Drama auf dem Buchmarkt
Seit die Buchhandlungen geschlossen haben, bricht in den Verlagen der Umsatz ein. Die Angst geht um. Neue Titel werden verschoben – aber natürlich nicht: das erste Corona-Buch
Der italienische Physiker und Bestsellerautor Paolo Giordano hat dieser Tage eine Art Rennen gewonnen. Nicht geplant – aber wie denn überhaupt derzeit planen? Gerade eben jedenfalls ist bei Rowohlt sein Buch „In Zeiten der Ansteckung“erschienen, das erste aktuelle Corona-Buch also. „Ein unerwartetes Buch in unerwarteten Zeiten“, wie er es selber nennt.
Es ist eine Mischung aus Tagebuch und Essay, aufbauender Trostprosa und anschaulichen Erklärstücken, in denen der Physiker beispielsweise über die „Mathematik der Ansteckung“schreibt und erläutert, warum die Basisreproduktionszahl von solcher Bedeutung ist. Mit Beginn der Corona-Epidemie in Italien habe er das Bedürfnis gespürt, darüber zu schreiben. Um die Leere auszufüllen. Und um einen Weg zu finden, über all dies genauer nachzudenken. „Bisweilen kann Schreiben der Ballast sein, der einem hilft, mit den Füßen am Boden zu bleiben“, schreibt Giordano: „Aber da ist noch ein anderer Grund: Ich möchte mir nicht entgehen lassen, was uns diese Epidemie über uns selbst enthüllt.“
Giordano begann gegen Ende Februar mit seinen Notizen, da bereiteten sich die deutschen Verlage noch auf die Leipziger Buchmesse vor. Und aufs Frühjahrsgeschäft. Auf anhaltende Normalität, obwohl, wie es Giordano umschreibt, die drohende Epidemie da schon sichtbar wie eine Wolkenwand am Horizont stand. Dann, begleitet oft noch von ungläubigem Kopfschütteln, wurde die Messe abgesagt, die Buchläden geschlossen, zumindest der stationäre Verkauf. Vor kurzem kündigte nun auch noch Amazon an, dass man erst einmal keine neuen Bücher im Lager aufnehmen und „vorübergehend Haushaltswaren, Sanitätsartikel und andere Produkte mit hoher Priorität“behandeln werde. Was zum Beispiel bedeutet: Auf den mit dem Leipziger Buchpreis prämierten Roman „Stern 111“von Lutz Seiler in der gebundenen Version muss man beim Onlinehändler nun zwei Wochen warten. Da mögen die Menschen an langen Abenden zu Hause also noch so viel Zeit zum Lesen haben, es hilft den Verlagen nichts: Die Umsätze brechen ein, es läuft fast gar nichts mehr. Ein Zustandsbericht.
„Wie geht es Euch?“, fragte der
Kookbooks-Verlag dieser Tage auf Facebook und gab Antwort für den eigenen Zustand: „Wir wollen nicht vorgeben, gut sei da noch eine glaubhafte Antwort. Wir sind zermürbt. Auf eine gespenstische Art, weil das Wegbrechen so indirekt trifft, und ebenso auf eine körperliche, weil das Gespenstische direkt in die Körper einzieht.“Bei Hanser zitierte der Verleger Jo Lendle den Dichter Hölderlin. „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, schrieb Lendle vor eineinhalb Wochen an seine Autorinnen und Autoren. Es treffe den Verlag jedoch mit Wucht, man gehe nun in Kurzarbeit. Bei Kiepenheuer & Witsch ist die Rede von erheblichen Umsatzeinbrüchen und einer dramatischen Lage, bei Matthes & Seitz geht Verleger Andreas Rötzer davon aus, dass „mindestens ein Drittel des geplanten Jahresumsatzes wegbricht“. Und Joachim Unseld, Verleger bei der Frankfurter Verlagsanstalt, wird dieser Tage mit den Worten zitiert: „Ich befürchte Schlimmes.“Die Umsätze seien komplett eingebrochen.
