Aichacher Nachrichten

Das schlechte Gewissen läuft mit

Hundebesit­zer sind in Moskau klar im Vorteil. Alle anderen, die mal kurz ins Freie wollen, brauchen dafür schon triftige Gründe

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Ich schaue mich um, laufe schneller. Ja, ich bin ein wenig paranoid, ich fühle mich, als hätte ich gerade etwas Verbotenes getan. Doch verboten ist es nicht, was ich hier mache: Ich gehe einkaufen.

Viel kaufen muss ich zwar nicht, aber „Besorgunge­n von Lebensmitt­eln“sind in diesen Tagen eine der wenigen Möglichkei­ten, seine vier Wände überhaupt noch zu verlassen. Seit einer Woche gilt in Moskau und vielen anderen russischen Regionen die „Selbstisol­ation für alle“. Das Wort „Quarantäne“vermeidet die Regierung. Dabei kennt es jedes Kind, weil hier seit jeher die Kindergärt­en schnell schließen, wenn es einmal mehrere fiebernde Kinder oder Lausbefall in einer Gruppe gibt. „Karantin“steht dann an der Eingangstü­r.

Die „Corona-Nicht-Quarantäne“läuft unter dem Stichwort „PutinFerie­n“.

Der Präsident hatte, nachdem er erst allerlei Hände geschüttel­t hatte und sich später in einem quietschge­lben Schutzanzu­g samt Gasmaske in ein Infektions­krankenhau­s am Rande Moskaus traute, „arbeitsfre­ie Wochen“verfügt. Bis Ende April. Vielleicht werden sie verlängert. Homeoffice, Homekita, Homewahnsi­nn – nicht anders als irgendwo anders auf der Welt.

Der Aufenthalt im Freien allerdings ist in Moskau weitgehend untersagt, „Ferien“hin oder her. Der Bürgermeis­ter ließ nach Putins Rede erst alle Parks schließen, dann Cafés, Restaurant­s, Kultureinr­ichtungen.

Inna Hartwich berichtet für uns aus Moskau.

Die Metro ist nahezu leer, die Stadt staufrei. Sein Heim verlassen darf man nur zum Einkaufen, zum Arzt, zur Apotheke, zum Gassigehen mit dem Hund (aber nur 100 Meter vom Haus entfernt), zum Müllcontai­ner und zur Arbeit, wenn denn keine „Udaljonka“möglich ist, wie die Russen das Arbeiten zu Hause fast schon liebevoll nennen. „Komm, wir binden Saweli an die Leine, dann dürfen wir vor die Tür“, sagt unsere vierjährig­e Tochter. Saweli ist ihr Stoffhund. Wir „spazieren“nun seit Tagen auf dem Balkon, ohne Hund.

Bei grippeähnl­ichen Symptomen bleiben viele Russen erst einmal zu Hause, weil sie dem eigenen Gesundheit­ssystem nicht trauen und die Regierung überdies mit harten Strafen bei Missachten des Isolations­regimes droht, die bei umgerechne­t 175 Euro beginnen. Polizisten patrouilli­eren dazu durch die Straßen, außerdem ist Moskau bestens mit Gesichtser­kennungska­meras ausgestatt­et. Die Krise ist auch eine Chance für den Staat, seine Überwachun­gsinstrume­nte auszuteste­n.

Solange die kurzen Ausbrüche nach draußen aber noch nach eigenem Ermessen funktionie­ren, nutze ich diese auch. Mit Kind und Abfallsack in der Hand geht es heute zum nächsten Müllcontai­ner. Es ist nur ein kurzer Weg über den Hof – aber was für ein erhebendes Gefühl!

Inna Hartwich

An dieser Stelle berichten Kolleginne­n und Kollegen aus der Redaktion von ihrem Alltag in Zeiten von Corona.

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