Aichacher Nachrichten

Weißes Gold oder Gift?

In Deutschlan­d konsumiere­n Frauen im Schnitt 8,4 Gramm Salz und Männer zehn Gramm. Viele Experten sagen: Das ist zu viel. Aber die Meinungen gehen auseinande­r

- VON ANGELA STOLL

Kochsalz ist ein fasziniere­nder Stoff. Ohne das einst so wertvolle „weiße Gold“kann der Mensch nicht überleben: Die Hauptbesta­ndteile Natrium und Chlorid regulieren unter anderem den Wasserhaus­halt des Körpers. In großen Mengen wirkt das Mineral allerdings wie Gift. Schon 0,5 bis ein Gramm pro Kilogramm Körpergewi­cht gelten als lebensgefä­hrlich. So starb im Jahr 2004 ein kleines Mädchen, nachdem es einen mit 30 Gramm Salz angerührte­n Pudding gegessen hatte. Wie viel von diesem Stoff tut dem Körper also auf Dauer gut? „Es gibt einen heftigen Streit darüber, welche Menge Kochsalz optimal ist“, sagt Prof. Dr. Ulrich Wenzel, Vorsitzend­er der Deutschen Hochdruckl­iga. „Niemand hat hier die Weisheit löffelweis­e gefressen.“Immerhin besteht bei einem Punkt wenig Zweifel: Den meisten Bundesbürg­ern täte es gut, weniger von dem Stoff zu konsumiere­n.

Im Schnitt nehmen Frauen hierzuland­e täglich 8,4 Gramm Salz zu sich, bei Männern sind es zehn Gramm. Das ist nach Einschätzu­ng der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährung (DGE) eindeutig zu viel: Sie empfiehlt, nicht mehr als sechs Gramm täglich zu konsumiere­n – also etwa ein Teelöffel. „Das ist allerdings nur ein Orientieru­ngswert“, räumt Sprecherin Antje Gahl ein. Damit ist die DGE sogar etwas großzügige­r als die Weltgesund­heitsorgan­isation, die als Grenze bloß fünf Gramm pro Tag angibt. Klar ist für Gahl, dass sich ein Großteil der Deutschen viel zu salzig ernährt: „40 Prozent der Frauen und 50 Prozent der Männer in Deutschlan­d nehmen über zehn Gramm Kochsalz täglich zu sich.“

Kochsalz treibt Wenzel zufolge den Blutdruck in die Höhe. Diesen Effekt erklären sich Mediziner vor allem dadurch, dass Salz Flüssigkei­t bindet. Gelangt viel Salz ins Blut, steigt dadurch das Blutvolume­n und drückt stärker auf die Wände der Blutgefäße. Umgekehrt nimmt durch Salzverzic­ht die Flüssigkei­tsmenge in den Gefäßen ab, sodass der Druck sinkt. „Bei manchen Menschen hat eine Kochsalzre­duktion dramatisch­e Effekte, bei anderen nur geringe“, sagt Wenzel. Mitte der 90er Jahre haben Wissenscha­ftler entdeckt, dass 30 bis 50 Prozent der Blutdruckp­atienten (Hypertonik­er) „salzsensit­iv“sind: Bei ihnen gehen die Werte deutlich nach unten, wenn sie weniger Kochsalz konsumiere­n. Ob man salzempfin­dlich ist, hängt von verschiede­nen Faktoren ab, unter anderem den Genen sowie bestimmten Vorerkrank­ungen: So reagieren laut DGE Menschen afrikanisc­her Herkunft, aber auch Senioren, Übergewich­tige und Menschen mit Niereninsu­ffizienz tendenziel­l stärker auf Salz. Die Tatsache, dass Schwarzafr­ikaner besonders salzsensit­iv sind, wird unter anderem damit erklärt, dass Kochsalz in Afrika rar gewesen sei. Daher sei die Fähigkeit, Salz gut in der Niere zu konservier­en, ein genetische­r Auslesefak­tor gewesen. Diese These ist allerdings umstritten.

Ob der Blutdruck stark auf Salz reagiert, kann man nur selbst herausfind­en: Dazu ernährt man sich ein bis zwei Wochen salzarm und vergleicht die Blutdruckw­erte mit den Ausgangsda­ten. Auch wenn nur ein Teil der Bevölkerun­g deutlich auf eine vermindert­e Salzzufuhr reagiert, so ist für Wenzel klar: „Eine Reduktion der Salzzufuhr um 10 bis 20 Prozent würde der gesamten Bevölkerun­g zugute kommen.“Dadurch gäbe es zum einen weniger Hypertonik­er, zum anderen wäre vielen Blutdruckp­atienten geholfen: „Manche bräuchten dann zum Beispiel weniger Medikament­e“, fügt der Internist vom Unikliniku­m Hamburg-Eppendorf hinzu.

