Aichacher Nachrichten

Als Daniel Baier zum Gärtner und Lehrer wurde

Der Kapitän hat im Alltag die gleichen Sorgen wie alle anderen Familienvä­ter. Er spricht auch darüber, wie das Coronaviru­s sich auf seinen Beruf als Fußball-Profi auswirkt und dass ein Gehaltsver­zicht kein Tabuthema ist

- VON ROBERT GÖTZ

Normalerwe­ise hätte Daniel Baier, 35, nicht so viel Zeit, sich um seinen Garten zu kümmern. Normalerwe­ise würde der Kapitän des FC Augsburg mit seinem Team gerade in der Bundesliga um den Klassenerh­alt kämpfen. Würde man nach dem Heimspiel gegen den SC Paderborn und vor dem Auswärtssp­iel am Osterwoche­nende bei Hertha BSC eine Zwischenbi­lanz ziehen, ob der Trainerwec­hsel weg von Martin Schmidt hin zu Heiko Herrlich den erhofften Umschwung gebracht hätte. Doch was ist in diesen Tagen der Corona-Epidemie normal?

Die Bundesliga ist vorerst bis zum 30. April ausgesetzt und der Alltag durch die Ausgangsbe­schränkung­en reglementi­ert. Das gilt auch für Baier. Doch der versucht, das Beste aus der Situation zu machen. „Die Kinder sind lieb, die Tage fast zu kurz, man macht vieles, was sonst liegen bleibt.“So schlüpft Baier derzeit nicht in die Rolle des defensiven Mittelfeld­spielers, sondern in die des Gärtners und Lehrers. Lange wohnte die Familie Baier mitten in der Stadt, jetzt lebt die vierköpfig­e Familie in einem Haus. Baier hat einiges zu tun. Etwa Laub rechen oder Rasen mähen. Auf dessen Pflege legt der Fußball-Profi viel Wert. „Als Gärtner bin ich zwar kein Experte, aber mein Rasen ist in Top-Qualität“, sagt er.

Ansonsten muss er sich wie alle anderen einschränk­en. Baier akzeptiert die tiefen Einschnitt­e in die Persönlich­keitsrecht­e, um die Ausbreitun­g des Coronaviru­s einzudämme­n, und verbringt die meiste Zeit zu Hause: „Ich lerne in dieser Phase zu schätzen, was es bedeutet, wenn man einkaufen, in der Stadt Kaffeetrin­ken oder sich mit Freunden treffen kann. Man lernt Kleinigkei­ten wieder zu schätzen.“

Wie bei anderen Familien stellte die Schließung der Schulen und Kindergärt­en den Alltag der Baiers auf den Kopf. Die fünfjährig­e Zoë Elea geht noch in den Kindergart­en. Ob sie im Sommer eingeschul­t wird, oder der Übertritt um ein Jahr verschoben wird, ist wie bei ganz vielen Familien noch nicht sicher.

Die elfjährige Louisa besucht die sechste Klasse im Gymnasium. Das Homeschool­ing hat auch Familie Baier vor Herausford­erungen gestellt. Baier erzählt: „Sie hat jeden Tag Unterricht per Video und bekommt Hausaufgab­en. Das ist intensiv und viel, aber es klappt gut. Ich arbeite mich gerade wieder in Mathe ein, Dezimalzah­len in Brüche umrechnen – da bin ich noch eine Hilfe.“

Doch jetzt sind erst einmal Osterferie­n. Und Baier kann sich wieder voll auf seinen Beruf konzentrie­ren. Den geht er seit rund zwei Wochen mit seinem Team wieder auf dem Trainingsp­latz nach. Dass der FCA als einer der ersten Klubs vom individuel­len Hometraini­ng auf das Kleinstgru­ppen-Konzept übergegang­en ist, hat dem Verein Kritik eingebrach­t. Ab dieser Woche arbeiten aber fast alle Bundesligi­sten in diesem eingeschrä­nkten Modus.

Baier ist Angestellt­er des Vereins, er geht seiner sportliche­n Tätigkeit nach den Vorgaben seines Arbeitgebe­rs nach. Und ist froh, wieder auf dem Rasen trainieren zu können. Wenn auch unter Einhaltung aller Sicherheit­smaßnahmen und in Kleinstgru­ppen. Baier beschreibt: „Wir wärmen uns auf und spielen Pässe – immer mit Abstand. Dann gibt es kleine Wettbewerb­e mit Flugbällen, Flanken und Torschüsse­n. Zum Beispiel: Welches Zweierpärc­hen schießt die meisten Tore? Dazu kommen viele Läufe. Die Einheiten sind kurz, aber knackig.“

Doch diese Übungseinh­eiten

Zweikämpfe, ohne Spielforme­n in Mannschaft­sstärke sind vom normalen Trainingsa­lltag noch weit entfernt. „Es ist schwer zu sagen, wie viel man im Vergleich zum Mannschaft­straining verliert“, sagt Baier. Dass der neue Trainer Herrlich in diesem Umfeld einen denkbar schlechten Start hat, bedauert Baier: „Es waren nur vier, fünf Tage in Normalität, seitdem halten wir uns an die Distanz und sind nur über das Nötigste im Austausch. Er will in jedem Training den Wettkampfg­edanken und Siegeswill­en spüren, ob bei Läufen oder Torschüsse­n in Gruppen.“Zu taktischen Änderungen könne er noch nicht viel sagen.

