Reicht das Corona-Hilfspaket der EU?
Konjunktur Europa legt ein 500-Milliarden-Euro-Programm gegen die Wirtschaftskrise auf. Die Finanzminister sind zufrieden, doch schon jetzt gibt es erste Kritik am Vorgehen
Brüssel/Berlin Das Selbstlob der Finanzminister wollte gar kein Ende nehmen: „Ein beispielloses Paket gegen die Krise von beispiellosem Ausmaß“, nannte EurogruppenChef Mario Centeno die Vereinbarung. Deutschlands Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sprach von einem „großen Tag europäischer Solidarität“. Sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire von einer „ausgezeichneten Vereinbarung“. Drei Tage rangen die Euro-Finanzminister miteinander. Das Ergebnis ist ein 540-Milliarden-Euro-Hilfspaket für Arbeitnehmer, Unternehmen, kleine und mittelständische Betriebe sowie angeschlagene Staaten wie Spanien und Italien.
Enthalten sind drei Elemente: Vorsorgliche Kreditlinien des EuroRettungsschirms ESM von bis zu 240 Milliarden Euro, die besonders von der Pandemie betroffenen Staaten zugutekommen könnten; ein Garantiefonds für Unternehmenskredite der Europäischen Investitionsbank EIB, der 200 Milliarden
Euro mobilisieren soll; und das von der EU-Kommission vorgeschlagene Kurzarbeiter-Programm namens „Sure“im Umfang von 100 Milliarden Euro. Zuletzt ging es nur noch um einen Knackpunkt: Bislang waren Kredite des ESM an umfassende Kontroll- und Reformmaßnahmen gebunden. Das wollte der italienische Finanzminister Roberto Gualtieri nicht akzeptieren. Am Ende verständigte man sich darauf, dass die Überwachung unterbleibt und die jetzt bereitgestellten Gelder nur für direkte und indirekte Gesundheitskosten genutzt werden dürfen. Gleichzeitig muss sich jede Regierung aber um eine solide Haushaltsfinanzierung bemühen.
Dieser Brückenschlag schien nötig, damit sich auch Italiens Finanzminister als Gewinner fühlen konnte. Gualtieri, der im Vorfeld der Beratungen immer wieder auf der Einführung der umstrittenen EuroBonds bestanden hatte, feierte allerdings noch einen Sieg: Die „europäischen Anleihen bleiben auf dem Tisch“, schrieb er triumphierend auf Twitter. Das könnte stimmen. Denn zum beschlossenen Gesamtpaket gehört auch ein Wiederaufbau-Fonds (Recovery-Fonds), der langfristig für die wirtschaftliche Erholung in den Mitgliedstaaten sorgen soll. „Ein solcher Fonds wäre zeitlich befristet, zielgerichtet und angemessen für die außerordentlichen Kosten der Krise“, heißt es in der Vereinbarung. Italien und Spanien sehen darin eine prinzipielle Zusage für Bonds. Deutschland, Österreich, die Niederlande und Finnland wollen sie weiter verhindern, konnten aber auch noch nicht sagen, wie sie die erhoffte Finanzspritze von einer Billion Euro auf anderem Wege aufbringen wollen.
„Politisch war es gut, dass die Eurogruppe nicht ergebnislos auseinanderging. Das Ergebnis bleibt aber zu schwach, um ökonomisch eine ernsthafte Antwort zu sein“, sagt der Finanzexperte der GrünenEuropafraktion, Rasmus Andresen, gegenüber unserer Redaktion. Und selbst in der SPD ist man sparsam mit Lob für den eigenen Finanzminister. So sieht der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans in dem Paket lediglich einen ersten Schritt. „Gemessen an den Maßnahmen, die der Deutsche Bundestag allein für unser Land beschlossen hat, müssen für Italien und Spanien weitere Schritte folgen“, sagte WalterBorjans den Zeitungen der FunkeMediengruppe. „Die Überzeugung bleibt, dass eine dauerhaft funktionierende Gemeinschaft mehr eigene Finanzhoheit und gemeinschaftlich verbürgte Staatsanleihen zu klar definierten Bedingungen braucht.“
Deutliche Kritik kommt von der FDP. „Dass die Staaten für die ESM-Kredite aber keine konkreten Bedingungen erfüllen müssen, führt auf die schiefe Ebene“, sagt der finanzpolitische Sprecher der Partei, Florian Toncar. Der ESM ändere so langsam seinen Charakter. „Was als Hilfe zur Selbsthilfe unter Auflagen konzipiert war, wird zu einem allgemeinen Budgetinstrument der Eurozone umgewidmet“, sagt Toncar, der zugleich Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion ist. Dies sei ein hoher, langfristig bleibender Preis. „Unterm Strich hat die Bundesregierung daher in den politischen Streitfragen nichts erreicht“, urteilt der FDP-Politiker.
