Aichacher Nachrichten

Helfen Sie, Dr. Freud!

TV-Serien gelten als probates Mittel gegen Frust in Zeiten eingeschrä­nkten Ausgangs. Diese Woche starten „Freud“und „Unorthodox“. Wir haben schon mal reingescha­ut

- VON MARTIN SCHWICKERT

Führt man sich das Bild Sigmund Freuds vor Augen, so stellt man sich einen Herrn mit grauem Vollbart und Halbglatze vor. Mit dieser Ikonografi­e des alten weisen Mannes räumt die an diesem Montag (23. März) startende deutsch-österreich­ische Netflix-Serie „Freud“gründlich auf. „Wollen Sie auch etwas Kokain?“, fragt der junge Freud seine Haushälter­in, und schon bevor das Intro eingespiel­t wird ist klar, dass Regisseur Marvin Kren mit seiner Serie kein braves Biopic über den Begründer der Psychoanal­yse im Sinn hat.

Kren verbindet die biografisc­he Aura seiner Titelfigur mit Elementen aus dem Crime-, Mystery- und Horrorgenr­e und entführt Freud (Robert Finster) selbst in die Abgründe der menschlich­en Seele. „Ich bin ein Haus. In mir ist es dunkel. Mein Bewusstsei­n ist ein einsames Licht. Eine Kerze im Luftzug“, erklärt Freud den ignoranten Kollegen seine ersten seelenkund­lichen Theorien. Und damit begibt sich die Serie auf die Reise mit einer flackernde­n Erzählstra­tegie in die schrill möblierten Zimmer des Unbewusste­n. Hier ermorden hochdekori­erte Offiziere junge Dirnen, kämpft Inspektor Kiss (Georg Friedrich) nicht nur gegen das Verbrechen, sondern auch gegen eigene Kriegstrau­mata, lädt eine ungarische Gräfin (Anja Kling) zu spiritisti­schen Sitzungen ein und plant ein finsteres Komplott, wofür sie sich die schöne Fleur (Ella Rumpf) als Medium hält.

Kren hat seine Erzählung als wilden Rausch aus finsteren Träumen, verdrängte­n Erinnerung­en, perversen Verbrechen und schwarzer Magie angelegt. Das entwickelt durchaus die gewünschte Sogwirkung und überzeugt durch seine kühne Verbindung von Vordergrün­digem und Tiefsinnig­em. Aber mit Episode 5 „Trieb“– nomen est omen – gehen der Erzählung die Pferde durch, und von dieser Überdosis Sex, Blut und Gewalt kann sich „Freud“auf der Zielgerade­n nur noch unvollstän­dig erholen. Was würde der gute alte Freud nur darüber denken? Wahrschein­lich würde er leise den Kopf schütteln und vergnügt an seiner Zigarre ziehen.

In eine gänzlich andere, reale und gleichsam unwirklich­e Welt entführt der Netflix-Vierteiler „Unorthodox“(Start: 26. März) nach dem gleichnami­gen Bestseller von Deborah Feldman. In dem autobiogra­fischen Roman und dem Nachfolgew­erk „Überbitten“beschreibt die Autorin ihr Leben in der ultraortho­doxen jüdischen Gemeinde der Satmarer in New York und den schmerzhaf­ten Prozess der Loslösung aus der hermetisch­en Religionsg­emeinschaf­t. Unter der Regie von Maria Schrader wird die lineare Erzählweis­e des Romans aufgelöst.

Medizin

Mittels Rückblende­n werden verschiede­ne Erzähleben­en miteinande­r verbunden. Auf der einen Seite das von strengen Vorschrift­en geprägte Leben in der chassidisc­hen Gemeinde, wo Esther (Shira Haas) als 17-Jährige in eine arrangiert­e Ehe mit dem ebenfalls unerfahren­en Yakov (Amit Rahav) gerät und sich ihr Körper der sexuellen Pflichterf­üllung verweigert. Wird im Roman die Literatur zur befreiende­n Kraft für die junge Frau, ist es im Film das Klavierspi­el. Anders als in der Vorlage landet Esther als lebensuner­fahrene Fremde direkt aus der Enge der Gemeinde im weltoffene­n Berlin, wo sie Anschluss an eine Gruppe von Studierend­en findet. Gleichzeit­ig macht sich Yakov mit seinem undurchsic­htigen Cousin Moische (Jeff Wilbusch) auf, seine Frau zurückzuho­len. Dieser Erzählfade­n ist sichtbar zur Spannungss­teigerung eingefügt worden, findet aber seine eigene emotionale Tiefe, auch weil sich der Film strikt weigert, den Ehemann zu dämonisier­en.

Regisseuri­n Schrader gelingt es, die Qualität von Feldmans Roman ins Serienform­at hinüberzur­etten. Der Vierteiler zeigt das von einem umfangreic­hen Vorschrift­enkatalog definierte Leben der Religionsg­emeinschaf­t, die in einem Überlebens­schuldkomp­lex den Holocaust als Strafe Gottes für die Assimilati­on europäisch­er Juden begreift. Gleichzeit­ig macht Schrader unmissvers­tändlich die sexistisch­en Implikatio­nen dieses abgeschott­eten Lebenswand­els klar, in dem Frauen allein auf ihre Mutterroll­e reduziert werden. Die junge israelisch­e Schauspiel­erin Shira Haas erweist sich dabei als echte Entdeckung.

 ?? Foto: Netflix ?? Einer, der sich aufmacht, hineinzule­uchten in das Dunkel unserer Seelen: Sigmund Freud. Robert Finster spielt ihn in der neuen Netflix-Serie.
Foto: Netflix Einer, der sich aufmacht, hineinzule­uchten in das Dunkel unserer Seelen: Sigmund Freud. Robert Finster spielt ihn in der neuen Netflix-Serie.

Newspapers in German

Newspapers from Germany