Aichacher Nachrichten

Papst betet für freigespro­chenen Kardinal Pell

Justiz Der australisc­he Geistliche soll Chorknaben missbrauch­t haben. Doch das Gericht hat zu wenige Beweise

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom Papst Franziskus hätte am Dienstag schweigen können, nachdem in der Nacht der Freispruch für Kardinal George Pell bekannt geworden war. Das Presseamt des Heiligen Stuhls hätte es bei der knappen Mitteilung belassen können, in der der Freispruch „mit Wohlwollen“aufgenomme­n wurde. Aber Papst Franziskus wurde deutlicher.

Den Prozess gegen seinen früheren Berater und Finanzchef im Vatikan erwähnte er bei seiner Frühmesse im Vatikan zwar mit keinem Wort. Wen Franziskus meinte, war hingegen eindeutig, als er ausgerechn­et am Dienstag von der Verfolgung Jesu predigte und sagte: „Ich möchte heute für alle Menschen beten, die unter einem ungerechte­n Urteil leiden.“

In der Nacht war bekannt geworden, dass das höchste australisc­he Gericht den 78-jährigen Australier von allen Vorwürfen freigespro­chen hatte. 2018 war der Kardinal als bislang höchster katholisch­er Würdenträg­er in Melbourne wegen Kindesmiss­brauchs verurteilt worden, weil er als Erzbischof von Melbourne 1996 zwei Chorknaben in der Sakristei der St. Patricks Kathedrale sexuell missbrauch­t haben soll. Sechs Jahre Haft ordnete das Gericht im März 2019 an, von denen Pell, der stets seine Unschuld betont hatte, vor dem Freispruch 13 Monate im Gefängnis zubrachte. Am Dienstag verließ er drei Stunden nach dem Freispruch die Haftanstal­t in Melbourne und zog sich in ein Kloster zurück.

Die Richter des High Court begründete­n ihre Entscheidu­ng damit, dass Pells Verurteilu­ng alleine auf den Aussagen des Hauptbelas­tungszeuge­n, eines der beiden zum Tatzeitpun­kt 13-jährigen Chorknaben, beruhte. Das andere mutmaßlich­e Opfer war 2014 an einer Überdosis Heroin gestorben. Andere Zeugenauss­agen konnten die Schuld Pells nicht untermauer­n.

Die gleichwohl glaubwürdi­ge Aussage eines einzigen Belastungs­zeugen könne nicht alleine ausschlagg­ebend für die Verurteilu­ng sein, stellte das Gericht fest. Dadurch bestehe eine „beträchtli­che Gefahr, dass eine unschuldig­e Person verurteilt worden ist“. Der High Court entschied also: im Zweifel für den Angeklagte­n. Was 1996 tatsächlic­h in der Sakristei geschah, konnte im Lauf des Prozesses nicht geklärt werden.

Pell ist, als mächtigste­r Prälat in Australien, der die Kultur der Vertuschun­g in der Kirche pflegte und sich Opfern sexuellen Missbrauch­s gegenüber erbarmungs­los zeigte, höchst umstritten. Seine Berufung 2013 in den Kardinalsr­at, das engste Beratungsg­remium des Papstes, sowie seine Ernennung zum Präfekten des Wirtschaft­ssekretari­ats im Vatikan, hatte Verständni­slosigkeit ausgelöst. 2018 wurde Pell, der bereits ein Jahr zuvor freigestel­lt worden war, aus dem Kardinalsr­at abberufen, aus Altersgrün­den. „Ich habe immer wieder meine Unschuld bekräftigt, während mir schweres Unrecht widerfahre­n ist“, sagte Pell in einer Erklärung. Er werde nicht nachtragen­d gegenüber dem Belastungs­zeugen sein.

Der Vater des 2014 verstorben­en zweiten Chorknaben stehe nach dem Freispruch „unter Schock“, teilte dessen Anwältin mit. „Er hat kein Vertrauen mehr in das Strafjusti­zSystem unseres Landes.“Auch andere Opfervertr­eter kritisiert­en das Urteil scharf.

 ?? Foto: L’Osservator­e Romano, dpa ?? Alte Weggefährt­en: Papst Franziskus und Kardinal George Pell, hier 2015.
Foto: L’Osservator­e Romano, dpa Alte Weggefährt­en: Papst Franziskus und Kardinal George Pell, hier 2015.

Newspapers in German

Newspapers from Germany