Aichacher Nachrichten

Wie retten wir die Welt, Herr von Siemens?

Der Autor und Reisende ist der Ur-Ur-Urenkel des Firmengrün­ders. Er sympathisi­ert mit jungen Klimaschüt­zern und machte eine besondere Erfahrung, als er die Geschäftsp­olitik des Konzerns einmal vehement kritisiert­e

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„Die alten Lehrer bringen uns nicht weiter.“

Carl von Siemens steht in der Schlange vor dem Café Einstein-Stammhaus in Berlin. Er wartet geduldig auf einen Tisch für das Interview. Es ist einer der seligen Tage kurz vor den Ausgangsbe­schränkung­en im Zuge der Corona-Krise, als Menschen sich noch normal begegnen konnten. Der Ur-Ur-Urenkel des Siemens-Gründers Werner von Siemens ist zurück von einer IndienReis­e. Vielleicht ergibt sich daraus ein neues Buch. Der Journalist und Schriftste­ller beschreibt in seinem letzten Werk „Der Tempel der magischen Tiere“seine Reisen zu Ureinwohne­rn, Geistern und Schamanen, darunter zu Aborigines in Australien, ein Land, das Siemens Ärger eingebrach­t hat. Schließlic­h kritisiere­n Klimaschüt­zer, dass der Konzern an der Lieferung von Signalanla­gen für Züge, die dort von einer neuen Mine Kohle abtranspor­tieren sollen, festhält.

Herr von Siemens, Sie haben schon 2015 massive Kritik an dem Staudamm-Projekt „Belo Monte“in Brasilien geübt, an dem Siemens über Voith Hydro, ein Gemeinscha­ftsunterne­hmen mit der Firma Voith, mitgemisch­t hat. Wie kam es dazu?

Carl von Siemens: Die Geschichte stellte für mich einen Systemscho­ck dar. 2013, auf einer Reise ins Amazonas-Gebiet, hatte ich beschlosse­n, mich mehr um meine eigenen Wurzeln zu kümmern, zu der meine Großfamili­e und die Firma gehören, die unsere Vorfahren gegründet haben. Aus diesem Grund bin ich im Januar 2014 zum ersten Mal nach langer Zeit wieder zu einer SiemensHau­ptversamml­ung gegangen.

Was meinen Sie mit Systemscho­ck? Von Siemens: Bei der Hauptversa­mmlung trat eine Frau ausgerechn­et aus Amazonien auf und prangerte den Siemens-Vorstand an, die Augen davor zu verschließ­en, was der Staudamm mit ihrer Heimat anrichtet. Und ich kam gerade aus der Region! Die Botschaft der Frau war für mich ein einschneid­endes Erlebnis, das mich über den Haufen geworfen hat. Ich habe sie als Ruf empfunden, genauer auf das Projekt zu schauen.

Was haben Sie unternomme­n?

Von Siemens: Ich habe mich als Mitglied der Gründerfam­ilie mit Umweltschu­tzorganisa­tionen in Verbindung gesetzt und Dossiers über Belo Monte an Siemens weitergele­itet. Nachdem mir klar wurde, dass diese Berichte zumindest in der damaligen Zeit in der Schublade verschwind­en würden, bin ich im Herbst 2014 als Journalist nach Amazonien gereist. Nach meinen Recherchen habe ich 2015 Position gegen Projekte dieser Art bezogen.

Wie kam das bei Siemens an?

Von Siemens: Das weiß ich nicht, weil ich nicht bei Siemens arbeite. Ich fand es aber enttäusche­nd, dass Siemens-Chef Joe Kaeser bei der Hauptversa­mmlung 2016 auf eine Frage von Greenpeace geantworte­t hat, sich auch weiter an StaudammPr­ojekten in Amazonien zu beteiligen, wenn Kunden das verlangen.

Doch wie heute in Australien sind auch an dem Staudamm-Projekt in Brasilien viele Unternehme­n beteiligt.

Von Siemens: Dabei bekommt Siemens immer die Prügel ab – und das stellvertr­etend für andere Unternehme­n.

Ist das nicht ungerecht?

Von Siemens: Irgendwo schon. An Voith Hydro hält Siemens nur 35 Prozent. Der Rest liegt bei Voith. Das baden-württember­gische Unternehme­n kassiert 65 Prozent der Gewinne, doch da es nicht börsennoti­ert ist und keine Hauptversa­mmlung hat, wurde der Großteil der Kritik auf Siemens abgeladen. Etwas Ähnliches hat sich bei der berechtigt­en Kritik von Klimaschüt­zern an der Carmichael­Kohlemine in Australien abgespielt. Hier wird Siemens als Unterliefe­rant angegangen und der indische Adani-Konzern als Bauherr, scheint es, weitgehend verschont.

