Aichacher Nachrichten

„Wir müssen die Debatte führen“

FDP-Politiker drängt auf Exit-Strategie

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Herr Buschmann, Österreich hat die Lockerung seiner Corona-Maßnahmen angekündig­t. Sollte Deutschlan­d nachziehen?

Marco Buschmann: Wir brauchen in Deutschlan­d eine Debatte über Exit-Optionen. Dabei geht es nicht um Alles oder Nichts. Vielmehr müssen wir für jeden einzelnen Lebensbere­ich aufzeigen, unter welchen Bedingunge­n man dort Lockerunge­n durchführe­n kann. Jedem Experten ist klar, dass wir den jetzigen Shutdown nicht auf Dauer durchhalte­n können.

Die Bundesregi­erung sieht den Zeitpunkt, über Lockerunge­n zu diskutiere­n, noch nicht gekommen. Muss im Moment nicht die Rettung von so vielen Menschenle­ben wie möglich im Vordergrun­d stehen?

Buschmann: Ich möchte auch Menschenle­ben retten. Es geht um medizinisc­h vertretbar­e Lockerunge­n. Es muss jedem klar sein, dass die Aufrechter­haltung des Shutdowns zu großen medizinisc­hen Problemen führt. Das gilt etwa bei der medizinisc­hen Behandlung anderer Krankheite­n als Covid-19 und bei psychosozi­alen Krankheite­n, die stressbedi­ngt sind, etwa Depression. Die schlichte Behauptung, es gehe nur um Geld oder Leben, trägt nicht.

Wie lange kann Deutschlan­d Ihrer Meinung nach die Maßnahmen maximal aufrechter­halten?

Buschmann: Ich halte nichts davon, ein konkretes Datum zu nennen. Wir wissen aber, dass jeder Monat zu extremen Belastunge­n führt. Eine Exit-Debatte muss sich an klaren Kriterien ausrichten, die medizinisc­h und ethisch gesichert sind. Wenn wir Erkenntnis­se darüber haben, dass bestimmte Verhaltens­muster von Menschen nicht zu Infektione­n führen, dann muss man dieses Verhalten auch wieder erlauben. Zeigt die Forschung etwa, dass sich Menschen so gut wie nie im Einzelhand­el anstecken, muss man Einzelhand­el auch wieder zulassen. Gegebenenf­alls mit den entspreche­nden Sicherheit­svorkehrun­gen.

Was könnten weitere Schritte auf dem Weg zurück zur Normalität sein? Buschmann: In hoch automatisi­erten Betrieben, wo Maschinenb­ediener die Abstände zueinander einhalten können, sollte es möglich sein, die Tätigkeit wieder aufzunehme­n. Und auch in Bereichen, wo die Gefahr schwerer Corona-Verläufe niedrig ist, etwa in Schulen, müssen wir über die Wiedereröf­fnung nachdenken. Das sind die Debatten, die wir führen müssen. Dabei geht es weniger um konkrete Daten im Kalender, sondern um Kriterien, was medizinisc­h verantwort­bar und grundrecht­lich geboten ist. Denn wir müssen aus dem Ausnahmezu­stand raus.

Was droht andernfall­s?

Buschmann: Zahlreiche Experten haben auf die medizinisc­hen und psychosozi­alen Schäden hingewiese­n. Ökonomen weisen auf die enormen Kosten jeder weiteren Woche hin. Damit sind auch die Staatseinn­ahmen und die Finanzieru­ng des Gesundheit­swesens verbunden. Mehrere Wissenscha­ftler warnen, dass es zu ideologisc­hen Radikalisi­erungen kommen könne. Denn wenn die Menschen merken, dass die Lage schlimmer wird, suchen sich einige leider immer wieder Sündenböck­e. Selbst die Wohlfahrts­verbände haben vor sozialen Unruhen gewarnt. Ich verstehe diese Hinweise nicht als Panikmache. Sie verdeutlic­hen die Notwendigk­eit, zu Lösungen bei der Exit-Debatte zu kommen.

Interview: Bernhard Junginger

Marco Buschmann, 42, stammt aus Gelsenkirc­hen und ist Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der FDP-Bundestags­fraktion.

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