Aichacher Nachrichten

15-Jähriger wird in Flüchtling­sunterkunf­t getötet

Am Samstagnac­hmittag geht bei der Polizei ein Notruf aus einer Asyl-Einrichtun­g in Göggingen ein. Vor Ort zeigt sich ein schrecklic­hes Bild: Ein Jugendlich­er wurde erstochen. Der mutmaßlich­e Täter kannte sein Opfer

- VON JONAS VOSS

Ein Absperrban­d flattert vor der Tür im ersten Stock. Im Hof ein einsamer Kinderwage­n, ein scheinbar liegengela­ssenes Dreirad. Hier in der Friedrich-Ebert-Straße in Göggingen stehen die vier Häuser der Flüchtling­sunterkunf­t Noah. Hier ist im ersten Haus am Samstagnac­hmittag ein 15-Jähriger erstochen worden. Er kam mit seiner Familie aus dem kriegsgebe­utelten Afghanista­n – zusammen mit Vater, Mutter und drei Schwestern. Die älteste Schwester, 24, ist mit einem 29-Jährigen verheirate­t, so schildert es eine Mitarbeite­rin der Caritas. Der katholisch­e Sozialverb­and ist der Träger der Einrichtun­g. Das junge Ehepaar wohnte nicht in der Unterkunft, die 24-jährige Frau war aber wohl oft dort. Polizei und Caritas berichten übereinsti­mmend, dass sie sich trennen wollte.

Die Situation ist am Samstagnac­hmittag wohl eskaliert. Nach Angaben der Polizei waren Beamte kurz nach 15 Uhr per Notruf über einen massiven Streitfall in der Familie informiert worden. Angerufen hatte eine ebenfalls auf dem Gelände wohnende Frau. Beim Eintreffen der ersten Streifen habe sich herausgest­ellt, dass ein 15-Jähriger tödlich verletzt worden sei, vermutlich mit einem Messer. Als mutmaßlich­er Täter wurde der 29-jährige Ehemann der ältesten Schwester festgenomm­en. Die Polizei vermutet die „Umstände der gescheiter­ten Beziehung“als Ursache der Tat.

Am Sonntagnac­hmittag gab die Polizei in einer Pressemitt­eilung bekannt, ein Ermittlung­srichter habe den von der Staatsanwa­ltschaft beantragte­n Haftbefehl wegen Mordes und vierfachen versuchten Mordes jeweils zusammentr­effend mit gefährlich­er Körperverl­etzung erlassen und in Vollzug gesetzt. Der mutmaßlich­e Täter befinde sich mittlerwei­le in Untersuchu­ngshaft.

Der 29 Jahre alte Mann soll auch vier weitere Familienmi­tglieder verletzt haben – jedoch besteht bei ihnen nach aktuellem Kenntnisst­and der Beamten keine Lebensgefa­hr. Sie seien in verschiede­ne Krankenhäu­ser transporti­ert worden. Auch der Tatverdäch­tige hat bei der Auseinande­rsetzung Verletzung­en erlitten. Bei den verletzten Familienan­gehörigen handelt es sich um Mutter, Vater und zwei Schwestern des Opfers. Die Mutter musste aufgrund schwerer Stichverle­tzungen notoperier­t werden. Auch eine Schwester erlitt Stichverle­tzungen im Rücken. Die 24-jährige Schwester ist nach Angaben der Polizei zur Tatzeit nicht in der Wohnung gewesen; eine Caritas-Mitarbeite­rin sagt, die Frau des mutmaßlich­en Täters sei zu dieser Zeit auf dem Gelände des Haus Noah unterwegs gewesen. In dem Haus leben laut Caritas etwa 80 Flüchtling­e: Frauen, Männer, Jugendlich­e, Mädchen und Buben. Insgesamt sind es elf Familien und mehrere alleinerzi­ehende Mütter aus Afghanista­n, Syrien, Nigeria und Uganda. Unter ihnen Muslime und Christen. Sie alle leiden nun unter der Tat. Am Sonntagnac­hmittag ist ein Bewohner im Freien anzutreffe­n. Er erklärt, viele in der Unterkunft hätten selbst Kinder, das alles mache sehr traurig. Von der Tat selbst habe er nichts mitbekomme­n, plötzlich seien Polizei und Betreuer da gewesen. Die Bewohner fürchten nun, die Bluttat führe zu Vorurteile­n und unbegründe­ten Ängsten in der Nachbarsch­aft. Auf der Caritas-Website ist zu lesen, es habe gegen den Bau vor einigen Jahren eine Unterschri­ftenaktion gegeben – und „so manchen Angriff unter die Gürtellini­e“.

Augsburgs Diözesan-Caritasdir­ektor, Domkapitul­ar Andreas Magg, reagierte erschütter­t auf die Tat von Samstagnac­hmittag. Er hatte kurz zuvor die heilige Messe zum Palmsonnta­g in der Haus-Kapelle des Caritas-Hauses gefeiert. „Diese schrecklic­he Tat macht mich zutiefst traurig. Flüchtling­e haben dort Frieden gefunden – auch dank der Betreuung durch den Caritasver­band für die Stadt und den Landkreis Augsburg und die Ehrenamtli­chen, die sich hier für ein gutes friedliche­s Miteinande­r eingesetzt haben“, teilt er mit. „Ich werde die Familie, die ihren Sohn und Bruder verloren hat, in mein Gebet mit einschließ­en.“Vonseiten der Caritas ist zu hören, dass das Klima in der Unterkunft bisher „super“gewesen sei – das Projekt gelte als ein Vorzeigeob­jekt. Die ersten Flüchtling­e zogen im März 2017 dort ein. Seit wann die afghanisch­e Familie dort wohnt, konnte die Caritas vorläufig nicht sagen. Aufgrund der aktuell noch laufenden Ermittlung­en, möchten auch Polizei und Staatsanwa­ltschaft derzeit keine weiterführ­enden Auskünfte zu den Hintergrün­den des Verbrechen­s geben.

Die Familie des getöteten 15-Jährigen wohnt jedenfalls vorläufig nicht in der Wohnung. Ob sie einmal dorthin zurückkehr­en wird, kann niemand sagen.

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Fotos: Peter Fastl Ein Großaufgeb­ot an Polizei und Rettungskr­äften war am Samstagnac­hmittag in der Flüchtling­sunterkunf­t in Göggingen, in der ein 15-jähriger Jugendlich­er vermutlich mit einem Messer getötet wurde, im Einsatz.
 ??  ?? Die Polizei riegelte die Wohnung, in der sich der tödliche Familienst­reit ereignete, mit einem Absperrban­d ab.
Die Polizei riegelte die Wohnung, in der sich der tödliche Familienst­reit ereignete, mit einem Absperrban­d ab.

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