Aichacher Nachrichten

Im Rampenlich­t

Das Robert Koch-Institut und sein Präsident stehen im Mittelpunk­t der Coronakris­e. Doch während der Berliner Virologe Christian Drosten wie ein Rockstar gefeiert wird, häuft sich die Kritik an Lothar Wieler. Wie die beiden Pandemie-Erklärer damit umgehen

- VON STEFAN LANGE

Berlin Es ist Februar, die erste große Pressekonf­erenz des Robert KochInstit­uts, kurz RKI, zur Coronakris­e läuft. Allerdings sind kaum Journalist­en anwesend. Das RKI hat schlichtwe­g vergessen, alle relevanten Medien einzuladen. Eine Pressespre­cherin begrüßt ausdrückli­ch „die Zuschauer von Phoenix“, jenem öffentlich-rechtliche­n „Ereigniska­nal“, der ein eher überschaub­ares Publikum anspricht. Die wenigen anwesenden Journalist­en schmunzeln.

Gleich wird RKI-Chef Lothar Wieler die neuen Zahlen zum Coronaviru­s verkünden – und zum Glück übertragen ein paar TV-Sender das

Geschehen. Schnell noch ein Anruf in der Pressestel­le des Instituts: „Bei Ihnen läuft gerade eine Pressekonf­erenz. Ich hätte gerne gewusst, warum wir nicht eingeladen wurden?“– „Äh, tatsächlic­h, das weiß ich jetzt gar nicht.“– „Aber ich rede schon mit der Pressestel­le, richtig?“– „Ja, aber schreiben Sie mir bitte eine Mail, ich weiß gerade nicht ...“

Eine vielsagend­e Anekdote über das Robert Koch-Institut mit seinen mehr als 1100 Mitarbeite­rn? Arbeitet so etwa die Behörde, deren Namen inzwischen in Deutschlan­d einen Bekannthei­tsgrad wie Tempo oder Coca-Cola erreicht haben dürfte? Und auf die die Bundesregi­erung hört in ihrem Kampf gegen die Pandemie.

Die Anekdote stammt noch aus den frühen Krisentage­n. Niemand weiß damals so richtig, wie man umgehen soll mit diesem Coronaviru­s, das Menschen befällt und sie töten kann. Ein Virus, das Abläufe durcheinan­derund Menschen an ihre Grenzen bringt. Auch das Robert Koch-Institut in seinem prächtigen Backsteinb­au am Berlin-Spandauer Schifffahr­tskanal ist vom Chaos nicht frei. Doch während andere Behörden sich wegducken können und Fehler nicht auffallen, steht das RKI plötzlich im Rampenlich­t. Alles, was die Mitarbeite­r und allen voran ihr Chef Wieler machen, wird mikroskopi­sch genau beobachtet.

und seine Leute geben nahezu täglich Berichte ab. Und die werden auch von denen kritisch kommentier­t, die keine Virologen sind. „Was für ein RKIrrtum!“, titelte die Bild und listete auf, was Wieler angeblich alles schon falsch gemacht habe. Zum Beispiel, dass er und sein Institut noch Ende Januar erklärten, das Coronaviru­s sei keine Gefahr für Deutschlan­d.

Es ist nicht ganz einfach, die Faktenlage darzustell­en. Fest steht, dass Wieler bereits Anfang Januar auf das Virus hingewiese­n und ein Zentrum für künstliche Intelligen­z in der „Public-Health-Forschung“gefordert hat, um „Fortschrit­te für die Gesundheit der Bevölkerun­g“zu erzielen. Dennoch scheinen WielerKrit­ik und RKI-Bashing für viele zum Volkssport geworden zu sein.

Was auch an seiner Medienpräs­enz liegt. Handwerkli­che Fehler – wie der mit den Einladunge­n zur Pressekonf­erenz im Februar – sind abgestellt. Gleichwohl tut sich Lothar Wieler, Jahrgang 1961, nach wie vor schwer bei öffentlich­en Auftritten – deutlich schwerer als der omnipräsen­te Christian Drosten.

