Das Geheimnis der Brautläden in der Ulmer Straße
Auch wenn derzeit alle Geschäfte wegen der Coronakrise geschlossen sind, ist die türkische Brautmodenmeile in Oberhausen sogar weit über Bayern hinaus berühmt. Auch die Wissenschaft hat sich jetzt für das Phänomen interessiert – mit interessanten Ergebnis
Gazi Cavga von der „Gazi Butik“sitzt an einem kleinen Tisch vor seinem Geschäft. Autos und Lastwagen brummen vorbei. Im Schaufenster hinter ihm glitzern opulente Braut- und Abendkleider in allen Farben. Cavga ist eigentlich Schlosser. Seine Ex-Frau arbeitete lange als Schneiderin bei einem der anderen Brautgeschäfte, bis sie 2008 entschieden, sich in dem Eckhaus an der Ulmer Straße selbstständig zu machen. „Damals gab es außer uns nur zwei andere Brautläden, die sind inzwischen geschlossen. Von den neun Geschäften in dieser Straße ist meines jetzt das älteste“, ist sich der Bobinger sicher. 90 Prozent seiner Kundinnen, so schätzt er, kommen aus München. „In München gibt es nichts Vergleichbares. Vom Augsburger Markt allein könnten wir hier nicht leben“, erklärt er.
Was für Nordrhein-Westfalen die berühmte Weseler Straße in Duisburg, ist Augsburg-Oberhausen für Süddeutschland – auch wenn aktuell wegen der Coronakrise alles zu ist. Hochzeiter, Abiturientinnen und Fans der großen Abendgarderobe pilgern in die Ulmer Straße, in der sich auf 300 Metern in neun großen Brautmodegeschäften shoppen lässt. Die Kunden reisen aus der Region, aus Österreich und der Schweiz an. Die Geschäfte sind – bis auf eines – inhabergeführt. Den Augsburger Studentinnen Aise Özkan, Alexandra Rudnew und Astrid Engel zufolge ist die relative Branchendichte ein Resultat der 2010er Jahre. Das fanden sie bei ihrer ethnologischen Feldstudie heraus, die sie im Rahmen eines Uni-Seminars zu interkulturellen Brautmoden über die Ulmer Straße erstellten.
Das „Merza“schräg gegenüber der „Gazi Butik“ist das sichtbar größte Geschäft. Den Studentinnen zufolge hat das türkeistämmige Inhaberpaar im Jahr 2015 neu aufgeDie beiden besaßen bereits einen Braumodeladen in Pfersee und einen Hochzeitssaal. Für den Neuanfang in der Ulmer Straße wurde beides aufgelöst. Hier hatten sie das Sortiment zunächst auf islamisch-bedeckte Kleidung spezialisiert. Doch die Nachfrage fehlte. Jetzt steht Hochzeits- und Abendgarderobe für alle im Schaufenster. Den Bekanntheitsgrad zeigt ein Blick auf den Facebook-Account des Ladens: 30 000 Follower. Auch Aise Özkan hatte schon zu Abizeiten von der Brautmeile am Lech gehört.
Sie stammt aus München. „Über Mundpropaganda erfuhr ich davon, dann kaufte ich 2006 hier für meimacht. Abiball ein“, erinnert sie sich. Den Studienergebnissen zufolge sichern Schulabschlussbälle, vor allem aber große Hochzeiten, die bei Familien mit Einwanderungsgeschichte nicht selten mit bis zu 500 Gästen gefeiert werden, die wirtschaftliche Basis der Ulmer Straße. „Nicht nur das Brautpaar, auch der
Rest der Familie und die Gäste investieren“, erklärt Özkan. Das sorgt für beständige Nachfrage. Importiert wird die Ware meist aus der Türkei. Vor allem Izmir ist nach den Recherchen der Studentinnen ein Hotspot. „Im Februar fahren alle auf die Hochzeits-Leitmesse nach Izmir. Dort wird eingekauft, benen stellt, zum Teil aber auch direkt in großen Koffern nach Augsburg geschafft“, erklärt Astrid Engel.
Eine Braut, die den Erwartungen eines traditionellen türkischen Umfelds folgt, braucht fünf Kleider. Für Verlobung, Hennanacht und Hochzeit wird Bodenlanges gekauft, fürs Standesamt reicht ein meist kürzeres, weißes Kleid. Die etwas seltener gefeierte religiöse Trauung erfordert bedeckte Alltagskleidung. Zur Hochzeit dann erscheint die Braut in Weiß. „Die Verlobungsfeier ist – je nach Wohlstand der Familie – in Umfang und Aufwand kaum von der eigentlichen Hochzeit zu unterscheiden. Weil die Hennanacht meist nicht mehr zu Hause, sondern ebenfalls in angemieteten Räumen samt professioneller Deko und im großen Kreis der Verwandten gefeiert
Eine Braut braucht traditionell fünf Kleider
wird, wird auch hier in Abendgarderobe investiert“, erklärt Özkan. Zur Hennanacht allein wechselt die Braut zwei Mal das Outfit. Im Trend liege Indisch mit viel Gold. Die Hochzeit selbst bleibt weiß, oben figurbetont, ab der Taille weit mit viel Tüll und Glitzer.
Machen sich neun Geschäfte auf nur 300 Metern nicht gegenseitig kaputt? „Nein, sie profitieren voneinander, weil die Sortimente unterschiedlich sind“, erläutert Alexandra Rudnew. Cavga, der Inhaber der „Gazi Boutik“, weiß: „Die Kunden haben hier viel Auswahl, kurze Wege, Restaurants fürs Essen zwischendurch und Schneidergeschäfte für die Änderungswünsche. So funktioniert die Ulmer Straße.“Ob der Mikrokosmos hier die CoronaKrise wirtschaftlich überlebt, weiß er nicht. Er habe 3500 Euro fixe Geschäftsausgaben pro Monat. „Ohne Hilfe vom Staat wird es für uns alle hier nicht lange gut gehen“, sagt er.