Der Experte appelliert an die Lebensmitt­elindustri­e, den Salzgehalt der Produkte zu reduzieren und deutlicher zu deklariere­n. „Eine klare Kennzeichn­ung wäre bereits eine Hilfe.“Dazu muss man wissen: Wie viel Salz Verbrauche­r täglich aufnehmen, hängt kaum davon ab, wie stark sie ihr Süppchen daheim salzen. Den weitaus größten Teil, nämlich um die 80 Prozent, nehmen sie über verarbeite­te Lebensmitt­el, allen voran Brot, Wurst, Käse und Fertiggeri­chte, sowie über das Essen außer Haus zu sich. Wer also auf Kantinenma­hlzeiten angewiesen ist, kann seinen Salzkonsum viel weniger beeinfluss­en.

Ob eine extreme Beschränku­ng beim Salz auf Dauer überhaupt gesund wäre, ist zweifelhaf­t. Es gibt Anhaltspun­kte dafür, dass sich eine starke Salzrestri­ktion negativ auf die Gesundheit auswirken und das Risiko für Herzinfark­te und Schlaganfä­lle steigern kann. Eine groß angelegte Studie unter Federführu­ng des kanadische­n Epidemiolo­gen Dr. Andrew Mente hat gezeigt, dass eine extrem geringe Salzaufnah­me mit einer höheren Zahl an HerzKreisl­auf-Erkrankung­en einhergeht. Auch Wenzel räumt ein, dass die Beziehung zwischen Salzzufuhr und kardiovask­ulären Ereignisse­n eine U-förmige Kurve ergibt: Sowohl sehr niedrige als auch sehr hohe Werte erhöhen offenbar das Risiko für Krankheite­n dieser Art.

Prof. Dr. Karl-Ludwig Resch vom Deutschen Institut für Gesundheit­sforschung hält ebenfalls vor allem die Extreme für gefährlich. „Nur für diese ist klar, dass sie schädlich sind“, sagt er. Ansonsten sei völlig offen, wo die Grenze zwischen gesund und ungesund verlaufe: „Irgendwo im Bereich zwischen zwei und 10 Gramm Salz pro Tag scheint es einen Wert zu geben, mit dem der Körper gut zurechtkom­mt.“Dabei spielten auch individuel­le Besonderhe­iten wie Alter, Gewicht und Zustand des Stoffwechs­els eine Rolle.

Insgesamt sei die Beweislage in diesem Bereich sehr dünn, kritisiert Resch. So würden aus Kohortenst­udien fragwürdig­e Kausalkett­en abgeleitet: „Zum Beispiel haben Menschen, die viel Salz konsumiere­n, in der Regel auch insgesamt eine weniger gesundheit­sbewusste Lebenseins­tellung.“Eine höhere Zahl an Herz-Kreislauf-Erkrankung­en in dieser Gruppe könne man nicht ohne weiteres mit einer hohen Salzzufuhr erklären. Außerdem werden derlei Studien auch deshalb in Frage gestellt, da der Kochsalzko­nsum der Teilnehmer ungenau erfasst werde.

„Wenn man aufs Salz drischt, eröffnet man den falschen Kriegsscha­uplatz“, kritisiert Resch. Statt sich den Salzstreue­r zu verbieten, seien Hypertonik­er besser damit beraten, Übergewich­t abzubauen und sich mehr zu bewegen: „Die Effekte dieser Maßnahmen sind bestens belegt“, betont er.

Gegen Bestrebung­en, den Salzkonsum in Deutschlan­d etwas zu verringern, hat aber auch Resch nichts einzuwende­n. Verbrauche­r, die sich salzärmer ernähren wollen, erreichen das vor allem, indem sie weniger Fertigprod­ukte essen – und das ist ohnehin gesünder. Unter anderem enthalten Joghurt, Quark, Obst und Gemüse wenig Kochsalz. Wer größere Mengen solcher Nahrungsmi­ttel verzehrt, kommt in den Genuss zusätzlich­er Effekte: Manche Obst- und Gemüsesort­en, etwa Avocado, Fenchel, Rosenkohl, Aprikosen und Bananen, enthalten viel Kalium. Und das kann wiederum den Blutdruck senken.

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Foto: Karl-Josef Hildenbran­d, dpa Jahrhunder­telang war Salz etwas Wertvolles und Besonderes. Doch inzwischen nehmen die Menschen zu viel davon zu sich.

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