Im Börsenblatt wurde eine Umfrage unter den kleinen unabhängigen Verlagen gestartet. Da präzisiert Mark Lehmstedt für seinen Verlag die Lage mit ein paar Zahlen: Am Montag dieser Woche sollten 13
Titel mit insgesamt 100000 Exemplaren in Druck gehen. Kosten: 50000 Euro. Erst einmal um vier Wochen verschoben. Auch die Tantiemen an die Autoren seien jetzt eigentlich fällig. Er habe die letzten Tage nur damit verbracht, Liquidität für den nächsten Monat zu sichern, so der Verleger: „Nach maximal vier Wochen muss wieder etwas anlaufen. Anders ist es, auch psychologisch, nicht durchzuhalten.“
Durchhalten, aber wie lange? Wo doch, wie es Jürgen Christian Kill vom Liebeskind-Verlag formuliert, die Branche, besonders die Gruppe der unabhängigen Literaturverlage, sich „permanent im Notstand“befinde. Und, die nächste Frage, wie hält man am besten durch? Die meisten Verlage verschieben die geplanten Neuerscheinungen. Mal um vier Wochen, dann gleich ins Herbstprogramm. Glücklich, wer wie Hanser-Chef Lendle verkünden kann, ein Großteil der Frühjahrsnovitäten sei bereits erschienen. Die noch übrigen für den April geplanten Titel sollen nun im Mai auf den Markt kommen. Bei Piper lief die Auslieferung der Frühjahrsbücher dagegen gerade erst an. Nun schiebt man auch dort die Apriltitel, insgesamt über dreißig, aber verteilt das Erscheinen auf verschiedene Daten im Jahr. Man könne schließlich im
Sommer oder Herbst nicht plötzlich doppelt so viele Bücher herausbringen, so Verlegerin Felicitas von Lovenberg. Beim Verlag Voland & Quist hat man gleich den zweiten Frühling für die aktuellen Titel ausgerufen. Der wird im Herbst stattfinden, bei der Frankfurter Buchmesse (toi, toi, toi, schreiben die Verleger) und anderen Veranstaltungen sollen dann die Frühjahrsneuheiten noch einmal volle Aufmerksamkeit erhalten. Dass man sich zum Beispiel in Nora Gomringers „Gottesanbieterin“ein zweites Mal verliebe, „da sehen wir überhaupt keine Schwierigkeit“.
Für eine andere Lösung hat man sich bei Ullstein entschieden: Es wird erst einmal nicht mehr gedruckt. Fast alle neuen Titel sollen in den nächsten Monaten nur noch als E-Book erscheinen. Erst später dann als gedrucktes Buch. Für den Herbst kündigte Verlegerin Barbara Laugwitz ein stark reduziertes Programm an, man werde sich vor allem auf Spitzentitel konzentrieren.
Bis der Bücheralltag wieder beginnen kann, mit Lesungen, Messen und vor allem mit geöffneten Buchläden, versucht die Branche, an Aufmerksamkeit für die Bücher zu retten, was geht. Wer möchte, kann sich eigentlich einen unglaublichen Luxus gönnen: sich nämlich jeden Abend im Netz von einem anderen Schriftsteller etwas vorlesen lassen. Die Verlage veröffentlichen interaktive Karten, mit denen man Buchhändler in seiner Nachbarschaft finden kann, die Bücher ausliefern. Oder geben kostenlose Anleitungen, wie man zu einem digitalen Lesekreis zusammenfindet. Und: Es wird geschrieben und gleich digital veröffentlicht. Corona-Tagebücher, Lockdown-Tagebücher, Quarantäne-Tagebücher. Der Schriftsteller Peter Stamm, der für das Aargauer Literaturhaus Tagebuch führt, schreibt in einem Eintrag: „Schon jetzt setzt die Krise viel kreatives Potenzial frei, und wenn sie einmal ausgestanden ist, wird es noch viel mehr sein.“
Wann das aber sein wird? Paolo Giordano, dessen schmales Buch „In Zeiten der Ansteckung“nun erst als E-Book erschienen ist, noch im April aber auch als Taschenbuch auf den Markt kommen soll, notiert: „Was hier geschieht, ist nicht zufällig und auch keine Plage. Und es ist überhaupt nicht neu: Es ist schon geschehen und wird wieder geschehen.“