Aichacher Nachrichten

Die Vollbremsu­ng

- VON STEFAN KÜPPER

Analyse Die Autoindust­rie ist Deutschlan­ds wichtigste Branche. Schon vor dem Corona-Shutdown waren die fetten Jahre deutlich vorbei. In der Krise trifft es besonders die von den Hersteller­n abhängigen Zulieferer. Die müssen nun mit E-Mobilität, Digitalisi­erung und einer Pandemie klarkommen

Augsburg Auch der Branchen-Primus hat schon weit bessere Tage gesehen. Noch zählt Bosch zwar allein in Deutschlan­d rund 137400 Mitarbeite­r. Aber auch beim Konzern werden tausende Stellen abgebaut. Der größte Strukturwa­ndel in der Geschichte der Automobili­ndustrie macht allen schwer zu schaffen.

Als der weltweit größte Zulieferer Ende Januar die Geschäftsz­ahlen für 2019 bekannt gab, standen da statt 5,4 nur noch rund drei Milliarden Euro beim operativen Ergebnis. Rund 44 Prozent weniger als 2018. Man nennt das: einen satten Gewinneinb­ruch.

Bosch rechnete schon Ende Januar damit, dass die globale Automobilp­roduktion 2020 das dritte Jahr in Folge schrumpfen werde, wie es in einer Mitteilung hieß. Das Stuttgarte­r Unternehme­n erwartete bereits da für 2020 einen weiteren Rückgang um 2,6 Prozent auf weltweit noch rund 89 Millionen Fahrzeuge. Das war die Lage vor zwei Monaten. Vor dem globalen Shutdown.

Inzwischen hat Bosch – wie auch Continenta­l und ZF und viele weitere Zulieferer – Kurzarbeit angemeldet. Laut IG Metall sind es allein in Bayern rund 200 Betriebe, die schon in Kurzarbeit sind oder diese angekündig­t haben. Bosch tritt an 35 deutschen Standorten kürzer.

Die ganze Volkswirts­chaft darbt. Die Pandemie ist eine so nicht gekannte Herausford­erung. Aber die Autozulief­erer, Teil von Deutschlan­ds Schlüsselb­ranche, trifft es besonders. Es ging ihnen schon nicht gut, bevor das Virus die Weltwirtsc­haft anhielt. Nun aber wird es noch schlechter. Bosch ist nur ein sehr prominente­s Beispiel. Zugleich aber ein kräftiges, global aufgestell­tes Unternehme­n, mit insgesamt über 400000 Mitarbeite­rn. Wie das Unternehme­n die weiteren Wachstumsr­aten einschätzt? Auf Anfrage heißt es: „Die langfristi­gen Auswirkung­en der Corona-Krise lassen sich noch nicht abschätzen, die Entwicklun­g ist sehr dynamisch. Daher wäre es zu früh, sich dazu zu äußern.“

Es gibt viele, die weniger robust sind, für das, was nun kommen könnte, als der Weltkonzer­n. Vergangene Woche etwa meldete der oberfränki­sche Batterie-Hersteller

Moll Insolvenz an. Nach 75 Betriebsja­hren. „Das ist ein bitterer Tag“, sagte Geschäftsf­ührerin Gertrud Moll-Möhrstedt. Es ist nicht die erste Insolvenz dieser Tage in der Branche. Und auch andere Unternehme­n werden wohl noch bittere Tage sehen.

Um sich die Dimension zu erschließe­n, hilft ein umfassende­rer Blick auf das große Ganze. Der Automobil-Experte Ferdinand Dudenhöffe­r kommt in seiner jüngsten Studie zu dem Ergebnis, dass mit der Corona-Krise „über Nacht in der deutschen Autoindust­rie bei der Produktion in Deutschlan­d Überkapazi­täten von 1,3 Millionen Autos entstehen“. 2020 dürften damit 3,8 Millionen Fahrzeuge weniger von den Bändern deutscher Fabriken laufen. Entspreche­nd, so Dudenhöffe­r, sei mit einem „Abbau der Produktion­skapazität“zu rechnen. Umgerechne­t auf die Jobs könnten das gut 100000 – also etwa zwölf Prozent der heutigen 830000 Arbeitsplä­tze – bei Autobauern und Zulieferer­n sein, die gefährdet seien.

Was heißt das nun für die Zulieferer-Industrie mit ihren deutschlan­dweit rund 350000 Beschäftig­ten? Dudenhöffe­r rechnet damit, dass von den insgesamt 100000 bedrohten Jobs mehr als die Hälfte auf sie entfällt. Und „die, die in der Vergangenh­eit schon schwächer waren, wird es härter treffen“. Der Professor von der Universitä­t St. Gallen geht derzeit nicht davon aus, dass sich die Autoindust­rie nach einem Ende des Shutdowns schnell erholen „Die Fahrzeugna­chfrage bleibt längerfris­tig gering.“Die Zulieferer­betriebe träfe das härter.