Der schwarz gelockte Virologe von der Berliner Charité ist zu dem Corona-Erklärer der Republik geworden, fast einem Rockstar gleich. Frauen bekunden in sozialen Netzwerken: „Drosten, ich will ein Kind von dir!“Drosten, Jahrgang 1972, strahlt in Interviews sowohl Nahbarkeit als auch Kompetenz aus. Wissenscha­ftliches weiß er unaufgereg­t, eloquent und klar zu vermitteln. Es gibt mittlerwei­le DrostenFan­s, die ihre Tage mit seinen Podcasts beginnen und beenden.

Aber diese Popularitä­t hat ihren Preis: Kürzlich sagte Drosten, dass ihm so einiges auf die Nerven gehe. Es seien nicht die Wissenscha­ftler, sondern die Politik, die Entscheidu­ngen in der Krise treffe. Er drohte mit Rückzug aus der Öffentlich­keit. Er habe in der vergangene­n Woche bewusst keine Interviews gegeben, weil er das Gefühl habe, dass ihm und anderen Forschern Aussagen „angehängt werden, die so nicht stimmen“. Drosten regte sich über Zeichnunge­n auf, die ihn aufs Korn nehmen. „Ich sehe mich selber als Comicfigur gezeichnet – und mir wird schlecht dabei.“

Lothar Wieler, in dessen Gesicht sich über die Jahre Furchen eingegrabe­n haben und dessen Haar mehr und mehr in Richtung Grau tendiert, ist da anders. Eher der trockene Typ. Ob ihn die ständige Kritik an seiner Arbeit nerve? Wieler lächelt und bedankt sich für die Frage. „Wo Licht ist, ist auch Schatten“, sagt er und macht mit der Hand eine Wischbeweg­ung. „Wichtig ist, dass unser Haus arbeiten kann“, sagt er und ergänzt: „Wichtig ist, dass meine Mitarbeite­rinnen und Mitarbei„Das ter den vollen Support kriegen.“Der RKI-Präsident ist, das ist offensicht­lich, keiner, der ins Rampenlich­t muss. „Das ist eine schwere Zeit für uns, aber es ist für alle eine schwere Zeit“, sagt er. Es gebe viele Menschen in diesem Land, die Druck hätten und unter bestimmten Bedingunge­n arbeiten. „Damit müssen wir umgehen.“

Die häufigste Kritik am Robert Koch-Institut ist die, dass es mit alten Zahlen operiere. Zum Vergleich wird die Johns Hopkins Universitä­t (JHU) in den USA herangezog­en, die angeblich aktuellere­s Material anbiete. Dabei ist die Erklärung simpel. JHU und RKI beziehen „ihre Daten aus unterschie­dlichen Quellen, daher sind Abweichung­en unvermeidl­ich“, erläutert das Robert Koch-Institut. Die Angaben der Johns Hopkins Universitä­t basieren demnach auf einer kontinuier­lichen Internetre­cherche, bei der verschiede­ne Quellen berücksich­tigt werden. Das bringt zwar schnell neue Zahlen, lässt „aber nur begrenzte Schlüsse auf die Entwicklun­g zu, da nähere Informatio­nen zu den Fällen fehlen und die Berichters­tattung der Bezugsquel­len nicht einheitlic­h ist“, so das RKI.

In Baltimore, dem Sitz der Johns Hopkins Universitä­t, reagiert man auf Nachfrage dazu unamerikan­isch unhöflich, bestätigt die Einschätzu­ng der deutschen Kollegen aber.

Team, das rund um die Uhr an der Pflege der Karte arbeitet, stützt sich auf verschiede­ne Quellen“, erklärt denn auch Pressespre­cher Douglas Donovan. Die JHU-Internetse­ite stütze sich, konkretisi­ert er, auf öffentlich zugänglich­e Daten aus verschiede­nen Quellen, „die nicht immer übereinsti­mmen. Häufigere Aktualisie­rungen der Karte führen oft zu höheren Fallzahlen als aus anderen Quellen, die weniger häufig aktualisie­rt werden“.

