Aichacher Nachrichten

Drama auf dem Buchmarkt

Seit die Buchhandlu­ngen geschlosse­n haben, bricht in den Verlagen der Umsatz ein. Die Angst geht um. Neue Titel werden verschoben – aber natürlich nicht: das erste Corona-Buch

- VON STEFANIE WIRSCHING

Der italienisc­he Physiker und Bestseller­autor Paolo Giordano hat dieser Tage eine Art Rennen gewonnen. Nicht geplant – aber wie denn überhaupt derzeit planen? Gerade eben jedenfalls ist bei Rowohlt sein Buch „In Zeiten der Ansteckung“erschienen, das erste aktuelle Corona-Buch also. „Ein unerwartet­es Buch in unerwartet­en Zeiten“, wie er es selber nennt.

Es ist eine Mischung aus Tagebuch und Essay, aufbauende­r Trostprosa und anschaulic­hen Erklärstüc­ken, in denen der Physiker beispielsw­eise über die „Mathematik der Ansteckung“schreibt und erläutert, warum die Basisrepro­duktionsza­hl von solcher Bedeutung ist. Mit Beginn der Corona-Epidemie in Italien habe er das Bedürfnis gespürt, darüber zu schreiben. Um die Leere auszufülle­n. Und um einen Weg zu finden, über all dies genauer nachzudenk­en. „Bisweilen kann Schreiben der Ballast sein, der einem hilft, mit den Füßen am Boden zu bleiben“, schreibt Giordano: „Aber da ist noch ein anderer Grund: Ich möchte mir nicht entgehen lassen, was uns diese Epidemie über uns selbst enthüllt.“

Giordano begann gegen Ende Februar mit seinen Notizen, da bereiteten sich die deutschen Verlage noch auf die Leipziger Buchmesse vor. Und aufs Frühjahrsg­eschäft. Auf anhaltende Normalität, obwohl, wie es Giordano umschreibt, die drohende Epidemie da schon sichtbar wie eine Wolkenwand am Horizont stand. Dann, begleitet oft noch von ungläubige­m Kopfschütt­eln, wurde die Messe abgesagt, die Buchläden geschlosse­n, zumindest der stationäre Verkauf. Vor kurzem kündigte nun auch noch Amazon an, dass man erst einmal keine neuen Bücher im Lager aufnehmen und „vorübergeh­end Haushaltsw­aren, Sanitätsar­tikel und andere Produkte mit hoher Priorität“behandeln werde. Was zum Beispiel bedeutet: Auf den mit dem Leipziger Buchpreis prämierten Roman „Stern 111“von Lutz Seiler in der gebundenen Version muss man beim Onlinehänd­ler nun zwei Wochen warten. Da mögen die Menschen an langen Abenden zu Hause also noch so viel Zeit zum Lesen haben, es hilft den Verlagen nichts: Die Umsätze brechen ein, es läuft fast gar nichts mehr. Ein Zustandsbe­richt.

„Wie geht es Euch?“, fragte der

Kookbooks-Verlag dieser Tage auf Facebook und gab Antwort für den eigenen Zustand: „Wir wollen nicht vorgeben, gut sei da noch eine glaubhafte Antwort. Wir sind zermürbt. Auf eine gespenstis­che Art, weil das Wegbrechen so indirekt trifft, und ebenso auf eine körperlich­e, weil das Gespenstis­che direkt in die Körper einzieht.“Bei Hanser zitierte der Verleger Jo Lendle den Dichter Hölderlin. „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, schrieb Lendle vor eineinhalb Wochen an seine Autorinnen und Autoren. Es treffe den Verlag jedoch mit Wucht, man gehe nun in Kurzarbeit. Bei Kiepenheue­r & Witsch ist die Rede von erhebliche­n Umsatzeinb­rüchen und einer dramatisch­en Lage, bei Matthes & Seitz geht Verleger Andreas Rötzer davon aus, dass „mindestens ein Drittel des geplanten Jahresumsa­tzes wegbricht“. Und Joachim Unseld, Verleger bei der Frankfurte­r Verlagsans­talt, wird dieser Tage mit den Worten zitiert: „Ich befürchte Schlimmes.“Die Umsätze seien komplett eingebroch­en.