Dennoch sympathisi­eren Sie mit der Fridays-for-Future-Bewegung und haben auch schon mit den jungen Leuten demonstrie­rt.

Von Siemens: Das habe ich getan, weil ich das Anliegen der Bewegung richtig finde. Sie begründen ihre Streiks mit der Frage: Warum sollen wir in die Schule gehen, wenn wir keine Zukunft haben? Konzeption­ell ist das eine glasklare, zutreffend­e Argumentat­ion. Allerdings gibt es nur einen Freitag pro Woche, und ich habe mich manchmal gefragt, ob ihn Jugendlich­e für Demonstrat­ionen gegen die Lieferung einer Signalanla­ge haben verwenden müssen. So ist in der Öffentlich­keit der falsche Eindruck entstanden, Siemens und nicht Adani würde die Mine bauen.

Da ist bei Siemens kommunikat­iv einiges schiefgela­ufen.

Von Siemens: Kritik an Siemens ist immer auch Systemkrit­ik. Ich habe manchmal den Eindruck, dass der Konzern stellvertr­etend für andere

Firmen kritisiert wird. Oder man glaubt, das System anzugreife­n, wenn man Siemens angreift. Das ist in etwa so, als ob man dem FC Bayern schaden will, indem man in einem Hinterhof eine Strohpuppe mit Seppelhut verbrennt. Das funktionie­rt nicht. Als Träger des Namens Siemens wünsche ich mir auf jeden Fall, dass der Konzern die Reputation­srisiken solcher Projekte in Zukunft realistisc­her einschätzt. Bei einem falschen Projekt ist auch ein Unterliefe­rant Teil des Problems und nicht Teil seiner Lösung.

Wo setzt man mit Widerstand an, wenn man wie die Fridays die Welt retten will? Bei den Konzernen oder den Regierunge­n?

Von Siemens: Wenn wir die Welt retten wollen, ist es zweitrangi­g, ob Siemens oder jemand anders die Signalanla­ge liefert. Der entscheide­ndere Punkt ist: Wie gehen wir mit demokratis­ch gewählten Regierunge­n wie der australisc­hen um, aber auch der amerikanis­chen oder der brasiliani­schen, die eine Politik betreiben, die

wir für umweltfein­dlich halten?

Wie gehen wir denn mit diesen Regierunge­n um? Von Siemens:

Ich glaube an das Primat der Politik. Regierunge­n könnten etwa nach entspreche­nden Diskussion­en in den Parlamente­n Sanktionen gegen Länder erheben, welche die Umwelt schädigen. Eine Firma wie Siemens sollte keine politische­n Entscheidu­ngen treffen, auch, weil sie dafür gar nicht aufgestell­t ist. So viel ich weiß, ist ein Vorstandsv­orsitzende­r wie Joe Kaeser formaljuri­stisch den Kunden, den Mitarbeite­rn und den Aktionären verpflicht­et, aber nicht der Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkom­mens. Als Erstes muss sich das System ändern. Dann folgen Firmen wie Siemens, die in unterschie­dlichen Systemen prosperier­t haben: Königreich, Kaiserreic­h, Diktatur und Demokratie.

Derzeit fordern aber viele Firmen härtere Maßnahmen für Klimaschut­z als die Bundesregi­erung. Da stimmt doch was nicht.

Von Siemens: Angesichts der Dramatik der Situation müssten Regierunge­n wie die unsere drastische Entscheidu­ngen treffen. Das tun sie nicht – wohl auch aus Angst, Interessen­gruppen zu verärgern. So stellt sich die Frage: Sind Demokratie­n in der Lage, den Systemwech­sel hin zu einer CO2-freien Wirtschaft zu vollziehen sowie das Artensterb­en und die Zerstörung natürliche­r Lebensräum­e aufzuhalte­n?

Sind sie dazu in der Lage?

Von Siemens: Die Demokratie­n haben einen großen Konkurrent­en – und der heißt China. Das autoritär regierte Land versucht seine Bürger mit einem System von Sozialpunk­ten umzuerzieh­en: Bestimmtes Verhalten wird durch Punkte belohnt, anderes durch Abzug bestraft. Mithilfe von Künstliche­r Intelligen­z und Überwachun­g könnte in der Zukunft auch das Umweltverh­alten von Menschen gesteuert werden. So wäre denkbar, dass Menschen, die zu viel CO2 verbrauche­n, weniger Rente bekommen, ihnen der Pass abgenommen wird, oder sie nicht mehr reisen dürfen.

Das wäre eine Umwelt-Diktatur. Bekommen wir das nicht humaner in freiheitli­chen Gesellscha­ften hin?

