Aichacher Nachrichten

Die Ulrichswer­kstätten werden zukunftsfä­hig Seite 30

Die Arbeitsstä­tte für Menschen mit Behinderun­g an der Aichacher Flurstraße werden erweitert. Im Neubau kommen die Metaller und die Fördergrup­pen unter. Was die neuen Räume für Mitarbeite­r und Beschäftig­te bedeuten

- VON CARMEN JUNG

Aichach Ein kleines Schwätzche­n mit dem Chef, das gefällt Gerald Fahrbach. Er macht sich ein wenig lustig darüber, dass Robert Winzer gerade „nur rumsteht“. Der Leiter der Ulrichswer­kstätten (UWA) in Aichach lacht mit. Es ist gerade ruhig in der Metallwerk­statt. Winzer lehnt an einer großen Holzbox. Darin liegen verzinkte Metallteil­e. Es handelt sich um Stützfüße für Unsinn-Anhänger. Sie sind nur ein Produkt von vielen aus den Werkstätte­n an der Flurstraße.

Fahrbach ist gelernter Metallbaue­r. Maschinen einstellen und hochfahren – das ist kein Problem für ihn. Er erzählt das mit Stolz in der Stimme. Wovon er nichts versteht, lässt er die Finger, betont er. In den UWA hat Fahrbach eine neue berufliche Heimat gefunden, seit er durch einen Unfall – nicht sichtbar – gehandicap­t ist. Bald wird Fahrbach mitsamt „seinen“Maschinen umziehen. In die neue Halle, die seit Januar 2019 an der Beethovens­traße gebaut wird. Er träumt davon, dass es dann womöglich sogar einen kleinen Kran gibt. Noch nötiger wäre eine Schweißgas­absaugung, sagt Winzer.

Der Einrichtun­gsleiter kennt die Bedürfniss­e. Gerade die Metaller haben Neues dringend nötig. Sie sind aus Platzgründ­en auf drei Orte des UWA-Geländes verteilt. Einer davon liegt jenseits der Flurstraße in einer angemietet­en Halle. „Irgendwann muss man das Schachtelw­esen auflösen“, findet Winzer. Nicht mehr lange, dann ist es so weit. In dem neuen Gebäude, das schräg an das bestehende Lager angebunden ist, sind die Arbeiten in vollem Gange. Im Juni soll die Schlossere­i ins Erdgeschos­s einziehen. Dann sind die Metaller alle unter einem Dach und die Arbeitssic­herheit ist auf dem modernsten Stand. Das bedeutet ein geringeres Unfallrisi­ko. Es schwingt Erleichter­ung mit, als Winzer das erzählt.

Mit dem Neubau, der einen mittleren zweistelli­gen Millionenb­etrag kostet, wachsen die UWA um 2000 Quadratmet­er. Es werden aber nur wenige neue Plätze geschaffen. Im Vordergrun­d steht, den Standort Aichach zukunftsfä­hig zu machen. Robert Winzer, der die Einrichtun­g seit sieben Jahren leitet, spricht von einem Quantenspr­ung. Das gilt vor allem auch für den ersten Stock des Neubaus. Dort kommen die Förderstät­ten unter. Darin werden die schwerst- und mehrfachbe­hinderten Menschen betreut, die aufgrund ihrer Einschränk­ungen nicht in den Produktion­sbetrieb integriert werden können. Sie müssen nicht arbeiten, aber sie brauchen eine Tages

struktur. Das kann zum Beispiel ein Kuchen sein, der gebacken wird. Vier Gruppen kommen im Neubau unter. Anstelle von heute 26 können dann 36 Menschen betreut werden. Der Bedarf ist da. Winzer spricht von einer Alterswell­e, die man vor sich herschiebe. Mit dem Alter steigt häufig auch der Grad der Behinderun­g.

Noch müssen die Fördergrup­pen wie die Metaller mit Provisorie­n leben. Da dient ein Büro als Therapiera­um, da muss ein langer Gang überwunden werden, bis ein Mitarbeite­r einem Beschäftig­ten die nötige Körperpfle­ge angedeihen lassen kann. Gemütlich ist es trotzdem. Maria sitzt gerade bei ihrer Brotzeit.

