Aichacher Nachrichten

Ein Geben und Nehmen: Der Gabenzaun

An der Annakirche können Spenden für Obdachlose an ein Gittertor gehängt werden. Das Angebot wird gut angenommen, Freiwillig­e sorgen für einen geordneten Ablauf. Doch es gibt auch Kritik

- VON FRIDTJOF ATTERDAL

Der Gabenzaun am Gittertor der Annakirche scheint einen Nerv getroffen zu haben. Nur wenige Stunden, nachdem einige Freiwillig­e damit begonnen haben, dort Gaben für Obdachlose und Bedürftige in Plastiktüt­en aufzuhänge­n, bringen immer mehr Menschen Sachspende­n an dem Zaun an. Die Initiatore­n vom Arbeitskre­is Wohnen Augsburg (AK) sind von der Hilfsberei­tschaft überwältig­t. Gabenzäune gibt es in mehreren deutschen Städten. Doch in manchen, etwa in München, wurden sie aus hygienisch­en Gründen bereits wieder abgeschaff­t.

An diesem Mittag hängen etwa 30 Plastikbeu­tel in unterschie­dlicher Größe am schmiedeei­sernen Gitter zum Leuthof, einige Gaben stehen auch in unterschie­dliche Behältniss­e verpackt auf dem Boden davor. Lena Kroll und Laura Will haben Tüten mitgebrach­t und sind damit beschäftig­t, die „unsachgemä­ß“abgestellt­en Lebensmitt­el ordentlich zu verpacken, zu beschrifte­n und aufzuhänge­n. Jeden Tag sind Freiwillig­e der Initiative vor Ort, um

Ordnung zu schaffen und dafür zu sorgen, dass alles hygienisch verpackt ist. Denn wenn der Gabenzaun funktionie­ren soll, muss alles den Maßstäben zum Corona-Schutz entspreche­n, das ist den Initiatore­n klar. „In anderen Städten mussten die Gaben wieder abgenommen werden, weil die Hygiene nicht gestimmt hat“, weiß Lena Kroll, die sich im Vorfeld in mehreren Städten erkundigt hat, bevor sie die Aktion mit Gleichgesi­nnten startete. Mittlerwei­le helfen rund 60 Menschen mit, es werden täglich mehr, die sich engagieren wollen, freut sich Kroll.

Die Regeln sind einfach, erklärt sie. In jede Tüte kommen Spenden für eine Person, die Tüten sollen möglichst klein gehalten werden, damit niemand anfängt, Tüten zu durchwühle­n. Was drin ist, wird mit einem wasserfest­en Stift gut sichtbar draufgesch­rieben. Die Gaben sollen auch möglichst „thematisch“geordnet sein, damit sich jeder genau das nehmen kann, was er gerade braucht. „Es gibt beispielsw­eise Tüten mit Lebensmitt­eln und Tüten mit Hygieneart­ikeln“, beschreibt sie. Die Hygieneart­ikeltüten sollen nach Frauen und Männern getrennt bestückt werden. Sehr begehrt ist auch Hundefutte­r – ein Luxus, der für Obdachlose gerade extrem schwer zu bekommen ist.

An diesem Tag hängt auch eine Tüte mit Pfandflasc­hen am Zaun – allerdings nicht lange, dann kommt eine ältere Frau und nimmt diese wortlos an sich. Auch ein Beutel, der ganz offensicht­lich frisch vom Metzger kommt, findet schnell eine Abnehmerin. „Was ist da drin?“, will eine Seniorin wissen, die im gebotenen Abstand stehen geblieben ist und versucht, die Schrift auf der Tüte zu entziffern. „Ich glaube Salami, etwas Fleisch und zwei Flaschen Wasser“, klärt sie Laura Will auf. „Und das darf ich einfach haben?“versichert sich die Frau. Sie dankt und macht sich wieder auf den Weg. „Ich könnte den ganzen Tag hier stehen und Tüten verteilen“, freut sich Lena Kroll über die gute Tat.

Kurz darauf kommt ein Mann, der sich als Rainer vorstellt, und hängt eine Tüte frisches Brot dazu. „Ich habe den Gabenzaun im Moment entdeckt und bin gleich zum Bäcker gegangen“, berichtet er. „Für mich kostet so ein Brot ja nicht viel – für einen anderen Menschen vielleicht schon“, sagt er nachdenkli­ch.

Nicht nur Verbrauchs­artikel kann man hier spenden. Auch ein Schlafsack hängt, in Plastik verpackt, am Zaun. Sogar eine kleine „Wunschlist­e“gibt es, auf der Menschen ihre dringenden Bedürfniss­e aufschreib­en dürfen. Besteck, Teller, Kerzen, ein Kissen sind dort zu lesen. Die Bratpfanne, die ebenfalls gewünscht wurde, verpackt Simone Patz gerade in Plastik. „Es ist im Moment gar nicht so einfach, eine Pfanne zu bekommen“, sagt sie. Brandneu und originalve­rpackt wartet das Küchenuten­sil jetzt auf seinen Empfänger. „Ich helfe, wo es geht“, so die junge Frau. „Wir jammern gerade alle auf ziemlich hohem Niveau – und vergessen dabei manchmal, dass es Menschen gibt, denen es wirklich schlecht geht.“

Beim AK Wohnen glaubt man laut Lena Kroll, dass sich das Modell auch für andere Stadtteile eignen würde. Tatsächlic­h gibt es auch schon an diversen anderen Stellen kleinere Gabenzäune, einen zum Beispiel beim Altstadtki­ndergarten im Hunoldsgra­ben. Noch besser wäre laut Kroll allerdings ein Gabenautom­at, nach dem Vorbild der Automaten, wie sie an manchen Landwirtsc­haften oder Metzgereie­n zu finden sind.

Die Hilfsberei­tschaft der Menschen ist groß in diesen Zeiten. Doch es gibt auch Kritik an den Gabenzäune­n, zum Beispiel von der Arbeitsgem­einschaft Wohnungsno­tfallhilfe Augsburg. In einer Pressemitt­eilung teilt die Organisati­on mit, man soll Lebensmitt­elspenden lieber beim Katholisch­en Verband für Soziale Dienste (SKM) in der Klinkertor­straße abgeben. Gabenzäune seien nicht notwendig, alle Obdachlose­n in Augsburg würden gut versorgt.

Info Wer mehr über den Gabenzaun bei St. Anna wissen möchte, kann mit dem AK-Wohnen unter ak-wohnen@posteo.de Kontakt aufnehmen.

Täglich werden es mehr Freiwillig­e und Helfer

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Am Gabenzaun an der Augsburger Annakirche hängen zahlreiche Beutel mit Spenden für Bedürftige. Auf zugehörige­n Zetteln kann man lesen, was in den Tüten verpackt ist. So kann sich jeder Notleidend­e das nehmen, was er gerade braucht.
Foto: Annette Zoepf Am Gabenzaun an der Augsburger Annakirche hängen zahlreiche Beutel mit Spenden für Bedürftige. Auf zugehörige­n Zetteln kann man lesen, was in den Tüten verpackt ist. So kann sich jeder Notleidend­e das nehmen, was er gerade braucht.

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