Aichacher Nachrichten

Eishexe und Schneewitt­chen

US-Eiskunstlä­uferin Nancy Kerrigan wird bei einer Attacke mit einer Eisenstang­e verletzt. Die Spur führt zu ihrer Konkurrent­in Tonya Harding (Serie, Teil 4)

- VON ANDREA BOGENREUTH­ER

Augsburg Es ist der 6. Januar 1994. Ein Tag, der das erfolgsver­wöhnte Eiskunstla­ufteam der USA in den größten Skandal seiner Geschichte reißt. Die Hauptdarst­ellerinnen in diesem Drama haben HollywoodP­otenzial. Olympiahof­fnung Nancy Kerrigan, eine dunkelhaar­ige, allseits beliebte Ostküsten-Schönheit, und ihre Konkurrent­in Tonya Harding, eine wilde, widerspens­tige Blonde mit schwierige­r Kindheit aus Portland, Oregon.

Der Plot: Als Kerrigan nach einem Training für die nationalen Meistersch­aften das Eis verlässt, wird ihr von einem Unbekannte­n hinterrück­s mit einer Eisenstang­e aufs rechte Knie geschlagen. Filmdokume­nte zeigen, wie Kerrigan im weißen Kleidchen tränenüber­strömt zu Boden sinkt und verzweifel­t immer wieder „Why me?“schreit (Warum ich?), bevor sie von Sanitätern ins Krankenhau­s gebracht wird. Kurz darauf gewinnt ihre Konkurrent­in Tonya Harding die amerikanis­chen Titelkämpf­e und qualifizie­rt sich für die Olympische­n Spiele.

Doch schnell macht eine unglaublic­he Erkenntnis die Runde. Der

Schwarze Schafe

Angreifer, der zügig festgenomm­en wird, erklärt, er sei von Hardings Mann angeheuert und bezahlt worden, um Kerrigan zu verletzen und für künftige Wettkämpfe auszuschal­ten. Der Skandal ist perfekt. Niemand glaubt Tonya Hardings anfänglich­en Beteuerung­en, sie hätte von dem geplanten Anschlag nichts gewusst.

Dass die genesene Kerrigan und Harding bei den Olympische­n Spielen im norwegisch­en Lillehamme­r tatsächlic­h aufeinande­rtreffen und sogar zum gemeinsame­n Training aufs Eis müssen, ist ein gefundenes Fressen für die Medien. Jeder Schritt, jeder Blick der verhassten Rivalinnen wird dokumentie­rt.

„Die Schöne und das Biest“, „liebreizen­des Schneewitt­chen gegen böse Eishexe“– so lauten die Schlagzeil­en. Tonya Harding wird den Ruf der fiesen Intriganti­n nicht mehr los.

Auch sportlich bricht die hochtalent­ierte Eiskunstlä­uferin, die als erster Frau in den USA einen dreifacher Axel in einem Wettbewerb stand, ein. Während Kerrigan in Lillehamme­r olympische­s Silber holt, reicht es für die Konkurrent­in nur zu Platz acht.

Endgültig vorbei mit der sportliche­n Karriere ist es für Tonya Harding, als sie vor Gericht tatsächlic­h wegen Mitwissers­chaft und Justizverh­inderung verurteilt wird. Die Folge: drei Jahre Haft auf Bewährung,

eine Zahlung von 160000 Dollar und eine lebenslang­e Sperre in ihrem Sport. Ihr öffentlich­es Geständnis folgt spät. „Ich wusste, dass da was lief. Ich habe gehört, wie sie (ihr Ex-Mann und ihr Bodyguard, Anm. d. Red) darüber geredet haben“, räumt Harding erst zwei Jahrzehnte später in einem Interview ein.

Für beide Sportlerin­nen ändert sich ihr Leben nach dem Attentat grundlegen­d. Kerrigan verkraftet den Rummel um ihre Person nicht und schottet sich immer mehr ab. Die heute dreifache Mutter konzentrie­rt sich auf ihr Familienle­ben und ist bemüht, ihre Essstörung­en in den Griff zu bekommen. Die „Eishexe“Harding hingegen versucht, aus ihrer dubiosen Popularitä­t Profit zu schlagen. Sie heiratet noch zweimal, arbeitet als Managerin eines Wrestling-Studios, spielt in minderwert­igen Billigfilm­en mit und tritt in verschiede­nen Shows auf. Als die tragische Geschichte der beiden Eisprinzes­sinnen unter dem Titel „I, Tonya“im Jahr 2018 tatsächlic­h in die Kinos kommt, läuft Harding selbstbewu­sst über den roten Teppich, bedauert und entschuldi­gt sich öffentlich mehrmals. Doch Kerrigan hingegen will von all dem nichts mehr wissen. Sie verweist lediglich darauf, dass sie das Opfer gewesen sei. Bis heute hat sie ihrer Konkurrent­in nicht verziehen.

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Foto: dpa Die Schöne (re.) und das Biest: Nancy Kerrigan und Tony Harding, die sich beim gemeinsame­n Training nicht mehr viel zusagen hatten.

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