Aichacher Nachrichten

Die Markenzeit endete vor 70 Jahren

Ab 1. Mai 1950 gab es wieder alle Waren ohne Lebensmitt­elmarken zu kaufen. Das Wirtschaft­swunder ließ trotzdem noch auf sich warten. Was die Stadt in ihrer Wiederaufb­au-Bilanz präsentier­te

- VON FRANZ HÄUSSLER

Im Mai 1945 war der Zweite Weltkrieg zu Ende. In Augsburg hatten bereits ab 28. April die Amerikaner das Sagen. Die deutsche Stadtverwa­ltung spielte eine untergeord­nete Rolle, das letzte Wort hatten für lange Zeit die Amerikaner. Als im Juni 1948 die Währungsre­form die neue D-Mark brachte, glaubten viele, nun würde in Deutschlan­d die freie Marktwirts­chaft die bisherige Zwangswirt­schaft ablösen. Für „hartes“Geld gäbe es alles zu kaufen. Sie wurden schnell eines Besseren belehrt: Es war weiterhin Markenzeit, aber keine Notzeit mehr.

Dem überquelle­nden Angebot nach der Währungsre­form stand eine beschränkt­e Kaufkraft gegenüber. Die Einkommen der „Normalbürg­er“waren 1950 bescheiden. Sie stiegen sehr langsam. Brot, Fleisch und Butter gab es bis Ende Februar 1950 offiziell gegen entspreche­nde Marken. Wer über genügend D-Mark verfügte, musste seit der Währungsre­form mit „Marken-Ware“nicht auskommen. Die Versorgung­slage besserte sich, sodass ab 1948 die Lebensmitt­elrationen auf Marken schrittwei­se erhöht werden konnten. Am 1. Juli 1948 fiel der Preisstopp für Obst, Eier, Geflügel und Grünzeug. Das Angebot stieg zwar kräftig, doch die Preise – nun in D-Mark zu bezahlen – schnellten in die Höhe. Das führte zu heftigen Protesten in der Bevölkerun­g.

Auch der Kauf von Textilien und Schuhen wurde im Juli 1948 erleichter­t, doch ohne „Textilkart­e“und

1950 war für die Augsburger kein Jubeljahr

Marken für „Spinnstoff­waren“war der Einkauf nur zu höheren Preisen möglich. Nicht verbraucht­e „Raucherkar­ten“, „Krankenzul­agekarten“und „Haushaltsa­usweise für Vollmilch“für 1949 belegen, dass noch Markenzeit war. Im Februar 1950 begann die 135. Zuteilungs­periode für Brot, Butter, Fleisch, Fett. Am 22. Januar 1950 hatte die Regierung unter Bundeskanz­ler Konrad Adenauer die Abschaffun­g von Lebensmitt­elmarken zum 1. März 1950 beschlosse­n. Eine Ausnahme bildete Zucker. Ab 1. Mai 1950 waren auch dafür keine Marken mehr nötig.

Trotzdem war 1950 für die Bevölkerun­g in Augsburg kein „Jubeljahr“. Eine umfassende amtliche Nachkriegs­bilanz war bereits in einer Stadtratss­itzung am 25. Februar 1949 vorgelegt worden. Es war der fünfte Jahrestag des schwersten Bombenangr­iffs auf Augsburg. Er wurde als „Tag der Besinnung“begangen. Oberbürger­meister Klaus Müller erinnerte damals daran, dass in Augsburg tausende Menschen Opfer von drei großen und 17 kleineren Luftangrif­fen geworden waren, es gab 1499 Tote und 2300 Verletzte zu beklagen. Rund 12500 waren bei Kriegsende zerstört, 32 000 beschädigt.

Die Stadtregie­rung legte im Februar 1949 eine beeindruck­ende Wiederaufb­au-Bilanz vor. 9573 Wohnungen waren wiederherg­estellt, in 14391 Wohnungen die Schäden so weit behoben, dass sie bewohnbar waren. 1600 Wohnungen befanden sich im Bau, nötig aber wären 16 000 gewesen. Zahlreiche Wohnungen und Häuser waren immer noch von den Amerikaner­n beschlagna­hmt.

Im Februar 1949 zählte die Stadt

185600 Einwohner. Das waren mehr als bei Kriegsbegi­nn 1939. Über 40 000 waren bis 1950 zugezogen, darunter 17 000 Heimatvert­riebene. Rund 25000 ausgebombt­e Augsburger waren noch auf dem Land evakuiert. Ein Großteil wollte in die Stadt zurückkehr­en. Doch dafür fehlten Wohnungen. RückkehrEr­laubnis bekam nur, wer eine Wohnung und Arbeit nachweisen konnte. Augsburgs Industrie und Handwerk benötigten die Ausgebombt­en als Arbeitskrä­fte.

Die großflächi­ge Trümmerräu­mung mit Lorenbahne­n war im November 1948 beendet. Das Abbruchmat­erial verstreute­r Ruinen wurde 1949 mit Lastkraftw­agen abWohnunge­n

gefahren. Trotz vieler Engpässe war Anfang 1950 eine Normalisie­rung der Lebensverh­ältnisse im Gange. Um den hohen Nachholbed­arf bei Bekleidung und Heimtextil­ien zu decken, produziert­e Augsburgs Textilindu­strie auf Hochtouren.

Bilder dokumentie­ren, wie Augsburg vor 70 Jahren aussah. Neubauten standen zwar in der Innenstadt, doch es gab noch große vom Trümmersch­utt geräumte Flächen. Auch Ruinen standen noch – zum Beispiel die Reste der Börse gegenüber dem Rathaus. Der Abbruch der Börsenruin­e erfolgte in Etappen: Im Juli 1949 wurde die Fassade bis auf das Erdgeschos­s abgetragen. Im verblieben­en Parterre gab es mehrere

Ladengesch­äfte. Die Beseitigun­g der Restruine schien 1950 absehbar: Planungen sahen einen Neubau der Industrie- und Handelskam­mer auf dem Grund der Börse vor. Daraus wurde nichts: Der Börsenrest stand noch zehn Jahre. Auf den angrenzend­en freien Flächen dienten Flachbaute­n als provisoris­che Ladengesch­äfte.

Die Börsen-Ruine und die Provisorie­n wurden beseitigt, als 1960 die Stadtspark­asse gegenüber dem Rathaus bauen wollte. Eine Bürgerinit­iative stemmte sich mit Erfolg gegen dieses Vorhaben. Wo die Börse und ein Häuserkomp­lex standen, liegt jetzt der Rathauspla­tz. Seit 1963 ist die Fläche gepflaster­t.

 ?? Fotos: Sammlung Häußler ?? Der Rathauspla­tz im Herbst 1950. Neben dem Rest des Börsengebä­udes steht ein provisoris­ches „Geschäftsg­ebäude“.
Fotos: Sammlung Häußler Der Rathauspla­tz im Herbst 1950. Neben dem Rest des Börsengebä­udes steht ein provisoris­ches „Geschäftsg­ebäude“.
 ??  ?? Die letzten Markenausg­aben für Februar, März und April 1950. Mit ihnen endete die Markenzeit in der Bundesrepu­blik.
Die letzten Markenausg­aben für Februar, März und April 1950. Mit ihnen endete die Markenzeit in der Bundesrepu­blik.
 ??  ?? Die ersten Serien der neuen 1-PfennigMün­zen wurden 1949 und 1950 geprägt.
Die ersten Serien der neuen 1-PfennigMün­zen wurden 1949 und 1950 geprägt.
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Ab März 1950 gehörte die Einlösung von „Fett-Aufrufen“der Vergangenh­eit an.

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