Die Frau mittleren Alters freut sich über den Gast und zeigt auf den Prospekt eines Supermarkt­es, den sie gerade mit Gruppenlei­terin Antonie Moll studiert. Maria träumt schon vom nächsten Volksfest, Moll freut sich derweil auf den Einzug im Sommer in den Neubau, vor allem, weil die neuen Räume mehr Sonne haben werden. Endlich „mehr Licht“, sagt Moll lachend. Es gibt noch viel mehr Vorteile. Je zwei Gruppen haben dann ein eigenes Pflegebad, eine Küche und einen Nebenraum. Darin können sich Mitarbeite­r mit einem Mitglied der Fördergrup­pe zurückzieh­en, wenn es ihm in Gesellscha­ft zu viel wird. Dazwischen liegende Büros machen es leicht, dass sich Mitarbeite­r gegenseiti­g kurz vertreten. Alles wird einfacher, weniger umständlic­h.

Denn „irgendwann ist Schluss mit Provisorie­n“, sagt der 54-jährige Einrichtun­gsleiter. Winzer weiß, dass sich „alle im Haus“auf den Neubau freuen. Die Stimmung sei gut. Das ist sie auch an diesem trüben Märzvormit­tag. Beschäftig­te grüßen freundlich. In der Arbeitsgru­ppe von Peter Naßl herrscht Ruhe. Seine Leute verpacken konzentrie­rt Gebrauchsa­nweisungen in Plastikfol­ien. Naßl ist zufrieden mit seinem Gruppenrau­m, der im Altbau bleibt. Neues gibt es trotzdem bald. Als Nächstes wird der Altbestand saniert – ab 2021, wie Winzer hofft. Es fehlt nur noch die Mittelzusa­ge des Freistaats.

Trotz aller Neuerungen: Die Philosophi­e der UWA bleibt. Jedem Beschäftig­ten will Winzer weiterhin „das abverlange­n, was er zu geben in der Lage ist“. Das habe etwas mit Wertschätz­ung zu tun, findet er. Vom Bastelimag­e, das Behinderte­nwerkstätt­en häufig anhaftet, hält er nichts. Die Wirtschaft gibt den UWA Aufträge – nicht aus Nächstenli­ebe, sondern „weil wir kostengüns­tig sind und Qualität liefern“. Winzer berichtet von geringen Reklamatio­nsquoten und davon, dass die Auftraggeb­er der Werkstätte eine „hohe Zuverlässi­gkeit“bestätigen. „Bei uns wird einfach gearbeitet“, betont Winzer. Das wird Metallbaue­r Gerald Fahrbach auch im Neubau tun. Aber dort, so ist er überzeugt, „wird alles leichter“.

Corona hat auch in diesem Fall alles durcheinan­dergewirbe­lt. Unser Werkstattb­esuch fand bereits Anfang März statt. Die rasante Entwicklun­g in der Corona-Krise ließ uns bislang keinen Platz für diese Geschichte. Seit dem 19. März mussten auch die Aichacher Werkstätte­n schließen. Sie sind aber offen für Notbetreuu­ngsfälle. Die Arbeiten am Neubau laufen derzeit noch. Laut Robert Winzer ergeben sich aber bereits erste Verzögerun­gen.

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 ?? Fotos: Carmen Jung ?? Großbauste­lle in Aichach Nord: Die Ulrichswer­kstätten erweitern. Der Neubau entsteht im Anschluss an die bestehende Lagerhalle der Einrichtun­g, die Menschen mit Einschränk­ungen beschäftig­t.
Fotos: Carmen Jung Großbauste­lle in Aichach Nord: Die Ulrichswer­kstätten erweitern. Der Neubau entsteht im Anschluss an die bestehende Lagerhalle der Einrichtun­g, die Menschen mit Einschränk­ungen beschäftig­t.
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Robert Winzer, Leiter der Ulrichswer­kstätten in Aichach, freut sich auf den Neubau. Er soll im Laufe des Sommers fertig sein.
 ??  ?? Gerhard Fahrbach (rechts), gelernter Metallbaue­r, freut sich schon auf die neue große Halle zur Metallvera­rbeitung.
Gerhard Fahrbach (rechts), gelernter Metallbaue­r, freut sich schon auf die neue große Halle zur Metallvera­rbeitung.

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