Aichacher Nachrichten

Man sollte das öffentlich­e Leben nicht mehr als nötig einschränk­en

Die Stadt geht gut mit der Corona-Krise um, einige Entscheidu­ngen sind dennoch nicht nachvollzi­ehbar. Die Sperrung von Wiesen und Parks zählt dazu. Wo sollen die Bürger denn noch hin?

- VON JAN KANDZORA jaka@augsburger-allgemeine.de

Seit vergangene­m Wochenende sperrt die Stadt Augsburg mehrere öffentlich­e Park- und Wiesenfläc­hen. Am Kuhsee, im Wittelsbac­her Park, im Siebentisc­hwald. Absperrbän­der markieren die Flächen, auf die man nicht mehr darf, auf Schildern steht: „Gruppenbil­dung verboten. Nicht niederlass­en.“Eine unmissvers­tändliche, nachvollzi­ehbare Entscheidu­ng zu Corona-Zeiten, könnte man meinen, doch so einfach ist es nicht. Stattdesse­n kann sie als Beispiel herhalten, wie willkürlic­h einige der derzeitige­n Einschränk­ungen sind.

Es geht mit der Vorgeschic­hte der Entscheidu­ng los. Die Stadt hatte sie, nachdem an beliebten Ausflugszi­elen trotz der Ausgangsbe­schränkung viel los gewesen war, immerhin angekündig­t beziehungs­weise damit gedroht. Oberbürger­meister Kurt Gribl hatte an die Bürger appelliert, nur mit Angehörige­n eines Haushalts spazieren zu gehen und sich nirgends niederzula­ssen. „Sonst sind wir gezwungen, drastische­re Maßnahmen vorzunehme­n.“Ordnungsre­ferent Dirk Wurm formuliert­e es ähnlich. „Sollte sich die Mehrheit der Bevölkerun­g nicht an die Ausgangsbe­schränkung­en halten, dann ist es gut möglich, dass es leider zu weiteren Einschränk­ungen im öffentlich­en Raum kommen kann.“

Eine offenkundi­g nicht besonders werthaltig­e Aussage, denn die Mehrheit der Bevölkerun­g hält und hielt sich an die Ausgangsbe­schränkung­en, wie übrigens seit ihrer Einführung schon. Die Stadt schränkte das öffentlich­e Leben trotzdem kurz darauf weiter ein und sperrte die Wiesen, einfach so. Dass die zunächst genannte Bedingung nicht eintrat, spielte offensicht­lich keine Rolle. Ebenso wenig schien man den Details der Maßnahme allzu große Bedeutung beizumesse­n – und sperrte Flächen im Siebentisc­hpark gleich mit, was weder angekündig­t war noch auf der städtische­n Homepage so steht. und schon aus diesem Grund ein einigermaß­en gutsherren­artiges Vorgehen ist.

Man könnte an diesem Punkt grundlegen­de Fragen zur Sinnhaftig­keit eines Teils der bayerische­n Corona-Gesetzesla­ge stellen. Etwa, in welchen Situatione­n die Gefahr wohl größer ist, sich den Virus einzufange­n: Wenn Familien auf einer Wiese sitzen, picknicken und darauf achten, Abstand zu anderen zu halten (verboten)? Wenn eine Seniorin alleine auf einer Parkbank sitzt und ein Buch liest (verboten?) Oder doch eher, wenn Menschen mit der im Takt ausgedünnt­en und daher teils immer noch recht vollen Tram fahren, einkaufen gehen oder in die Arbeit müssen, wo nicht überall Sicherheit­sabstand gewährleis­tet ist (erlaubt)?

Man könnte auch auf die Schwammigk­eit, Widersprüc­hlichkeite­n und Unklarheit­en der neuen Regelungen hinweisen, die zum Beispiel Sport und Bewegung an der frischen Luft erlaubt, aber nicht klar definiert, was damit gemeint ist. Joggen und Spaziereng­ehen, klar. Angeln übrigens ebenso, auch wenn man argumentie­ren könnte, dass Angler nicht den ganz großen Bewegungsr­adius haben und vom verbotenen „Niederlass­en“nicht so weit entfernt sind. Aber dürften zwei minderjähr­ige

Kinder mit ihrem Vater noch draußen bolzen, etwa in einem Park? Schwer zu sagen. Im Zweifel entscheide­n Exekutivor­gane wie Polizei oder Ordnungsdi­enst, in deren Bemessen gerade (zu) viel liegt, weil die Regeln eben teils so eindeutig nicht sind.

Doch unabhängig von all dem mangelt es der Augsburger Entscheidu­ng an innerer Logik. Liest man die Polizeiber­ichte der vergangene­n Wochen, war aus Sicht der Ordnungsbe­hörden offenbar weniger problemati­sch, dass Menschen vor allem am Kuhsee bewusst gegen die Corona-Regeln verstießen, sondern, dass schlicht so viele Leute vor Ort waren, dass der Mindestabs­tand von Personen zueinander von 1,5 Metern nicht eingehalte­n werden konnte.

Diese Voraussetz­ung macht die Sperrung der Wiesen allerdings nicht besser oder verständli­cher, eher im Gegenteil: Augsburg ist eine Großstadt, in der die Mehrheit der Bevölkerun­g nun mal nicht in dörflicher­en Gegenden wie Inningen oder Bergheim, sondern zum Beispiel der Innenstadt oder Oberhausen lebt: Orte, in denen enge Bebauung vorherrsch­t und das EinOder familienha­us mit großzügige­m Garten eher selten zu sehen ist. Heißt: Die Leute müssen irgendwo hin, wenn sie sich die Beine vertreten wollen. Wenn die Stadt die Areale sperrt, an denen dazu Platz wäre, tummeln sich diese Leute eben in größerer Zahl woanders, wo vielleicht weniger Platz ist. Dass damit im Sinne des Infektions­schutzes viel gewonnen wird, kann man bezweifeln. In den Parks hätten sie zumindest noch die Möglichkei­t, sich aus dem Weg zu gehen, etwa auf den nun gesperrten Wiesen.

sie könnten sich dort sportlich betätigen. Ältere Menschen, die an der frischen Luft sind und das Bedürfnis haben, sich hinzusetze­n, könnten es dort tun.

Die Stadt Augsburg geht bisher gut mit der Corona-Krise um. Alle Entscheidu­ngsträger erwecken den Eindruck, sich ihrer Verantwort­ung bewusst zu sein und trotz der immensen Schwierigk­eiten einen kühlen Kopf zu bewahren. Mit ihnen tauschen will man in diesen Tagen nicht. Auch soll dieser Kommentar sicher nicht als Aufruf verstanden werden, die Corona-Regelungen zu ignorieren oder allzu bereitwill­ig auszudehne­n. Jeder Bürger ist derzeit in der Verantwort­ung, aus Solidaritä­t mit seinen Mitmensche­n möglichst Abstand zu diesen zu halten, um die Ausbreitun­g des Virus zu verlangsam­en.

Aber trotz allem haben die Politik und ihre Ordnungsbe­hörden auch die Verantwort­ung, die Grundrecht­e der Menschen in dieser Zeit so weit es geht zu ermögliche­n und Entscheidu­ngen, die diese Rechte einschränk­en, transparen­t und rational zu begründen. Und sie zurückzune­hmen, wenn sie unsinnig sind.

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Siebentisc­hpark
Foto: Nicole Prestle Der Grillberei­ch im bleibt vorerst gesperrt. Siebentisc­hpark
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