Die Titelfeier fällt diesmal kurz aus
Mit dem GSV Augsburg hat Christian Schorer jüngst den deutschen Meistertitel im Curling gewonnen. Für den 45-Jährigen ist das nicht der erste Erfolg, er ist sogar Fußball-Weltmeister
Ein paar Schritte Anlauf, das Knie aufs Eis setzen, den Stein ins Gleiten bringen und gefühlvoll loslassen. Manch einer mag Curling wenig abgewinnen, in Christian Schorer löst diese Sportart Begeisterung aus. Und doch erlebt er das Geschiebe auf glatter Fläche auf andere Weise. Schorer ist von Geburt an gehörlos. Dass der Mannschaftskapitän mal kurz Kommandos gibt, dass er zum charakteristischen Wischen auffordert oder die Teammitglieder in ihrem Aktionismus bremst, das sei daher nicht möglich, teilt Schorer mit und berichtet von einem weiteren Unterschied: „Auch das Gleichgewicht muss zusätzlich trainiert werden. Dieses Problem haben Curler mit gesunden Ohren nicht.“
Sein angeborenes Handicap hat den 45-Jährigen nie davon abgehalten, sportliche Höchstleistungen zu vollbringen. Seine größten Erfolge feierte er mit Mitte 20 im Fußball.
Die Curler des GSV Augsburg (von links: Jörg Groh, Herbert Lutz, Christian Schorer und Bernhard Feuerer) gewannen den deutschen Meistertitel.
Zwischen 2000 und 2009 trug er in 24 Länderspielen das deutsche Nationaltrikot, 2008 gewann er mit seiner Landesauswahl in Griechenland sogar den Weltmeistertitel. Zuvor feierte er ebenso im Verein Erfolge, als Jugendlicher gewann er in den 90er Jahren dreimal in Folge mit dem GSV Augsburg die deutsche
Jugendmeisterschaft; 2004 fügte er seiner Sammlung den nationalen Titel bei den Erwachsenen hinzu. Zweimal erhielt Schorer für seine Verdienste vom Bundespräsidenten das Silberne Lorbeerblatt.
Inzwischen beschränkt sich Schorer im Sommer auf Faustball und im Winter auf Curling. Der sportliche
Ehrgeiz hat unter der Umstellung auf andere Sportarten nicht gelitten. Im Gegenteil. Auch dort strebt er nach Titeln und Triumphen. Jüngster Beweis: der Gewinn der deutschen Curling-Meisterschaft. Vor einigen Tagen hat Schorer mit den Augsburger Teamkameraden Herbert Lutz, Jörg Groh und Bernhard Feuerer in Hamburg triumphiert.
Auch wenn die Mannschaft im Jahr zuvor den Vizemeistertitel geholt hatte, wirklich mit dem Erfolg rechnen konnte sie nicht. Im Nachgang beschreibt Schorer den Turnierverlauf und vor allem die letzte Partie als ein „Drama“. „Wir lagen eigentlich aussichtslos zurück, haben unsere Hoffnung aber nicht aufgegeben.“Die Augsburger bissen sich ins Match und siegten letztlich.
Die Titelfeier nach drei anstrengenden und nervenaufreibenden Tagen fiel indes kurz aus. Ein Bierchen gönnte sich das Quartett nach der Siegerehrung, ehe es zum Flughafen eilte. Schorer begründet den fluchtartigen Aufbruch: „Der Coronavirus war in unseren Köpfen, wir wollten so schnell wie möglich nach Hause.“
Der Erfolg fußte auf einem enormen Trainingspensum. In den Wintermonaten fahren die Augsburger regelmäßig nach Füssen ins Bundesleistungszentrum und absolvieren dort bis zu fünf Stunden lang ihre Übungseinheiten. Sie sind zugleich Mitglieder des CCF Füssen und starten bei Wettkämpfen teils mit hörenden Sportlern. Fachwart Josef Scheitle berichtet deutschlandweit von derzeit neun Gehörlosen-Sportvereinen, die Curling betreiben, vier befänden sich zudem im Aufbau.
Seit knapp sechs Jahren bietet diesen Eissport der GSV Augsburg an. Schorer ist dort nicht nur als Sportler aktiv, seit 2018 ist er ausgebildeter Breitensport-Übungsleiter und gibt sein Wissen als Fußballtrainer an hörbehinderte Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren weiter. Schorer ist verheiratet und hat zwei
Kinder im Alter von sechs und neun Jahren. Der Industriemechaniker lebt in Kissing und pendelt von dort aus zu seiner Arbeitstelle nach München.
Inwieweit er in den nächsten Wochen seine sportlichen Ziele verwirklichen kann, hängt von der aktuellen Entwicklung ab. Covid-19 bringt das soziale Leben zum Erliegen, wegen der Corona-Krise sind Sportstätten geschlossen und Vereine mussten ihren Betrieb einstellen. Schorer plante eine Teilnahme am Deutschen Gehörlosen Sportfest in Dresden. Inzwischen hat der Organisator die Veranstaltung verschoben, sie soll Mitte Mai nächsten Jahres nachgeholt werden.
Im Curling macht sich der Kissinger nach dem jüngsten Erfolg in Hamburg Hoffnungen auf eine Teilnahme an der Weltmeisterschaft. Im nächsten Jahr trägt Kanada die Titelkämpfe aus. Wie sich ein WMTitel anfühlt, weiß Christian Schorer ja bereits.