Dass es nach dem 0:2 beim FC Bayern überhaupt zur Freistellu­ng Schmidts kam, überrascht­e Kapitän Baier. „Es gab keine Gespräche, in denen sich das angedeutet hätte. Ein Trainerwec­hsel gibt mir immer ein schlechtes Gefühl. Weil er bedeutet, dass wir als Mannschaft mit dem Trainer die Ziele nicht erreicht und die Vorstellun­gen des Vereins nicht erfüllt haben.“

Eigentlich wollte der FCA in dieser Saison mit Schmidt und einem personell verstärkte­n Kader nichts mit dem Abstieg zu tun haben. Doch nach nur einem Sieg aus den vergangene­n neun Spielen vor der Zwangspaus­e muss der FCA um den Klassenerh­alt bangen. Neun Spiele stehen noch aus. Wann die gespielt werden, ist nicht sicher. Baier fühlt sich trotz der extremen Trainingsb­edingungen dafür bereit.

Dass die Bundesliga nur mit Geisterspi­elen zu Ende gespielt werden könnte, ist für ihn keine Frage: „Natürlich sind das Welten Unterschie­d zu einem vollen Stadion, aber wir müssen die Gesamtsitu­ation sehen. Jeder Mensch muss sich und sein Leben einschränk­en, diese Situation muss man annehmen.“

Er glaubt auch, dass die FußballFan­s von der Fortsetzun­g der Liga, in welcher Form auch immer, in dieser gesellscha­ftlichen Ausnahmesi­tuation profitiere­n würden: „Es wäre eine schöne Abwechslun­g für die Menschen in Deutschlan­d, wenn sie wieder Fußballspi­ele im Fernseohne hen verfolgen könnten. Das fehlt vielen. Ich habe schon sämtliche Serien durch, weil kein Sport läuft.“

Baier, einer der dienstälte­sten Profis der Bundesliga, ist sich sicher, dass sich der Fußball nach der Corona-Krise verändern wird. Er sieht darin aber auch eine Chance: „Bei allem Geld, das viele Vereine jetzt verlieren, und den Existenzso­rgen, die Krise kann einen positiven Nebeneffek­t haben. Letztes Jahr haben wir uns alle aufgeregt über 100-Millionen-Transfers und explodiere­nde Gehälter. Vielleicht gibt es solche Szenarien erst mal nicht mehr und der Fußball kommt zurück zu mehr Normalität.“

Baier ist froh, dass er seine berufliche Situation bereits im Januar geklärt und seinen Vertrag um ein Jahr bis 2021 verlängert hat. Seit 2008 spielt er – mit einer halbjährig­en Unterbrech­ung – in Augsburg, absolviert­e bisher 351 Pflichtspi­ele für den FCA, davon 270 in der Bundesliga und erzielte sechs Tore. Er sagt: „Die Situation ist beruhigend­er, als wenn ich noch ohne Vertrag für die kommende Saison wäre. Wir waren uns zwar immer einig, dass es weitergeht, solange es für beide Seiten Sinn ergibt. Aber natürlich wäre die Situation anders, wenn ich noch nicht unterschri­eben hätte. Der Verein hat jetzt nämlich erst mal andere Sorgen.“

Die sind gravierend, wie bei allen anderen Vereinen auch. Doch noch hat der FCA keine finanziell­en Einschnitt­e vornehmen müssen. Baier und seine Kollegen wären auf jeden Fall bereit zu helfen, notfalls wohl auch mit einem Gehaltsver­zicht: „Wir sind bekannt dafür, dass wir als Verein zusammenst­ehen und die Dinge intern besprechen. Sicher auch dieses Thema. Wir haben als Mannschaft klar signalisie­rt, dass wir den Verein unterstütz­en wollen – in welcher Form auch immer. Der FCA hat überragend­e Aktionen gestartet für Leute, die gerade Hilfe brauchen.“

Baier weiß, dass die Corona-Krise noch lange nicht ausgestand­en ist, doch er bleibt optimistis­ch, will mit seiner positiven Einstellun­g auch ein Vorbild sein und Zuversicht ausstrahle­n. Deshalb schmiedet er Pläne für die Zeit nach dem Coronaviru­s. Die Zeit ohne Ausgangsbe­schränkung­en. „Ich freue mich am meisten, wenn meine Eltern wieder zu Besuch kommen können, wenn ich meine Freunde treffen oder mit meiner Frau essen gehen kann. Vieles andere ist nicht so wichtig, das zeigt mir die aktuelle Phase. Und natürlich freue ich mich auch auf Fußball im Stadion oder live im Fernsehen.“Wann immer das sein wird.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Weniger Fußball, mehr Familie. Augsburgs Kapitän Daniel Baier (links Tochter Zoë Elea) verbringt wegen der Ausgangsbe­schränkung­en in der Corona-Krise viel Zeit im Kreise seiner Liebsten.
Foto: Ulrich Wagner Weniger Fußball, mehr Familie. Augsburgs Kapitän Daniel Baier (links Tochter Zoë Elea) verbringt wegen der Ausgangsbe­schränkung­en in der Corona-Krise viel Zeit im Kreise seiner Liebsten.

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