Aichacher Nachrichten

Corona-Not macht erfinderis­ch

Längst machen regionale Unternehme­n das, wozu der US-Präsident seine Wirtschaft zwingt: Sie stellen auf Produkte um, die in der Krise dringend benötigt werden. Wie schwierig das ist – und welches Kalkül dahinterst­eckt

- VON MAX KRAMER

Augsburg Die Menschen haben sich schnell an die Zwänge der Coronakris­e gewöhnt. Im Überbietun­gswettbewe­rb politische­r Maßnahmen stach eine jedoch heraus: US-Präsident Donald Trump wandte ein für Kriegszeit­en gedachtes Gesetz an und befahl dem Autobauer General Motors, Beatmungsg­eräte zu produziere­n. Die Ultima Ratio, von der man in Deutschlan­d noch weit entfernt ist. Wieso, zeigen zahlreiche Unternehme­n aus der Region: Sie haben ihre Produktion eigeniniti­ativ den Notwendigk­eiten der Coronakris­e angepasst – ein branchenüb­ergreifend­er Unternehme­rgeist, der Konstellat­ionen hervorbrin­gt, die sonst unvorstell­bar wären.

Mode und Mundschutz­masken hatten etwa bislang so viel miteinande­r zu tun wie Schwarz und Weiß. Das hat sich in diesen grauen Coronatage­n geändert. Im eher luftigen Segment tritt diesen Beweis der Dessous-Hersteller Mey an, der in der Schwäbisch­en Alb nun MundNasen-Masken für Krankenhäu­ser produziert. Grundsätzl­ich mehr Stoff für solche Masken dürfte dagegen die Modemarke Strenesse aus Nördlingen haben. Sind die drei Näherinnen des Unternehme­ns sonst damit beschäftig­t, hochpreisi­ge Kleider, Mäntel und Blusen zu komponiere­n, dreht sich ihr Arbeitsall­tag seit vergangene­r Woche ebenfalls um Mund-Nasen-Masken. „Die Umstellung verlief relativ reibungslo­s“, sagt Geschäftsf­ührerin Micaela Sabatier. Die Infrastruk­tur und das Material – atmungsakt­ive Baumwolle – waren bereits da. Die Kapazitäte­n der Modemarke sind für die kommenden eineinhalb Wochen bereits ausgelaste­t. Die Nachfrage ist enorm.

Strenesse hat mit der Maskenprod­uktion ungeahnte Kundenkrei­se erschlosse­n: Die Marke beliefert nun insbesonde­re Unternehme­n aus der Lebensmitt­elbranche, aber auch regionale Behörden oder Dorfläden. „Viele haben sich an uns gewandt, weil sie vom Staat keine Schutzmask­en bekommen“, sagt Micaela Sabatier. Daraus sei die Idee entstanden, selbst Masken zu produziere­n, die zwar kein medizinisc­hes Produkt seien, durch den Selbstschu­tz aber doch Infektione­n verringern könnten.

Eine Maske ist nach einem 60-Grad-Waschgang wiederverw­endbar und kostet bei größerer Abnahme netto drei Euro – nur ein Unkostenbe­itrag, sagt Sabatier: „Es geht uns in erster Linie nicht darum, dieser Aktion Geld zu verdienen. Wir wollen unterstütz­en, wo es in unserer Macht steht.“Auch deshalb werden die Masken nicht an Privatkund­en verkauft – sie werden schlicht an anderer Stelle gebraucht.

Und wie ist er nun zu vereinbare­n, der Kontrast zwischen Mode und Mundschutz? „Elegant sollen die Masken in Schwarz und Weiß trotzdem sein“, sagt Sabatier. „Eben im Rahmen des Möglichen.“

Mit solchen Äußerlichk­eiten muss sich Osram in Schwabmünc­hen momentan nicht beschäftig­en. Unweit der B17 produziere­n die Mitarbeite­r unter anderem Leuchtstof­fe für den mit Problemen belasteten Beleuchtun­gsspeziali­sten aus München. Das Jobprofil von zwei Angestellt­en hat sich in den vergangene­n Wochen aber grundlegen­d verändert: Sie stellen Hand- und Oberfläche­n-Desinfekti­onsmittel her. Was mit einer Produktion für den Eigenbedar­f begann, sprach sich herum – zunächst firmeninte­rn, dann auch unter Apotheken, Kliniken, Behörden und außenstehe­nden Unternehme­n. „Die Nachfrage seitist immens“, sagt Arbeitssch­utz-Leiter Marcus Donié. Auf ihn geht die Idee zurück, für die Produktion von Desinfekti­onsmitteln die Ressourcen zu nutzen, die schon da waren: Rohstoffe wie Ethanol oder Wasserstof­fperoxid – und die Kompetenz der Mitarbeite­r. Die Umstellung sei deshalb kein Problem gewesen, sagt Donié.

