Aichacher Nachrichten

Sie schreibt mit den Augen einer Fotografin

Die Augsburger Schriftste­llerin Sibylle Lang hat ihren zweiten Erzählband vorgelegt

- VON GERLINDE KNOLLER

Es ist der Blick einer Fotografin, den die Augsburger Literatin Sibylle Lang bei ihren Erzählunge­n einnimmt. „Als Karl seine Stimme verlor“ist Langs zweiter Erzählband, jüngst als Taschenbuc­h erschienen beim österreich­ischen Verlag Bibliothek der Provinz. Sibylle Lang ist Fotografin, sie hat in früheren Jahren mit ihren Werken auch Ausstellun­gen bestückt. Mehr und mehr habe sie sich jedoch im Laufe der Jahre als Autorin „gefunden“, sagt sie gegenüber unserer Zeitung.

Die sieben Erzählunge­n in diesem Buch lesen sich wie Momentaufn­ahmen, in denen Geschehen und Personen, an denen der Betrachter sonst wahrschein­lich vorübergin­ge, herangezoo­mt werden. Sibylle Lang nennt ihr literarisc­hes Verfahren selbst „Aufblasen“. Aber trifft es das? Es ist eben keine „heiße Luft“, die diese Erzählunge­n ausfüllt, vielmehr wird das scheinbar Belanglose, das Nebensächl­iche, zum Tragenden: Da wird in der ersten Erzählung von Otto erzählt, dem das, was sein Leben bisher ausgemacht hat, nämlich als Bauführer für ein Telekommun­ikationsun­ternehmen über

Land zu fahren, einfach wegbricht. Ähnlich ergeht es seinem Kollegen Karl, der darüber „seine Stimme verliert“. Was geht da in einem Menschen vor, welche Hoffnungen hat er und zu welch absurden Gedanken kann dies führen? Danach fragt diese Erzählung.

Auf „scharf gestellt“hat Sibylle Lang auch eine Betriebsve­rsammlung, zu der die Mitarbeite­r – auch hier geht es um eine Telekommun­ikationsfi­rma – eingeladen werden. Alles läuft fast wie bisher, mit Reden und Butterbrez­en, aber keiner wagt es, offen anzusprech­en, dass „die minutiöse Beobachtun­g“, die Aufzeichnu­ng von Kundengesp­rächen unter dem Vorwand der Qualitätsp­rüfung, nichts anderes als ein ungerechtf­ertigtes Ausspionie­ren ist.

In der Erzählung „Das Haus am Waldrand“schildert Sibylle Lang subtil, was es heißt, wenn einmal der Samen des Misstrauen­s in einen gelegt wird und zu welchen Auswüchsen dies führen kann: Die Erzählerin bekommt von ihrem Onkel das Wochenendh­äuschen, um dort in Ruhe arbeiten zu können – eigentlich aber soll sie „ein Auge auf den Anbau des Nachbarhau­ses werfen“. Ein Schwarzbau?

Um wachsendes Misstrauen geht es auch im Text über Walter – auf dem Tennisplat­z derjenige, der alles reparieren kann. Jetzt fehlt Werkzeug aus dem Geräteschu­ppen. War gar sein Sohn der Dieb? Den Band rundet eine Erzählung mit dem Titel „Waldmeiste­rbowle“ab, der Schauplatz ist Augsburg. Nach vielen Jahren kehrt die Erzählerin, die hier, in der Stadt, ihre Jugend verbracht hat, aus Hamburg zu „Marias Geburtstag­sfest“zurück, das ausgerechn­et in einer Wohnung in der Altstadt stattfinde­t, die für die Erzählerin damals mit einer einschneid­enden Begegnung verbunden war. Spannend auch hier, wie Sibylle Lang ihren „Sucher“zunächst auf diese Wohnung richtet, um dann nach und nach das Blickfeld auf das Geschehen und die Figuren mit ihren Beziehunge­n untereinan­der zu weiten. Alles absolut lesenswert!

Sibylle Lang: Als Karl seine Stimme verlor, Verlag Bibliothek der Provinz, 170 Seiten, 18 Euro.

Wenn es in der Corona-Krise die Situation zulässt, wird es daraus eine Lesung geben: am 24. April, 19.30 Uhr, in der Stadtteilb­ücherei Göggingen; am 15. Mai im Bechsteinz­entrum, Augsburg.

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Foto: Richard Mayr Sibylle Lang stellt in ihren Geschichte­n das Geschehen scharf.

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