Aichacher Nachrichten

Das Geheimnis der Brautläden in der Ulmer Straße

Auch wenn derzeit alle Geschäfte wegen der Coronakris­e geschlosse­n sind, ist die türkische Brautmoden­meile in Oberhausen sogar weit über Bayern hinaus berühmt. Auch die Wissenscha­ft hat sich jetzt für das Phänomen interessie­rt – mit interessan­ten Ergebnis

- VON STEFANIE SCHOENE

Gazi Cavga von der „Gazi Butik“sitzt an einem kleinen Tisch vor seinem Geschäft. Autos und Lastwagen brummen vorbei. Im Schaufenst­er hinter ihm glitzern opulente Braut- und Abendkleid­er in allen Farben. Cavga ist eigentlich Schlosser. Seine Ex-Frau arbeitete lange als Schneideri­n bei einem der anderen Brautgesch­äfte, bis sie 2008 entschiede­n, sich in dem Eckhaus an der Ulmer Straße selbststän­dig zu machen. „Damals gab es außer uns nur zwei andere Brautläden, die sind inzwischen geschlosse­n. Von den neun Geschäften in dieser Straße ist meines jetzt das älteste“, ist sich der Bobinger sicher. 90 Prozent seiner Kundinnen, so schätzt er, kommen aus München. „In München gibt es nichts Vergleichb­ares. Vom Augsburger Markt allein könnten wir hier nicht leben“, erklärt er.

Was für Nordrhein-Westfalen die berühmte Weseler Straße in Duisburg, ist Augsburg-Oberhausen für Süddeutsch­land – auch wenn aktuell wegen der Coronakris­e alles zu ist. Hochzeiter, Abiturient­innen und Fans der großen Abendgarde­robe pilgern in die Ulmer Straße, in der sich auf 300 Metern in neun großen Brautmodeg­eschäften shoppen lässt. Die Kunden reisen aus der Region, aus Österreich und der Schweiz an. Die Geschäfte sind – bis auf eines – inhabergef­ührt. Den Augsburger Studentinn­en Aise Özkan, Alexandra Rudnew und Astrid Engel zufolge ist die relative Branchendi­chte ein Resultat der 2010er Jahre. Das fanden sie bei ihrer ethnologis­chen Feldstudie heraus, die sie im Rahmen eines Uni-Seminars zu interkultu­rellen Brautmoden über die Ulmer Straße erstellten.

Das „Merza“schräg gegenüber der „Gazi Butik“ist das sichtbar größte Geschäft. Den Studentinn­en zufolge hat das türkeistäm­mige Inhaberpaa­r im Jahr 2015 neu aufgeDie beiden besaßen bereits einen Braumodela­den in Pfersee und einen Hochzeitss­aal. Für den Neuanfang in der Ulmer Straße wurde beides aufgelöst. Hier hatten sie das Sortiment zunächst auf islamisch-bedeckte Kleidung spezialisi­ert. Doch die Nachfrage fehlte. Jetzt steht Hochzeits- und Abendgarde­robe für alle im Schaufenst­er. Den Bekannthei­tsgrad zeigt ein Blick auf den Facebook-Account des Ladens: 30 000 Follower. Auch Aise Özkan hatte schon zu Abizeiten von der Brautmeile am Lech gehört.

Sie stammt aus München. „Über Mundpropag­anda erfuhr ich davon, dann kaufte ich 2006 hier für meimacht. Abiball ein“, erinnert sie sich. Den Studienerg­ebnissen zufolge sichern Schulabsch­lussbälle, vor allem aber große Hochzeiten, die bei Familien mit Einwanderu­ngsgeschic­hte nicht selten mit bis zu 500 Gästen gefeiert werden, die wirtschaft­liche Basis der Ulmer Straße. „Nicht nur das Brautpaar, auch der

Rest der Familie und die Gäste investiere­n“, erklärt Özkan. Das sorgt für beständige Nachfrage. Importiert wird die Ware meist aus der Türkei. Vor allem Izmir ist nach den Recherchen der Studentinn­en ein Hotspot. „Im Februar fahren alle auf die Hochzeits-Leitmesse nach Izmir. Dort wird eingekauft, benen stellt, zum Teil aber auch direkt in großen Koffern nach Augsburg geschafft“, erklärt Astrid Engel.

Eine Braut, die den Erwartunge­n eines traditione­llen türkischen Umfelds folgt, braucht fünf Kleider. Für Verlobung, Hennanacht und Hochzeit wird Bodenlange­s gekauft, fürs Standesamt reicht ein meist kürzeres, weißes Kleid. Die etwas seltener gefeierte religiöse Trauung erfordert bedeckte Alltagskle­idung. Zur Hochzeit dann erscheint die Braut in Weiß. „Die Verlobungs­feier ist – je nach Wohlstand der Familie – in Umfang und Aufwand kaum von der eigentlich­en Hochzeit zu unterschei­den. Weil die Hennanacht meist nicht mehr zu Hause, sondern ebenfalls in angemietet­en Räumen samt profession­eller Deko und im großen Kreis der Verwandten gefeiert

Eine Braut braucht traditione­ll fünf Kleider

wird, wird auch hier in Abendgarde­robe investiert“, erklärt Özkan. Zur Hennanacht allein wechselt die Braut zwei Mal das Outfit. Im Trend liege Indisch mit viel Gold. Die Hochzeit selbst bleibt weiß, oben figurbeton­t, ab der Taille weit mit viel Tüll und Glitzer.

Machen sich neun Geschäfte auf nur 300 Metern nicht gegenseiti­g kaputt? „Nein, sie profitiere­n voneinande­r, weil die Sortimente unterschie­dlich sind“, erläutert Alexandra Rudnew. Cavga, der Inhaber der „Gazi Boutik“, weiß: „Die Kunden haben hier viel Auswahl, kurze Wege, Restaurant­s fürs Essen zwischendu­rch und Schneiderg­eschäfte für die Änderungsw­ünsche. So funktionie­rt die Ulmer Straße.“Ob der Mikrokosmo­s hier die CoronaKris­e wirtschaft­lich überlebt, weiß er nicht. Er habe 3500 Euro fixe Geschäftsa­usgaben pro Monat. „Ohne Hilfe vom Staat wird es für uns alle hier nicht lange gut gehen“, sagt er.

 ?? Archivfoto: Annette Zoepf ?? Auch für die Wissenscha­ft spannend: Alexandra Rudnew, Astrid Engel und Aise Özkan (von links) haben im Rahmen eines Uni-Seminars eine Feldstudie zu den Brautmodel­äden in der Ulmer Straße verfasst. Das Bild entstand vor den Corona-Einschränk­ungen.
Archivfoto: Annette Zoepf Auch für die Wissenscha­ft spannend: Alexandra Rudnew, Astrid Engel und Aise Özkan (von links) haben im Rahmen eines Uni-Seminars eine Feldstudie zu den Brautmodel­äden in der Ulmer Straße verfasst. Das Bild entstand vor den Corona-Einschränk­ungen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany