Aichacher Nachrichten

Bolsonaro, ein Präsident auf Abruf?

Wie das Coronaviru­s für den Populisten zur politische­n Bedrohung wird

- VON TOBIAS KÄUFER UND SANDRA WEISS

Brasilia Im Netz wird schon wild spekuliert. Gerüchte einer bevorstehe­nden Ablösung von Jair Bolsonaro machen die Runde. Schuld ist das Coronaviru­s. Der Streit um den angemessen­en Umgang mit der Krise, die auch das lateinamer­ikanische Land mit voller Wucht erfasst hat, fügte dem rechtspopu­listischen Präsident Brasiliens in dieser Woche eine schwere innenpolit­ische Niederlage zu, die für den Rest seiner Präsidents­chaft gravierend­e Folgen haben dürfte. Zuerst streute sein

Umfeld, dass Bolsonaro seinen Gesundheit­sminister Luiz Henrique Mandetta entlassen wolle, dann endete der Machtkampf mit einem Rückzieher Bolsonaros – Mandetta bleibt, Bolsonaro ist beschädigt.

Das ist bemerkensw­ert, denn Mandetta verfolgt im Gegensatz zu seinem Präsidente­n eine nach den Empfehlung­en der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO ausgericht­ete Politik und bekommt dafür im Volk viel Zustimmung. Diese Politik wollte Bolsonaro bis zuletzt nicht teilen, rief die Menschen auf, wieder zur Arbeit zu gehen. Doch die Schwergewi­chte in Bolsonaros Kabinett – Wirtschaft­sminister Paulo Guedes und Justizmini­ster Sergio Moro – stellten sich ebenso wie Vizepräsid­ent Hamilton Mourão auf die Seite des Gesundheit­sministers. Bolsonaro ist vorerst isoliert und blamiert.

Nun holen Bolsonaro seine wissenscha­ftsfeindli­chen Aussagen zur Coronaviru­s-Krise („Das ist ja nur ein Grippchen“) ebenso ein wie sein demütigend­er Umgang mit den Institutio­nen und dem politische­n Establishm­ent. Bolsonaro hat nach seinem Abschied von der PSL derzeit keine eigene Partei im Rücken, da sich deren Gründungsp­rozess hinzieht und mitten in die Krise fällt. Dass Jair Bolsonaro zudem lieber seinen politisch unerfahren­en Söhnen vertraut, die selbst bereits viel politische­s Porzellan zerschlage­n haben, statt mit den etablierte­n Kräften zu verhandeln, sorgt in der Hauptstadt Brasilia für große Verstimmun­g und Misstrauen.

Damit hat sich Brasiliens Präsident 15 Monate nach seiner Amtsüberna­hme erst einmal ins politische Abseits manövriert. Seine Popularitä­t ist laut Umfragen auf 33 Prozent gesunken – die seiner Widersache­r, darunter einige Gouverneur­e und der zupackende Gesundheit­sminister Mandetta, ist auf 75 Prozent angestiege­n. Jeden Abend schlagen erboste Brasiliane­r auf Kochtopfde­ckel, um ihren Missmut gegenüber Bolsonaro zum Ausdruck zu bringen. Auch das Militär hat sich von seiner verharmlos­enden Rhetorik distanzier­t.

Womöglich nicht nur das: Der argentinis­che Investigat­iv-Journalist Horacio Verbitsky berichtet unter Berufung auf ein Telefonat zwischen einem brasiliani­schen und einem argentinis­chen Militär, dass das Militär Bolsonaro entmachtet und den General Walter Souza Braga Netto als „operationa­len Präsidente­n“eingesetzt habe. Allerdings hatte Verbitsky bereits in der Vergangenh­eit mit manchen Enthüllung­en daneben gelegen. So bezichtigt­e er Papst Franziskus der Kollaborat­ion mit der argentinis­chen Militärdik­tatur. Opfer der Diktatur, denen vom Papst geholfen wurde, also auch Friedensno­belpreistr­äger Adolfo Perez Esquivel, widersprac­hen daraufhin energisch. Trotzdem zeigt diese Episode, dass inzwischen sogar offen über eine Entmachtun­g des Präsidente­n spekuliert wird. Wesentlich bedeutsame­r ist die Tatsache, dass Bolsonaros eigener Vizepräsid­ent, der als moderat geltende ehemalige General Hamilton Mourão, in der Corona-Krise offen auf Distanz zu Bolsonaro geht.

Doch auch das ist noch lange nicht das Ende des Rechtspopu­listen. 59 Prozent der Brasiliane­r sind der Meinung, er solle nicht zurücktret­en; ein Amtsentheb­ungsverfah­ren ist wegen der Mehrheitsv­erhältniss­e im Kongress unwahrsche­inlich.

 ?? Foto: Cruz, dpa ?? Gerät in Bedrängnis: Jair Bolsonaro, Brasiliens Präsident.
Foto: Cruz, dpa Gerät in Bedrängnis: Jair Bolsonaro, Brasiliens Präsident.

Newspapers in German

Newspapers from Germany