Was die Welt aus der Krise lernen muss
Das Coronavirus hinterlässt eine Spur, die als historisch bezeichnet werden kann. Doch was bleibt jenseits von Sterbetafeln und Schuldenständen?
Fein gearbeitet ist sie, mit Gold verziert. Engelsfiguren recken sich in den Himmel, ein Kreuz ziert die Spitze. Ein markantes Kunstwerk in der an Üppigkeit nicht gerade armen Stadt Wien. Noch heute erinnert die Säule an jene schwere Zeit, als in Österreich die Pest gewütet hat. Mehr als 300 Jahre ist das her, doch große Katastrophen brennen sich ein in das Gedächtnis der Menschheit. Sie hinterlassen ihre Spuren in den Geschichtsbüchern. Und sie verändern die Welt.
Auch das Coronavirus ist eine dieser Pandemien, die schon jetzt das Etikett „historisch“verpasst bekommt. Die Zeitung Economist zieht einen drastischen – und typisch britischen – Vergleich: „Covid-19 markiert eine ebenso tiefe Zäsur in der Geschichte wie Hitlers Blitzkrieg.“Tatsächlich werden es wohl vor allem die gigantischen Kosten sein, die der kommenden Generation verdeutlichen werden, wie gewaltig dieses Virus war, das die ganze Welt für einen Moment aus den Angeln gehoben und in einen Schockzustand versetzt hat. Doch was wird bleiben jenseits der Rechnungen? Was lernen wir aus dieser Krise für die Zukunft?
Am tiefsten ist die Zäsur für die Wirtschaft. Weltweite Lieferketten, lange die oberste Maxime der Kosteneffizienz, werden zum Problem. Nie war der Spruch „Wenn China hustet, zittert die ganze Welt“aktueller als heute – und das auch noch im wahrsten Sinne des Wortes. Doch zurückdrehen lässt sich die Globalisierung nur in Nuancen. Selbst wenn die Schlagbäume heruntergelassen werden, sind die Ökonomien stark voneinander abhängig. Gerade die schweren finanziellen Verluste werden Firmen zu weiteren Sparmaßnahmen zwingen. Billige Produktion mag ein Risikofaktor sein, doch eine radikale Umkehr dürfte schlicht nicht bezahlbar sein in einer ohnehin verwundeten Gesellschaft. Ein Mittelweg
muss her, und der fordert den Staat. Denn alleine mit Finanzspritzen wird es nicht getan sein. Wenn es um systemrelevante Güter wie medizinische Versorgung geht, wird die Politik eingreifen müssen. Dem sich selbst regulierenden Markt sind dort Grenzen zu setzen, wo es um die Frage nach Geld oder Leben geht. Die Macht der Betriebswirte braucht einen Gegenpart.
Viel fließender wird der Übergang in der Arbeitswelt sein. Dort, wo sich Firmen bislang gegen Homeoffice-Lösungen gesträubt haben, zwingt die Macht des Faktischen zum Umdenken. Gerade für Familien ist das eine gute Nachricht in dieser schwierigen Zeit. Arbeiten wird flexibler werden – dass es funktioniert, wird gerade tagtäglich in tausenden Fällen bewiesen. Die Erkenntnisse werden sich bewähren müssen – doch zurückdrehen lassen sie sich nicht mehr. Telefonund Videokonferenzen, die Kommunikation via MessengerDiensten: Die Coronakrise zwingt uns, die Technik zu nutzen und Neues zu lernen.
Und der Mensch? Wird der in den alten Trott zurückfallen, sobald ein Medikament, ein Impfstoff gefunden ist? Zumindest ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass sich unsere Werte wieder ein wenig in Richtung Mitmenschlichkeit verschieben. Die soziale Isolation hat vielen erst so richtig vor Augen geführt, wie sehr wir auf den Austausch, auf Kontakte angewiesen sind. Dass es die Gemeinschaft ist, die uns stark macht. Und dass der Hass, der sich eingeschlichen hatte, zu einer echten Belastung geworden war. Nicht umsonst sind es die Volksparteien, denen viele wieder ihr Vertrauen schenken – mit griffigen und spaltenden Parolen lässt sich eben keine Krise lösen. Die Welt könnte wieder stabiler werden. Zumindest dann, wenn sich die Politik ihrer gewaltigen Verantwortung bewusst ist.
Das Virus zwingt uns, Altes infrage zu stellen