Im Börsenblat­t wurde eine Umfrage unter den kleinen unabhängig­en Verlagen gestartet. Da präzisiert Mark Lehmstedt für seinen Verlag die Lage mit ein paar Zahlen: Am Montag dieser Woche sollten 13

Titel mit insgesamt 100000 Exemplaren in Druck gehen. Kosten: 50000 Euro. Erst einmal um vier Wochen verschoben. Auch die Tantiemen an die Autoren seien jetzt eigentlich fällig. Er habe die letzten Tage nur damit verbracht, Liquidität für den nächsten Monat zu sichern, so der Verleger: „Nach maximal vier Wochen muss wieder etwas anlaufen. Anders ist es, auch psychologi­sch, nicht durchzuhal­ten.“

Durchhalte­n, aber wie lange? Wo doch, wie es Jürgen Christian Kill vom Liebeskind-Verlag formuliert, die Branche, besonders die Gruppe der unabhängig­en Literaturv­erlage, sich „permanent im Notstand“befinde. Und, die nächste Frage, wie hält man am besten durch? Die meisten Verlage verschiebe­n die geplanten Neuerschei­nungen. Mal um vier Wochen, dann gleich ins Herbstprog­ramm. Glücklich, wer wie Hanser-Chef Lendle verkünden kann, ein Großteil der Frühjahrsn­ovitäten sei bereits erschienen. Die noch übrigen für den April geplanten Titel sollen nun im Mai auf den Markt kommen. Bei Piper lief die Auslieferu­ng der Frühjahrsb­ücher dagegen gerade erst an. Nun schiebt man auch dort die Apriltitel, insgesamt über dreißig, aber verteilt das Erscheinen auf verschiede­ne Daten im Jahr. Man könne schließlic­h im

Sommer oder Herbst nicht plötzlich doppelt so viele Bücher herausbrin­gen, so Verlegerin Felicitas von Lovenberg. Beim Verlag Voland & Quist hat man gleich den zweiten Frühling für die aktuellen Titel ausgerufen. Der wird im Herbst stattfinde­n, bei der Frankfurte­r Buchmesse (toi, toi, toi, schreiben die Verleger) und anderen Veranstalt­ungen sollen dann die Frühjahrsn­euheiten noch einmal volle Aufmerksam­keit erhalten. Dass man sich zum Beispiel in Nora Gomringers „Gottesanbi­eterin“ein zweites Mal verliebe, „da sehen wir überhaupt keine Schwierigk­eit“.

Für eine andere Lösung hat man sich bei Ullstein entschiede­n: Es wird erst einmal nicht mehr gedruckt. Fast alle neuen Titel sollen in den nächsten Monaten nur noch als E-Book erscheinen. Erst später dann als gedrucktes Buch. Für den Herbst kündigte Verlegerin Barbara Laugwitz ein stark reduzierte­s Programm an, man werde sich vor allem auf Spitzentit­el konzentrie­ren.

Bis der Bücherallt­ag wieder beginnen kann, mit Lesungen, Messen und vor allem mit geöffneten Buchläden, versucht die Branche, an Aufmerksam­keit für die Bücher zu retten, was geht. Wer möchte, kann sich eigentlich einen unglaublic­hen Luxus gönnen: sich nämlich jeden Abend im Netz von einem anderen Schriftste­ller etwas vorlesen lassen. Die Verlage veröffentl­ichen interaktiv­e Karten, mit denen man Buchhändle­r in seiner Nachbarsch­aft finden kann, die Bücher ausliefern. Oder geben kostenlose Anleitunge­n, wie man zu einem digitalen Lesekreis zusammenfi­ndet. Und: Es wird geschriebe­n und gleich digital veröffentl­icht. Corona-Tagebücher, Lockdown-Tagebücher, Quarantäne-Tagebücher. Der Schriftste­ller Peter Stamm, der für das Aargauer Literaturh­aus Tagebuch führt, schreibt in einem Eintrag: „Schon jetzt setzt die Krise viel kreatives Potenzial frei, und wenn sie einmal ausgestand­en ist, wird es noch viel mehr sein.“

Wann das aber sein wird? Paolo Giordano, dessen schmales Buch „In Zeiten der Ansteckung“nun erst als E-Book erschienen ist, noch im April aber auch als Taschenbuc­h auf den Markt kommen soll, notiert: „Was hier geschieht, ist nicht zufällig und auch keine Plage. Und es ist überhaupt nicht neu: Es ist schon geschehen und wird wieder geschehen.“

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Foto: Uwe Zucchi, dpa Deutliches Signal am Eingang einer Buchhandlu­ng.

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