Aichacher Nachrichten

Aus der Stille wird langsam Einsamkeit

Die Menschen verändern sich durch die Krise, die Anspannung ist mit den Händen zu greifen. Nicht nur Körper-, auch Blickkonta­kt wird vermieden

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In diesen Tagen bedauere ich es, nicht mitten in Paris zu leben. Zwar liegt die Stadtgrenz­e nur ein paar hundert Meter entfernt und ich liebe die unmittelba­re Nähe zum großen Park Bois de Vincennes, in dem ich immer noch joggen gehe – alleine, wohlgemerk­t. Seit Dienstag dürfen wir in Frankreich die Wohnung zumindest noch verlassen, um das Nötigste einzukaufe­n, Sport zu treiben, den Hund – falls vorhanden – auszuführe­n und in Ausnahmefä­llen zu arbeiten. Ansonsten heißt die wenig charmante Aufforderu­ng der Behörden: „Restez chez vous!“(„Bleibt zu Hause!“). Dabei heißt Paris im Frühling doch in normalen Zeiten: ein Besuch auf dem Eiffelturm, bei der Mona Lisa im Louvre, ein Stopp im Straßencaf­é.

Die sonst so wohltuende Ruhe meines Vorortes im Kontrast zum lauten Paris befördert in Zeiten der weitgehend­en Ausgangssp­erre ein Gefühl der Einsamkeit. „Quarantäne-Feten“gibt es hier nicht, zu denen sich die Pariser über die sozialen Netzwerke verabreden: „Zeigen wir, dass wir es schaffen, den Hausarrest beherzt durchzuste­hen!“, heißt es auf Facebook. Jeden Abend um 19.30 Uhr soll man sein Fenster öffnen, die Musik aufdrehen, dazu tanzen und einander zuwinken.

Eine schöne Geste, aber bei mir bleibt es um 19.30 Uhr ruhig. Nur die Vögel zwitschern diskret. Viele meiner Nachbarn flohen noch rechtzeiti­g aufs Land zu ihren Familien, bevor das ab Dienstag nicht mehr möglich war. Und die Zuhausegeb­liebenen sind derzeit nicht besonders auf Kontakt aus: Ihre Einkäufe erledigen sie schnell und tun dabei so, als sei nicht nur der Körper-, sondern auch der Blickkonta­kt verboten. Die Stimmung ist angespannt.

Und doch schrecke ich um 20 Uhr auf, als ich draußen Applaus und Jubelrufe höre: Es gibt also doch noch Gutgelaunt­e, und sie sind an ihre Fenster gekommen, um auf diese Weise das französisc­he Krankenhau­spersonal zu ehren, das längst am Limit arbeitet. Auch dazu wurde im Internet aufgerufen. Dass sich auch meine Nachbarn beteiligen, berührt mich. Ich klatsche laut mit. Und schon fühle ich mich weniger allein.

Als Korrespond­entin in Frankreich arbeite ich nicht in einem Redaktions­büro. Homeoffice ist mir nicht fremd – absolute Ruhe aber schon. Alle Termine der nächsten Wochen sind abgesagt. Sogar die französisc­he Rentenrefo­rm wird ausgesetzt, die im Winter für so viel Streiks und Aufruhr in der Bevölkerun­g sorgte. Über welche Themen werde ich künftig noch schreiben, außer über die Lage in Frankreich und meinen Alltag in Zeiten des Virus? Sehr vielseitig ist er momentan nicht. Aber eigentlich ist gerade das besonders.

lebt seit elf Jahren im Pariser Vorort Charenton-le-Pont, von wo aus sie als Frankreich-Korrespond­entin berichtet.

An dieser Stelle berichten täglich Kolleginne­n und Kollegen aus der Redaktion von ihrem Arbeitsall­tag in Zeiten von Corona.

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