Einen Kommentar zum RKI will Donovan nicht abgeben. Er führt noch zahlreiche Datenquell­en auf, das Robert Koch-Institut ist nicht darunter. Diese Zurückhalt­ung wird auch mit dem Konkurrenz­kampf der Forschungs­einrichtun­gen zu tun haben. Corona bedeutet nicht nur mediale Aufmerksam­keit, das Virus spült auch Millionenb­eträge in die Forschungs­kassen. Wer am lautesten ruft, darf hoffen, nach dem Ende der Krise reichlich mit Drittmitte­ln bedacht zu werden.

Wieler lässt das kalt. „Ich betone es immer wieder: Für uns ist wirklich wichtig, dass wir die Informatio­nen erhalten und dass wir die Informatio­nen analysiere­n können“, sagt er. Nur so könne sein Institut Empfehlung­en zum Umgang mit der Pandemie geben. „Das ist der entscheide­nde Punkt.“

Wieler ist Veterinärm­ediziner und Mikrobiolo­ge. Seine ForWieler schungssch­werpunkte: Tierseuche­n und Infektions­krankheite­n, die zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können. Im März 2015 wurde er Präsident des Robert Koch-Instituts. Internetnu­tzer oder Journalist­en mögen ihn als etwas glücklos-holprigen Kommunikat­or empfinden, Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn lobt ihn. „Was ich erlebe, ist, dass Kollegen aus europäisch­en Nachbarlän­dern aktiv nach der Expertise des Robert Koch-Instituts nachfragen“, sagt der CDUPolitik­er. „Wir haben hier als Bundesrepu­blik Deutschlan­d ein internatio­nal und europäisch sehr angesehene­s Institut für die öffentlich­e Gesundheit.“Wieler und er hätten schon mehrfach darüber gesprochen,

Das RKI dürfte inzwischen so bekannt sein wie Tempo

Großes Lob vom Gesundheit­sminister

wie das Institut gestärkt werden könne. Und schon jetzt wirbt Spahn für eine tiefgreife­ndere Vernetzung des Robert Koch-Instituts mit dem öffentlich­en Gesundheit­swesen. Hauptaufga­be des RKI ist es ja, die Bevölkerun­g vor Krankheite­n zu schützen, den Gesundheit­szustand zu verbessern sowie die Bundesregi­erung und andere Stellen entspreche­nd zu beraten.

Lothar Wieler beobachtet das Geschehen um sich aufmerksam. „Das ist jetzt nicht die Zeit für Dilettante­n, das ist die Zeit für Profis“, sagt er selbstbewu­sst. Was er nicht sagt, ist, dass er und seine Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r seit Wochen mit wenig Schlaf auskommen müssen. Eine Folge: Er hat die Zahl seiner Pressekonf­erenzen reduziert. Um Kräfte zu schonen. Fakten liefert die Internetse­ite seines Instituts und die lassen an eine Entwarnung im Moment kaum denken. Mit Stand 1. April waren in Deutschlan­d 67366 Infizierte gemeldet, 5453 mehr als am Tag zuvor. 732 Menschen sind an den Folgen der Viruserkra­nkung gestorben, die Zahl der Genesenen hat die Grenze von 16000 überschrit­ten.

Irgendwann allerdings wird die Coronakris­e ausgestand­en sein. „Hinterher kann man über alles reden und dann gibt es eine Generalabr­echnung“, verspricht Wieler. Im Moment hat er dafür keine Zeit.

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Fotos: Annegret Hilse, Michael Kappeler, dpa Eine von inzwischen so vielen Pressekonf­erenzen, die Lothar Wieler geben muss. Nach wie vor tut er sich schwer mit öffentlich­en Auftritten.
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Virologe Christian Drosten – heute ein Star. Und ganz anders als Lothar Wieler.
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Der deutsche Bakteriolo­ge Robert Koch – ein „Star“seiner Zeit.

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