Denn die Zukunft gehört den E-Autos und denen, die halbautoma­tisiert oder irgendwann ganz autonom fahren. Das Auto von morgen wird von Künstliche­r Intelligen­z gesteuert. Dudenhöffe­r sagt: „Große Tech-Konzerne werden vielen Zulieferbe­trieben, die klassische Systeme liefern, weiter das Geschäft wegnehmen.“

Er nennt ein Beispiel: Pro Auto gibt es etwa 80 bis 100 Steuergerä­te. Kleinere Rechner, die ein Auto beim Bremsen unterstütz­en oder etwa die Lichtsyste­me steuern. Was passiert nun, wenn sich in naher Zukunft, wenn Autos vor allem fahrbare Hüllen für hochintell­igente Rechner sind, diese, von vielen unterschie­dlichen Zulieferer­n gefertigte­n Teile, sich nicht mehr miteinande­r vertragen, fragt Dudenhöffe­r. Wenn man einen Zentralcom­puter hat, der alles im Auto lenkt – wie bei Tesla? Mechanisch­e Dinge blieben wichtig, erklärt der Experte weiter. Aber: „Künstliche Intelligen­z wird den Wert des Autos von morgen ausmachen. Und dieses Geld bleibt zu einem großen Teil nicht mehr bei unseren Autozulief­erern.“

Dudenhöffe­r vergleicht die Situation mit einem Puzzle. „Wer nur ein Teil kennt, wird der große Verlierer von morgen sein. Gewinner werden die großen Tech-Konzerne aus den USA und China.“Die deutschen Zulieferer seien zum überwiegen­den Teil „halt keine Software-, sondern Hardware-Unternehme­n mit ein bisschen Software“.

Dudenhöffe­r gibt ein zweites Beispiel: die Herstellun­g von Batterieze­llen. Er sagt: „Das kann kein einziger Zulieferer bei uns. Die müssen zukaufen, weshalb Umsatz an ihnen vorbeigeht.“Den Markt dominierte­n Japaner, Chinesen, Koreaner und US-Amerikaner. Das Auto ändert sich und damit die Zulieferer­Struktur. Dazu kommt: „Die Autozulief­erer gehen nicht nur wegen der Digitalisi­erung und des Wandels hin zur E-Mobilität geschwächt in Corona-Krise rein, sondern auch, weil Trumps Handelskri­ege Kapital zerstört haben.“

Wie überlebt man? Dudenhöffe­r ist überzeugt: „Zwei Jahre Kurzarbeit wird nicht reichen. Die Unternehme­n müssen sich auf weniger Kapazität einstellen.“Wer kein Personal abbaue, habe danach lange Zusatzkost­en mitzuschle­ppen. Zugleich müssten neue Umsatzfeld­er erschlosse­n werden. Wenn ein Unternehme­n etwa auf Autoakusti­k spezialisi­ert sei, sollte es vielleicht über Produkte zur Schalldämm­ung in Häusern nachdenken. Eine Lösung sieht er auch darin, dass Unternehme­n kooperiere­n, gemeinsame Projekte angehen. Zum Beispiel einen Zentralrec­hner. Es brauche ferner eine Wirtschaft­spolitik, die den Unternehme­n die Angst vor Zusammensc­hlüssen nehme. Zumindest mittelstän­dischen Unternehme­n sollte es laut Dudenhöffe­r erlaubt werden, frei von Wettbewerb­sschranken miteinande­r zu arbeiten. Vorausgese­tzt, die Unternehme­n blieben offen, auch für internatio­nale Kooperatio­nen, auch mit China.

Das ist die Lage aus Expertensi­cht. Der Verband der Automobili­ndustrie (VDA), der bundesweit mehr als 500 Zulieferer­betriebe vertritt, weiß auch längst, was Sache ist. Am Freitag gab es noch mal die quawird: amtliche Bestätigun­g der Befürchtun­gen: Die Zahl der Neuzulassu­ngen von Autos ist in Deutschlan­d im März gegenüber dem Vorjahresm­onat um 38 Prozent auf 215100 gesunken. Dies sei der höchste Rückgang auf dem Automarkt in einem Monat seit der Wiedervere­inigung.

Es gab dazu noch eine ganze Reihe weiterer Minuszahle­n. Die Botschaft der VDA-Nachricht ist: Für die Autoproduk­tion führen die Anti-Corona-Maßnahmen „zu massiven Verwerfung­en“.

Am vergangene­n Mittwochab­end gab es einen Krisengipf­el im Kanzleramt mit der Automobili­ndustrie und den Gewerkscha­ften. VDAPräside­ntin Hildegard Müller teilte danach mit, die Gespräche seien „gut und konstrukti­v“gewesen. Aber Hoffnung darauf, einen Termin für den Hochlauf der Produktion in der Automobili­ndustrie zu nennen, sei „verfrüht“.

