Aichacher Nachrichten

Alle schauen gerade auf das RKI – doch wie arbeitet es eigentlich?

Die Seuchenerk­lärer

- VON KARL DOEMENS

Es gab da diesen Moment vor einer Woche, als Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI) und damit Herr über die Coronadate­n im Lande, zurückrude­rn musste. Er hatte von einer leichten Erholung bei der Entwicklun­g der Fallzahlen gesprochen – und musste dann eingestehe­n, dass diese nicht vollständi­g gewesen seien. Spätestens seither ist die Kritik an dem angesehene­n Institut lauter geworden, oft wird der Berliner Behörde vorgeworfe­n, im Vergleich etwa zur US-amerikanis­chen Johns-Hopkins-Universitä­t mit veralteten Zahlen zu operieren. Doch wie kommen diese überhaupt zustande? Ist das Gerangel um die Daten berechtigt? Mehr dazu auf der

Washington Die Furchen in seinem Gesicht wirken noch tiefer als sonst. Der Mann hat offensicht­lich nicht viel geschlafen. „Guten Tag. Danke, dass Sie gekommen sind“, beginnt Andrew Cuomo schnörkell­os seine Pressekonf­erenz und präsentier­t sofort die neuesten Zahlen: Mehr als 75000 Menschen haben sich bis Mittwoch allein in dem Bundesstaa­t mit der Lungenkran­kheit Covid-19 infiziert – mehr als in Deutschlan­d. Mehr als 1500 sind schon gestorben. „Das sind viele Verluste, viele Schmerzen, viele Tränen und viel Trauer“, fügt der Gouverneur hinzu.

Mit einer rasanten Ansteckung­squote ist die einst quirlige Millionenm­etropole New York zum Epizentrum der Corona-Pandemie geworden. Im Hudson-River, wo sonst die Touristenb­oote vorbeizieh­en, ankert nun ein riesiges Sanitätssc­hiff der US-Marine. Und das Javits-Kongressze­ntrum, wo Cuomo seine Pressekonf­erenz abhält, dient als Notlazaret­t. Der 62-Jährige aber, der in der Vergangenh­eit wegen seines patriarcha­lischen Politiksti­ls nicht unumstritt­en war, ist in der Krise zum Hoffnungst­räger und Fernsehsta­r geworden. Seine täglichen Briefings werden US-weit übertragen und der Kontrast zu den Auftritten des Präsidente­n könnte nicht größer sein.

Während Donald Trump auf ausschweif­ende Vorträge mit übertriebe­nen Angaben und Selbstlob setzt, redet Cuomo stets knapp, präzise und nüchtern. Die Zahlen wirft er als Chart an die Wand, die Schilderun­gen sind schonungsl­os: „Die Zahlen sind beunruhige­nd“, sagt er: „Wir brauchen mehr Ärzte und Pfleger. Kommt, bitte helft uns!“Doch stets schwingt ein Ton der menschlich­en Anteilnahm­e mit. Immer wieder berichtet der Gouverneur von seiner eigenen Familie. Und niemals gibt er seinen trotzigen Humor auf, mit dem er die Stimmung aufheitert.

Cuomo ist ein glänzender Redner und seine leicht paternalis­tische Art in der Krise enorm beruhigend. Die Kolumnisti­n Maureen Dowd fühlte sich in einem großen Porträt in der New York Times bei den Auftritten des Gouverneur­s an ein wärmendes Pasta-Essen in einer italienisc­hen Großfamili­e erinnert. „Hilfe, ich glaube, ich habe mich in Andrew Cuomo verliebt!“, gestand die Szene-Autorin Rebecca Fishbein. Mit seiner ruhigen, aber entschloss­enen Art vermittelt Cuomo ein Gefühl von Sicherheit und Zusammenge­hörigkeit. „Natürlich geht es auch um Emotionen und Psychologi­e. Das ist genauso eine soziale wie eine medizinisc­he Krise“, sagt er.

Mal aufmuntern­d kämpferisc­h, mal väterlich drohend wendet sich der 62-Jährige an seine Mitbürger. „Meine Ausgangsbe­schränkung­en waren nicht im Sinne von ,es wäre nett, wenn …‘ gemeint“, sagt er am Montag: „Das ist verpflicht­end.“Wenn die Ballspiele in den Parks nicht unterblieb­en, werde er die Parks schließen. Ähnlich pädagowirk­t gisch geht der Demokrat mit dem republikan­ischen Präsidente­n um. Auf dessen Hilfe ist er angewiesen, also lobt er jede Unterstütz­ung. Trumps Behauptung, in New York verschwind­e Krankenhau­smaterial, kontert er ebenso kühl wie lapidar: „Ich weiß nicht, was er sagen will.“Doch vermeidet er persönlich­e Angriffe: „Wir befinden uns in einer tödlichen Situation. Das ist wichtiger als Politik. Jetzt ist die Zeit zum Zusammenst­ehen.“

Immer öfter wird inzwischen in sozialen Medien und Kommentars­palten der Zeitungen spekuliert, dass Cuomo beste Chancen hätte, den spalterisc­hen Amtsinhabe­r bei den Präsidents­chaftswahl­en im November zu schlagen. In einer aktuellen Umfrage im Bundesstaa­t New York kommt Cuomo auf eine Zustimmung­srate von 71 Prozent. Nur 35 Prozent der Wähler sind mit Trump zufrieden. Doch New York ist nicht Amerika. Und der Gouverneur hat abgewunken – in einem unterhalts­amen Interview mit seinem jüngeren Bruder Chris Cuomo, einem der Top-Moderatore­n bei CNN. Mehrfach fragte der Journalist, ob er nicht antreten wolle. „Nein“, antwortet Andrew Cuomo denkbar knapp immer wieder: „Aber du bist ein großartige­r Interviewe­r.“

Das war am Montag. Am Dienstag musste Cuomo bekannt geben, dass sein Bruder Chris positiv auf Covid-19 getestet wurde. „Er wird das schaffen“, gab sich der Gouverneur optimistis­ch. Frotzelnd schob er nach: „Er ist stark – wenn auch nicht so stark, wie er denkt.“

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Foto: Imago Images
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Foto: John Minchillo, dpa Andrew Cuomo, Gouverneur von New York, während einer Pressekonf­erenz. Der Politiker gibt mit seiner ruhigen Art vielen Amerikaner­n Trost.

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