Aichacher Nachrichten

Der neue Marktwert des lieben Hansi

FC Bayern Er kam als Co-Trainer nach München. Nun ist Hansi Flick einer der entscheide­nden Faktoren für die mittelfris­tige Zukunft des Vereins. Seine Bedeutung zeigt sich unter anderem in der Laufzeit seines Vertrags

- VON TILMANN MEHL

München Unerhört, was sich Robert Lewandowsk­i, Serge Gnabry und Thomas Müller an dem 9. November des vergangene­n Jahres herausgeno­mmen hatten. Die drei liefen an jenem Samstagabe­nd die Dortmunder Defensivsp­ieler von Beginn an mit einer Vehemenz an, dass ihnen nach einer halben Stunde zwangsläuf­ig die Zunge bis zur Grasnarbe hängen musste. Dazu noch die bemitleide­nswerten Mittelfeld- und Abwehrspie­ler der Münchner, die ja allesamt schleunigs­t aufrücken mussten, um die großformat­igen Löcher zu stopfen, die sich zwangsläuf­ig im Rücken des Offensivtr­ios auftaten. Bemerkensw­ert: Offenbar war jene konditione­lle Ressourcen­verschwend­ung vom Trainer genau so gewollt.

Hansi Flick hatte erst wenige Tage zuvor das Amt von Niko Kovac übernommen, nachdem sich die Mannschaft beim 1:5 in Frankfurt hilflos präsentier­t hatte. Kovac hielt sein Team nicht für fähig, den Gegner dauerhaft unter Druck zu setzen. „Man kann nicht versuchen, 200 km/h auf der Autobahn zu fahren, wenn sie nur 100 schaffen“, sagte der Trainer vor einem Pokalspiel gegen Bochum.

Flick ließ nun also von der ersten Minute an das Gaspedal durchdrück­en. Rein in den roten Bereich und dann halten. Es war eine Frage der Zeit, bis der Motor platzen würde. Er ging aber nicht hoch. Ganz offensicht­lich waren die Spieler glücklich, endlich die PS auf die Straße zu bringen. Die Dortmunder konnten sich am Ende glücklich schätzen, die Heimreise lediglich mit einem 0:4 im Gepäck anzutreten.

Kurzfristi­ge Effekte sind schon häufiger nach Trainerwec­hseln beobachtet worden, weshalb sich die Münchner aus verständli­chen Gründen zierten, Flick schnell einen langfristi­gen Vertrag anzubieten. der 55-Jährige am vergangene­n Freitag nun einen bis 2023 laufenden Kontrakt unterschri­eb, ist begründet in jenen Spielen, welche die Münchner der Dortmunder Demontage folgen ließen.

Flick gewann einfach immer weiter. Bewies nach zwei aufeinande­rfolgenden Niederlage­n gegen Leverkusen und Gladbach, dass er es versteht, gelassen mit unerwartet­en Rückschläg­en umzugehen. In 21 Spielen holte er 18 Siege und verlor nur zwei Mal. Je häufiger er gewann, desto leiser wurden die Rufe nach Wenger, Mourinho, Tuchel oder ten Hag. Als Flick in der Liga einen sieben Punkte Rückstand in einen vier Zähler großen Vorsprung verwandelt­e, war klar, dass jener edle Kugelschre­iber zum Einsatz kommen würde, den Karl-Heinz

Rummenigge Flick nach dem 3:0 beim FC Chelsea geschenkt hatte.

Ehe Flick sein komplettes Cheftraine­r-Gehalt bezieht, vergeht aber mindestens ein Montag. Im April verzichten Spieler und Führung des Vereins noch auf 20 Prozent ihres Einkommens. „Mit dem Geld ist gewährleis­tet, dass kein normaler Angestellt­er beim FC Bayern weniger netto in der Tasche hat“, sagte KarlHeinz-Rummenigge der Bild. Sollte Flick seinen Vertrag erfüllen, wäre in den vergangene­n 30 Jahren lediglich Ottmar Hitzfeld (1998 bis 2004) länger Coach der Münchner. Die reine Vertragsda­uer sagt freilich nichts darüber aus, ob es Flick vergönnt ist, sie komplett als Münchner Trainer zu erleben. Allerdings geht er die Aufgabe mit jenem Selbstbewu­sstsein an, dass für diese expoDass nierte Stellung unerlässli­ch ist. „Wir haben zusammen die Ausrichtun­g für die kommenden Jahre festgelegt“, lässt sich Flick in der Pressemitt­eilung bezüglich seiner Vertragsve­rlängerung zitieren. Flick war vor der Saison als Co-Trainer verpflicht­et worden. Nun ist er maßgeblich bei der Ausrichtun­g des größten deutschen Fußball-Klubs. Der nette Hansi weiß seinen Marktwert gut einzuschät­zen.

Was ihn so wertvoll macht, ist neben seiner fußballeri­schen Expertise ein empathisch­er Zugang zu seinen Spielern. Unter ihm entwickelt­e sich der von Kovac kaum benötigte Thomas Müller zurück zu jenem Kreativ-Hasardeur, den sämtliche Abwehrreih­en führten. Sogar der ungewollt in München gestrandet­e Jérôme Boateng stabilisie­rte sich so weit, dass die bayerische Abwehr wieder die beste der Liga ist und er sogar Muße findet (wie im letzten, fast vergessene­n Spiel, gegen Augsburg) Tore mit seinen präzisen Zuspielen vorzuberei­ten.

Ab Montag darf er wieder mit Kleingrupp­en auf dem Feld trainieren. In Vierer- und Fünfer-Gruppen üben die Spieler mit Rasen unter den Füßen. Dabei soll penibel darauf geachtet werden, dass sich die einzelnen Gruppen nicht begegnen. Das von Flick präferiert­e Spieltempo legt nahe, dass die Einheiten schweißtre­ibend werden. Geduscht wird allerdings erst zu Hause.

Die Münchner zögerten aus verständli­chen Gründen

Expertise und Empathie zeichnen ihn aus

 ?? Foto: Witters ?? Hansi Flick gibt beim FC Bayern die Richtung an. Der Trainer ist mit einem Kontrakt bis 2023 ausgestatt­et. In den vergangene­n Jahrzehnte­n schaffte es lediglich Ottmar Hitzfeld länger, die Mannschaft der Münchner zu trainieren.
Foto: Witters Hansi Flick gibt beim FC Bayern die Richtung an. Der Trainer ist mit einem Kontrakt bis 2023 ausgestatt­et. In den vergangene­n Jahrzehnte­n schaffte es lediglich Ottmar Hitzfeld länger, die Mannschaft der Münchner zu trainieren.

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