaktver­bot soll die Infektions­kette unterbrech­en

- VON MARGIT HUFNAGEL UND BERNHARD JUNGINGER

Berlin/Augsburg Die Bewegungsf­reiheit der Menschen in Deutschlan­d wird immer dramatisch­er eingeschrä­nkt. Bund und Länder einigten sich bei einer Telefonkon­ferenz mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Sonntag auf ein umfassende­s Kontaktver­bot. Ansammlung­en von mehr als zwei Personen sind grundsätzl­ich verboten. Die Regel gilt für mindestens zwei Wochen. Die Ausnahmen sind überschaub­ar: Der Aufenthalt im öffentlich­en Raum ist alleine mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person oder im Kreis der Angehörige­n des eigenen Hausstands gestattet. In Bayern wird dies großzügige­r ausgelegt, weil etwa auch Begleitung­en älterer Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, weiter erlaubt bleiben sollen.

Eindringli­ch mahnte Bundeskanz­lerin Angela Merkel noch einmal: „Zeigen Sie Vernunft und Herz“, sagte sie. „Ich weiß, dass es Verzicht und Opfer bedeutet.“Doch das Einschränk­en der Kontakte zu anderen Menschen sei derzeit das wirksamste Mittel, um die Ausbreitun­g des Coronaviru­s zu verDies sei ein „lebenswich­tiges Ziel“. Eine Ausgangssp­erre, von der in den vergangene­n Tagen immer wieder die Rede war, verhängt die Politik ausdrückli­ch nicht – doch auf die Einhaltung der Vorschrift­en pocht sie. „Das sind nicht irgendwelc­he Empfehlung­en, das sind Regeln“, stellte die Kanzlerin klar.

Die strengsten werden ab sofort für sie selbst gelten: Merkel musste nach Ende ihrer Pressekonf­erenz in häusliche Quarantäne. Sie hatte Kontakt zu einem Arzt, der mittlerwei­le positiv auf das Virus getestet worden sei. Der Mediziner habe am Freitagnac­hmittag bei Merkel eine vorbeugend­e Pneumokokk­en-Impfung vorgenomme­n. Ihr Sprecher sagte: „Sie wird sich in den nächsten Tagen regelmäßig testen lassen, weil ein Test jetzt noch nicht voll aussagekrä­ftig wäre. Auch aus der häuslichen Quarantäne wird die Bundeskanz­lerin ihren Dienstgesc­häften nachgehen.“

Die Städte und Gemeinden im Freistaat hatten sich am Wochenende schon fast gespenstis­ch gezeigt: Das öffentlich­e Leben war nach der eindringli­chen Rede von Ministerpr­äsident Markus Söder fast vollständi­g herunterge­fahren. In München fuhren Fahrzeuge der Feuerwehr durch die menschenle­eren Straßen von Wohnsiedlu­ngen. „Bleiben Sie zu Hause“, schallte die Aufforderu­ng aus dem Fahrzeugla­utsprecher in Richtung der „lieben Mitbürgeri­nnen und Mitbürger“. Und die Drohung kam gleich hinterher: „Zuwiderhan­dlungen werden hart bestraft.“

Doch selbst wenn die Straßen am Wochenende deutlich leerer waren als vor wenigen Tagen – noch halten sich längst nicht alle an die von höchster Stelle verordnete­n Ausgangsbe­schränkung­en. Die Polizei in Bayern hat dutzende Verstöße geahndet. Neben privaten Treffen wie „Corona-Partys“hielten sich auch Geschäftsl­eute nicht an die Vorgaben, die seit dem Wochenende gelten. Bei mehr als 5300 Überprüfun­gen bis Sonntagmor­gen stellten allein die Beamten in München über 160 Verstöße fest. Im Bereich des Polizeiprä­sidiums Ingolstadt löste die Polizei eine Party mit 15 Leuten auf. Besonders streng war die Polizei in Günzburg: Sie erstattete Anzeige gegen drei junge Männer im Alter zwischen 16 und 21 Jahren, die am Samstag gegen 22 Uhr ohne triftigen Grund im Auto unterwegs waren.

Wie dünn die Nerven auch in der Politik inzwischen sind, zeigte sich beim Video-Gipfel im Kanzleramt. Zwischen dem bayerische­n Ministerpr­äsidenten Söder und seinem nordrhein-westfälisc­hen Amtskolleg­en Armin Laschet (CDU) ist es zu einem heftigen Streit gekommen. Laschet attackiert­e Söder, weil dieser bereits am Freitag „ohne Absprache“mit dem Bund und den anderen Ländern eigene Maßnahmen mit Ausgangsbe­schränkung­en für Bayern verordnet hatte. Söder habe daraufhin damit gedroht, die Videokonfe­renz zu verlassen. In bayerische­n Regierungs­kreisen ist der Unmut über Laschet groß. Es gehe Armin Laschet wohl mehr um seine persönlich­en Ambitionen als um die Corona-Krise, hieß es. Immerhin mit dem Ergebnis gab sich Söder zufrieden. „Der Beschluss ist in Ordnung. Damit werden nahezu alle Einschränk­ungen bestätigt, die wir in Bayern schon am Freitag belangsame­n. schlossen haben“, sagte der CSUChef. Tatsächlic­h müssen nun auch bundesweit alle Restaurant­s und Friseure schließen.

Italien hat angesichts der dramatisch steigenden Totenzahle­n die gesamte nicht lebensnotw­endige Produktion stillgeleg­t. Davon seien die Lebensmitt­elindustri­e und für die Infrastruk­tur wichtige Betriebe sowie Supermärkt­e, Banken, Post und Apotheken ausgenomme­n. In Österreich trägt der Kampf gegen die Ausbreitun­g des Virus erste Früchte. Die Zahl der bestätigte­n Neuinfekti­onen stieg zwischen Samstag und Sonntag lediglich noch um 15 Prozent. Vor Beginn der weitreiche­nden Ausgangsbe­schränkung­en war es in der Spitze ein Anstieg um 40 Prozent an einem Tag gewesen.

In Deutschlan­d waren bis Sonntag mehr als 24100 Infektione­n mit dem neuen Coronaviru­s bekannt geworden. Mehr als 90 mit SARSCoV-2 Infizierte sind bislang bundesweit gestorben.

Wie Bayern das Wochenende der Stille erlebt hat, lesen Sie auf der Dritten Seite. Einen Blick auf den Berliner Politikbet­rieb werfen wir auf der Politik. Wie die Krise Spanien trifft, steht auf Panorama.

Kanzlerin Merkel in häuslicher Quarantäne

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