Brüssel Um die Wirtschaftskrise infolge der Corona-Pandemie abzufedern, mobilisiert die Europäische Union gemeinsam ein Rettungspaket für Jobs, Firmen und angeschlagene Staaten im Wert von mehr als 500 Milliarden Euro. Darauf einigten sich die EU-Finanzminister nach extrem schwierigen Verhandlungen. Niemals zuvor hat die Europäische Union in solcher Geschwindigkeit ein Sicherheitsnetz für die Mitgliedstaaten geknüpft. Am Karfreitag herrschte deshalb vor allem Erleichterung, dass man sich überhaupt zusammengerauft hat. Zentrale – und besonders umstrittene – Punkte wurden allerdings vertagt, darunter die Corona-Bonds.
Experten fürchten schon jetzt, dass die Maßnahmen alleine nicht ausreichen werden, um die europäische Wirtschaft zu stabilisieren. Das vereinbarte Paket enthält drei Punkte – jeweils ein „Sicherheitsnetz“für Jobs, für kleine und mittlere Unternehmen und für angeschlagene Staaten wie Italien oder Spanien, die ohnehin verschuldet sind und nun auch noch von der Corona-Pandemie schwer getroffen werden. Darum geht es:
● Kurzarbeit Das Konzept „Sure“der EU-Kommission soll Kurzarbeitergeld in den EU-Staaten unterstützen. Das sind Lohnzuschüsse für Firmen, die in der Krise trotz Auftragsmangels Mitarbeiter nicht entlassen. Dafür sollen die Mitgliedsländer 25 Milliarden Euro als Garantien hinterlegen. Mit dieser Rückendeckung nimmt die EU-Kommission bis zu 100 Milliarden Euro zu günstigen Konditionen am Kapitalmarkt auf und reicht sie nach Bedarf für Kurzarbeit an EU-Staaten weiter.
● Unternehmenskredite Die EUStaaten wollen gemeinsam einen Garantiefonds bei der Europäischen Investitionsbank EIB bestücken, ebenfalls mit 25 Milliarden Euro. Damit könnte wiederum die EIB Unternehmenskredite absichern. Die Bank will bis zu 200 Milliarden
Euro an Liquidität mobilisieren, hauptsächlich für den Mittelstand. ● Rettungsschirm Der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM soll binnen zwei Wochen vorsorglich Kreditlinien für alle Staaten der Eurogruppe bereithalten. Der ESM wurde 2012 als Rettungsschirm für Staaten in der Eurokrise gegründet und vergab etwa an Griechenland Kredite unter strengen Auflagen.
Für die jetzt vereinbarte „Pandemie-Krisen-Hilfe“werden allerdings keine Sparprogramme gefordert, es gibt lediglich eine Vorgabe: Das Geld darf nur für direkte oder indirekte Gesundheitskosten verwendet werden. Bis zu 240 Milliarden Euro an Krediten könnten fließen – an jedes Empfängerland bis zu zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts.
● Fonds Vereinbart wurde auch ein „Recovery Fund“, der „Solidarität mit den am meisten betroffenen Staaten“sichern und die Wirtschaft nach der Krise wieder anschieben soll. Er soll den „außerordentlich hohen Kosten“der Krise Rechnung tragen. Allerdings bleib die Frage offen, wie der Fonds finanziert wird. Einige Staaten wollen dafür Gemeinschaftsanleihen ausgeben, während andere – darunter Deutschland – solche Corona-Bonds ablehnen, die eine Vergemeinschaftung von Schulden bedeuten würden. Die Tür dafür bleibe jedenfalls offen, sagte der Mailänder Wirtschaftsprofessor Andrea Boitani. Der Fonds müsse schließlich finanziert werden und damit kämen die Bonds wieder auf den Tisch. Der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra bekräftigte vorsorglich sein Veto: „Eurobonds sind etwas, was für mich nicht in Ordnung war, nicht in Ordnung ist und auch nie in Ordnung sein wird.“
● Deutschland Die Bundesrepublik wird die drei europäischen Instrumente wohl vorerst nicht brauchen, da sie starke eigene Strukturen hat, darunter das Kurzarbeitergeld, die staatliche Förderbank KfW und eine hohe Kreditwürdigkeit. Auch ESM-Kredite werden voraussichtlich nicht benötigt. Deutschland ist allerdings bei der Finanzierung beziehungsweise Absicherung der Instrumente gefragt: Für „Sure“werden Garantien fällig, für den EIBGarantiefonds Einzahlungen, die sich nach Größe und Wirtschaftskraft eines Staates richten. Für den ESM wird keine zusätzliche Einlage nötig.