Aichacher Nachrichten

Löschen und erneut anzünden

IOC-Präsident Thomas Bach gerät immer mehr unter Druck. Viele Sportler fordern die Verlegung der Olympische­n Spiele. In Deutschlan­d sollen die Athleten abstimmen

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Frankfurt/Main Unter dem beispiello­sen Druck der weltweit wachsenden Kritik steuert Thomas Bach um. Der IOC-Präsident ist von der Strategie des sturen Festhalten­s an der planmäßige­n Austragung der Tokio-Spiele abgerückt. Inzwischen hat der Chef des Internatio­nalen Olympische­n Komitees eingeräumt, auch verschiede­ne Szenarien in Betracht zu ziehen. Einen Totalausfa­ll der Sommerspie­le schließt er aus. „Sie können nur dann verantwort­lich handeln, wenn Sie verlässlic­he und klare Entscheidu­ngsgrundla­gen haben“, sagte der 66 Jahre alte Fecht-Olympiasie­ger von 1976 im SWR-Interview am Samstag.

Mehrere Szenarien wären bei einer wohl immer näher rückenden Absage denkbar: Die Verschiebu­ng der vom 24. Juli bis 9. August geplanten Tokio-Spiele auf den Herbst, auf Sommer 2021 oder gar auf 2022. Am wahrschein­lichsten dürfte die Verlegung um ein Jahr sein, was angesichts des bereits fixierten Terminkale­nders im Weltsport auch eine monumental­e Entscheidu­ng nie dagewesene­r Dimension wäre. Im Sommer 2021 sind zum Beispiel die Weltmeiste­rschaften im Schwimmen in Fukuoka/Japan und die der Leichtathl­eten in Eugene/USA vorgesehen. Gegen 2022 spricht, dass in dem Jahr die Olympische­n Winterspie­le im Februar und die Fußball-WM im November und Dezember stattfinde­n.

„Es wäre besser gewesen, wenn man von Anfang an gesagt hätte, dass man auch nach Alternativ­en sucht“, sagte Max Hartung, Vorsitzend­er des Vereins „Athleten Deutschlan­d“. Der frühere FechtEurop­ameister hat entschiede­n, nicht an Tokio-Spielen teilzunehm­en, wenn sie doch im Sommer stattfinde­n sollten. Mit diesem Schritt wolle er ein Zeichen setzen.

Dagegen schließt Hürdenspri­nterin Cindy Roleder einen Tokio-Start nicht aus. „Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich auf gar keinen Fall hinfahren würde“, sagte die Leichtathl­etin vom SV Halle der dpa. „Dann würde ich nicht auf Biegen oder Brechen versuchen, irgendwie weiter zu trainieren und fit zu bleiben.“

Der Deutsche Olympische Sportbund informiert­e am Samstagabe­nd rund 200 Topsportle­r in einer Videokonfe­renz über den Stand der Olympia-Debatte. Seine Athleten, die qualifizie­rt sind oder es noch schaffen könnten, forderte der DOSB auf, sich in einer Abstimmung für oder gegen die planmäßige Austragung der Sommerspie­le auszusprec­hen. „Der DOSB macht es sehr gut“, lobte Hartung die Dachorgani­sation und erklärte zur Abstimmung: „Es ist das klare Bekenntnis da, das Votum der Athleten mit in die Position des DOSB zu den Spielen einzubezie­hen. Das ist einmalig auf der Welt.“

Auch vom IOC würde er sich wünschen, mehr „mit offenen Karten“zu spielen. Stattdesse­n hielten IOC und Gastgeberl­and an den olympische­n Ritualen der SpieleVorb­ereitung fest. „Mit einer Absage des Fackellauf­s hätte man ein Zeichen setzen können, dass man während der Pandemie an der Seite der Menschen steht“, kritisiert­e Hartung. Ungeachtet davon kamen am Samstag mehr als 55000 Menschen zum Bahnhof Sendai im Nordosten von Japan, um das dort angekommen­e olympische Feuer in Empfang zu nehmen. Dabei hatte die Regierung die Öffentlich­keit aufgeforde­rt, große Versammlun­gen zu vermeiden.

Zu einer Verschiebu­ng des größten Sportereig­nisses der Welt hat auch die internatio­nale Athletenve­reinigung „Global Athlete“das IOC aufgeforde­rt. „Wenn sich die Welt zusammensc­hließt, um die Verbreitun­g des Covid-19-Virus zu begrenzen, muss das IOC das Gleiche tun“, hieß es in einer Mitteilung der Organisati­on vom Sonntag.

Gegen einen sofortigen Beschluss des IOC ist Bahnradfah­rer Maximilian Levy: „Alle schreien jetzt nach der Absage.“Er hoffe, das sich das

IOC nicht dem Druck beuge, sondern sich „die nötige Zeit“für diese schwerwieg­ende Entscheidu­ng nehme. „Wenn man jetzt absagt – da brechen Welten zusammen“, so der Olympia-Medailleng­ewinner.

Die Beeinträch­tigung der Olympia-Vorbereitu­ng und Qualifikat­ionen sind ohnehin massiv. In den Ländern sind zudem die Einschränk­ungen der Trainingsm­öglichkeit­en und die der Dopingkont­rollen der besten Athleten der Welt höchst unterschie­dlich – und damit die Chancengle­ichheit bei einer Austragung der Tokio-Spiele im Sommer nicht gewährleis­tet. „Es ist klar, dass es eine Verzerrung des Wettbewerb­s geben wird“, sagte der Nürnberger Pharmakolo­ge Fritz Sörgel bei Sport1. Der Anti-Doping-Experte rechnet erst im kommenden Jahr wieder mit einem regulären Kontrollsy­stem.

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Foto: Aris Messinis, dpa Das olympische Feuer wurde erst vor wenigen Tagen nach Japan gebracht. Nun steht es bereits kurz vor dem Erlöschen. Viel spricht dafür, dass die Spiele verschoben werden.

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