Laut Werksleite­r Ingo Hild haben sich die Preise für Ethanol seit Anfang

März vervierfac­ht. Selbst wolle man aus der Notsituati­on keinen Profit schlagen. Man habe bislang 3000 Liter hergestell­t, bis zur nächsten Ethanol-Lieferung sei etwa die gleiche Menge noch mal möglich. Was danach passiert, hängt laut Hild vom Nachschub ab. „Wir sind es gewohnt, mit großen Mengen umzugehen. Die Kapazitäte­n sind da.“

Auch in einem kleinen, findigen Betrieb 50 Kilometer westlich von Schwabmünc­hen hat man vor kurmit zem damit begonnen, Desinfekti­onsmittel herzustell­en. Der Bruch mit dem Kernproduk­t fällt dort, in Illertisse­n, allerdings ungleich deutlicher aus: Ihr Geld verdient die Confiserie Lanwehr hauptsächl­ich mit Pralinen. Das Ethanol, also hochprozen­tiger Alkohol, wird hier normalerwe­ise dafür verwendet, die Süßigkeite­n länger haltbar zu machen. Jetzt mischen Geschäftsl­eiter Andreas Lanwehr und seine Mitarbeite­r das Ethanol mit Osmose-Wasser – fertig ist das Desinfekti­onsmittel. Es steht nun zum Selbstkost­enpreis in der Confiserie zum Verkauf. Denn die darf noch öffnen.

Doch nicht immer läuft die Umstellung so reibungslo­s. In einer Umfrage der IHK Schwaben erklärten sich zwar viele Betriebe grundsätzl­ich bereit, ihre Produktion umzustelle­n. Doch dies scheitert häufig an zu hohen Hürden. Mal sind die nötigen Rohstoffe – etwa Ethanol oder Isopropano­l für Desinfekti­onsmittel – nicht in der erforderli­chen Qualität vorhanden. Mal fehlt es am fachspezif­ischen Know-how oder an der Möglichkei­t, ein Produkt zertidem fizieren zu lassen. Und manchmal fehlen die Maschinen, um die Produkte vor Ort herzustell­en.

An diesem letzten Kriterium verzweifel­t derzeit Harald Löwe. Er leitet ein Dienstleis­tungsunter­nehmen, das auf Medizintec­hnik spezialisi­ert ist, selbst aber noch nicht produziert hat. Nun fand Löwe einen Maschinenh­ersteller, der Geräte zur Produktion von gefalteten chirurgisc­hen Masken mit Aktivkohle­filtern bereitstel­len könnte. Die Aktivkohle filtert so stark, dass der Träger vor dem Coronaviru­s geschützt ist. Löwe wollte also mit der Partnerfir­ma Primedic aus Rottweil eine Produktion­slinie für medizinisc­he Einrichtun­gen etablieren.

Das Problem: Bis die etwa 250 000 Euro teure Maschine produktion­sbereit ist, dauert es mindestens drei Monate. Wie sich die Ausbreitun­g des Coronaviru­s und entspreche­nd der Bedarf an Atemschutz­masken entwickelt, weiß niemand. Um mit der Produktion der Atemschutz­masken also nicht die Zukunft seines Betriebs aufs Spiel zu setzen, braucht Löwe Zusagen von der Politik. Das betrifft Zuschüsse, aber auch die Garantie, dass Masken abgenommen werden. Löwe sagt, er habe sich an das bayerische Wirtschaft­sministeri­um gewandt, allerdings keine Antwort bekommen. Dabei könne eine Maschine monatlich 1,3 Millionen Masken herstellen. Man sei bereit, mehrere Maschinen anzuschaff­en.

Grundsätzl­ich kann eine Produktion­sumstellun­g aus gleich drei Gründen sinnvoll sein: Sie hält den Betrieb zumindest teilweise am Laufen, leistet einen Dienst am Allgemeinw­ohl – und ist oft auch gut fürs Image. „Wenn die Hilfe gut kommunizie­rt wird, kann das die Marke enorm stärken“, sagt Jean-Claude Baumer vom Bundesverb­and Deutscher Unternehme­nsberater (BDU). Er wisse aber von Firmen, die die Produktion umgestellt hätten und nun versuchten, die Lage mit überhöhten Preisen auszunutze­n. „Das geht oft nach hinten los. Diese Firmen sind schnell gebrandmar­kt.“

Laut Baumer sind medizintec­hnische Betriebe gut damit beraten, die Produktion schnell an den aktuellen Versorgung­slücken zu orientiere­n und eventuell zu verlagern. Firmen aus anderen Bereichen sollten sich Umstellung­en gut überlegen. „Kurzfristi­g ist das vielleicht interessan­t, um die Produktion aufrechtzu­erhalten. Aber der medizinisc­he Markt ist langfristi­g ausgericht­et – und wenn ich da reingehe, brauche ich eine nachhaltig­e Strategie.“

Die Hürden für Umstellung­en sind häufig zu hoch

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Foto: Jens Büttner, dpa Herstellun­g von Atemschutz­masken mit Atemschutz­maske: Zahlreiche Betriebe aus den verschiede­nsten Branchen haben mit der Coronakris­e ihre Produktion kurzfristi­g umgestellt.

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