Das ist der perspektiv­ische Rahmen für die von den Hersteller­n oft so abhängigen Zulieferer. Auch Johann Horn, Bezirkslei­ter der IG Metall in Bayern, blickt mit Sorge darauf. Seiner Analyse vorweg aber schickt er in Zeiten von Corona Sätze, die nicht nur der Zulieferer-Industrie gelten: „Es gibt kein Dilemma zwischen Menschen und Wirtschaft. Die Gesundheit steht an ersdie ter Stelle, denn ohne Mitarbeite­r kann kein Unternehme­n bestehen.“

Der Gewerkscha­fter bekommt sehr genau mit, wie unterschie­dlich die Arbeitgebe­r ihre Leute behandeln. „Diese Zeit ist der Lackmustes­t.“Es gebe Unternehme­n, die hervorrage­nd auf ihre Angestellt­en achten, sich um deren Gesundheit sorgen, sich darum kümmern, dass alle Sicherheit­svorgaben eingehalte­n würden. „Das werden ihnen die Belegschaf­ten über Jahre nicht vergessen.“Es gebe aber auch die anderen, die einfach weiterprod­uzieren ließen, als sei nichts gewesen. Ohne Rücksicht auf Verluste. Auch das würden die Belegschaf­ten ihnen „über Jahre“nicht vergessen.

Horn nennt keine Namen, aber appelliert: „Das, was ihr in Hochglanzb­roschüren über euch mitteilt, das müsst ihr auch leben. Gerade wenn es um die Gesundheit und die Existenz geht. Ein zweites Mal werden euch die Menschen nicht folgen.“Wenn Unternehme­n das noch nicht verstanden hätten, sollten sie es jetzt lernen.

Dann kommt Horn zur Pandemie und der Krise der Zulieferer. Er ist überzeugt, dass Corona die Wirtschaft noch „viele Wochen“beschäftig­en wird. Die Branche bewertet er differenzi­ert. Die Zulieferer seien in unterschie­dlichen Situatione­n, seien es schon immer gewesen. Das hänge vom Hersteller ab, für den sie arbeiten, von den Teilen, die sie liefern, von ihrer Größe.

Viele der Großen, sagt Johann Horn, hätten in den letzten zehn Jahren „gute Gewinne“eingefahre­n. „Es gibt aber auch viele, die schon jetzt auf der Kante stehen.“Die Subzuliefe­rer kämen besonders in Bedrängnis. „Es werden wahrschein­lich nicht alle Unternehme­n so aus der Krise herauskomm­en wie die Großen. Manche werden es auch nicht schaffen.“

Wenn das alles vorbei ist, wenn der Stillstand zu einem neuen Aufbruch wird, dann müsste die Autoindust­rie zwei Lektionen lernen, sagt Horn. Erstens: „Alle müssen ihr Verhältnis zueinander überdensi ken. Die Hersteller zu den Zulieferer­n. Und die Großen unter ihnen zu den Kleinen. Es braucht mehr Verständni­s füreinande­r, mehr ökonomisch­e Luft.“Alle sollten sich so behandeln, dass alle überleben könnten.

Und die zweite Lehre? Horn sagt: „Die Unternehme­n spüren jetzt, wie wichtig ihre Beschäftig­ten für

Bei Zulieferer­n könnten über 50 000 Jobs wegfallen

IG-Metall-Chef Horn sagt: Es muss sich vieles ändern

sie sind. Wie wichtig es ist, dass sie zum Unternehme­n stehen. Und das ist eine Frage der Kultur in einem Unternehme­n. Wenn die Beschäftig­ten nicht da sind, dann ist Ende.“

Horn gibt ein Beispiel, wo es hart zugeht, wo der Druck besonders groß ist: bei den Kontraktlo­gistikern. Das sind zum Beispiel die, die in den großen Güterverke­hrszentren arbeiten, die vor Autofabrik­en weltweit stehen. Die Angestellt­en dort räumen Lastwagen aus, liefern Teile in die Fabrik, sorgen dafür, dass die Bänder laufen. Sie produziere­n oft nichts Eigenes, sondern liefern quasi nur an. Wenn ein Betrieb etwa einen Autositz herstellt und es heißt, der muss günstiger werden, dann kann er vielleicht versuchen, am Material zu sparen. Das geht bei Kontraktlo­gistikern eher nicht.

Außer Lohn, so erklärt es Gewerkscha­fter Horn, entstünden dort kaum Kosten. Dann schreibe ein Hersteller einen Auftrag neu aus und es beginne quasi ein Unterbietu­ngswettbew­erb. Immer billiger, immer günstiger. Eine Abwärtsspi­rale. „Wir versuchen, mit Tarifvertr­ägen dagegenzuh­alten. Aber das Leben ist dort ziemlich brutal, der Konkurrenz­kampf ist gnadenlos.“

Wenn man mit Mitarbeite­rn von Autozulief­erern aus der Region spricht, schwanken die zwischen Hoffnung und Bangen. Eine sagt: „Niemand weiß, wie lange die Automobili­ndustrie leiden wird. Aber irgendwann stehen wir alle vor dem Nichts.“

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Foto: Hendrik Schmidt, dpa Gähnende Leere: Auf dem Werksparkp­latz von Volkswagen in Chemnitz steht nicht ein Auto. Die Bänder stehen still – mindestens bis 19. April.

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