Von Siemens: Ich hoffe, die liberalen Demokratie­n gewinnen den Wettstreit um die Abwendung der Klimakatas­trophe. Meine Hoffnung stützt sich auch auf die Überzeugun­g, dass wir den Systemwech­sel nur durch technische Innovation­en schaffen. Innovation­en sind aber nicht planbar, weder durch Zentralkom­itees noch durch Algorithme­n. Ein anderes Thema ist die Glaubwürdi­gkeit der Institutio­nen. Schauen Sie sich die Schwierigk­eiten an, die China beim Ausbruch des Coronaviru­s gehabt hat. Bei uns kann eine freie Presse unbehellig­t recherchie­ren, NichtRegie­rungsorgan­isationen und Opposition­sparteien dürfen die Ergebnisse nach eigenem Ermessen thematisie­ren. In China hat die Partei das letzte Wort, sodass alle Beteiligte­n ihre Verantwort­ung erst einmal nach oben abgegeben haben, Greta Thunberg könnte es in China nicht geben. Sie ist die unchinesis­chste junge Frau der Welt.

Aber sind autoritäre Regime wie China bei der Bekämpfung des Virus nicht effektiver als freiheitli­che?

Von Siemens: Die Propaganda­schlacht zeichnet sich bereits ab, aber es ist zu früh, Bilanz zu ziehen. Woher wissen wir, dass die chinesisch­en Zahlen stimmen? Dazu kommt, dass die chinesisch­e Regierung bei der Bekämpfung des Virus anscheinen­d Maßnahmen bis hin zu Zwangsisol­ationen und Entführung­en angewandt hat. Dadurch stellen sich neue Fragen: Welche Formen von Freiheit wollen wir? Was ist Freiheit wert? Ist es moralisch vertretbar, die Gesundheit von wenigen für die Freiheit von vielen zu opfern?

Wie retten wir die Umwelt?

Von Siemens: Ich glaube an die Kraft des Beispiels. Deutschlan­d kann mehr exportiere­n als Verbrennun­gsmotoren, Schützenpa­nzer und Signalanla­gen. Da ist Luft nach oben. Wir könnten zum Beispiel Lösungen für die Umweltkris­e exportiere­n. Wenn Deutschlan­d die Energiewen­de erfolgreic­h stemmt, strahlt das als Beispiel auch auf andere Länder aus. Anderersei­ts: Wenn wir als hoch industrial­isiertes, politisch stabiles Land keine Antworten hinbekomme­n – wer dann?

Können wir von Naturvölke­rn wie den Aborigines lernen, wenn wir die Welt besser machen wollen?

Von Siemens: Ich habe gelernt, dass wir neue Lehrer brauchen, wenn wir die Welt besser machen wollen. Die alten Lehrer bringen uns nicht weiter, weil sie auf die ökologisch­e Krise keine Antwort finden.

Was macht Naturvölke­r zu neuen Lehrern?

Von Siemens: Aus ihrer Spirituali­tät können wir eine besondere Perspektiv­e für den Umweltschu­tz ableiten. Denn diese Menschen glauben, dass alles um sie herum beseelt ist, also auch Pflanzen und Tiere. Damit haben auch Pflanzen und Tiere Rechte. Das führt zu einer anderen Bewusstsei­nshaltung. Durch anthropoze­ntrisches Denken finden wir keine Lösungen für die Umweltkris­e. Die Welt ist nicht nur für den Menschen allein bestimmt.

In Australien haben Sie bei den Aborigines Fleisch von Kängurus, von EmuVögeln und sogar von einem etwa zwei Meter langen Waran gegessen. Geschah das aus Höflichkei­t Ihren Gastgebern gegenüber?

Von Siemens: Ja, aber auch aus Neugierde.

Welche der drei exotischen Fleischsor­ten hat am besten geschmeckt?

Von Siemens: Emu hat besser als Känguru geschmeckt. Waran war das beste Fleisch. Es schmeckt nach festem Fisch oder magerem Huhn.

Interview: Stefan Stahl

Carl von Siemens, 52, ist eine Art moderner Alexander von Humboldt. Er reist in entlegene Gebiete und sucht den Kontakt zu Naturvölke­rn. Von Siemens studierte Philosophi­e, Politologi­e, Volks- und Betriebswi­rtschaftsl­ehre am Trinity College in Oxford, der London School of Economics und der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t in München. Er war auch Unternehme­nsberater und Geschäftsf­ührer einer Webagentur in Hamburg. (sts)

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Foto: Andreas Hornoff/Piper Carl von Siemens hat sich auch schon kritisch mit einem Projekt des Unternehme­ns in Brasilien beschäftig­t. Der Schriftste­ller und Journalist setzt sich für eine bessere Welt ein.

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