Aichacher Nachrichten

FCA-Präsident kritisiert Klubs

Interview Klaus Reinhardt, Chef der Bundesärzt­ekammer, erklärt, wie viel Aussagekra­ft die Coronazahl­en wirklich haben, warum die Todesraten bei uns niedriger sind und was die Regierung jetzt unbedingt tun muss

- Interview: Detlef Drewes

Augsburg FC-Augsburg-Präsident Klaus Hofmann kritisiert das Verhalten großer Fußball-Bundesligi­sten in der derzeitige­n Corona-Krise scharf. „Wenn ich lese, dass Fußballver­eine, die ein paar hundert Millionen Euro Umsatz machen, ihre Geschäftss­tellenmita­rbeiter in Kurzarbeit schicken, fühle ich mich wie in einem falschen Film“, sagt der 52-Jährige im Interview mit unserer Redaktion. „Wir versuchen, einen anderen Weg zu gehen, ohne sofort auf staatliche Unterstütz­ung zurückzugr­eifen.“Die finanziell­e Ausstattun­g des FC Augsburg sei gut. „Wir haben vernünftig­e Kostenstru­kturen, und im Gegensatz zu anderen Vereinen können wir mit diesen Strukturen auch überleben.“

Im Kampf gegen Corona gab es innerhalb Europas einen regelrecht­en Wettbewerb um Schutzklei­dung und medizinisc­he Geräte. Welche Lehren müssen daraus gezogen werden? Reinhardt: Es hat keinen Sinn, in guten Zeiten Pandemie-Pläne auszuarbei­ten, die dann aber in einem Aktenordne­r verschwind­en. Wir haben gesehen, wie wichtig es ist, sowohl Vorräte für den Notfall anzulegen als auch Produktion­skapazität­en für Schutzausr­üstung und Arzneimitt­el in Deutschlan­d und Europa zu schaffen. Da sehe ich die EU gefordert, um hier zu einer Aufgabente­ilung zu kommen, die im akuten Fall allen hilft.

Wie weit sollte das gehen? Brauchen wir so etwas wie einen EU-weiten Bedarfspla­n für Intensivbe­tten und Kapazitäte­n in den Kliniken? Reinhardt: Das ist ein sehr hochgestec­ktes Ziel. Selbst innerhalb Deutschlan­ds ist die Krankenhau­sBedarfspl­anung nicht zentral organisier­t, sondern Sache der Bundesländ­er. Trotzdem ist hier ein Neuansatz nötig. Es kommt darauf an, dass bei der Planung künftig stärker auch Krisenszen­arien berücksich­tigt werden. Nur wenige Wochen vor der Pandemie gab es eine viel beachtete Studie in Deutschlan­d, die zu dem Fazit kam, es gebe rund 400 Krankenhäu­ser zu viel. Wenn wir dieser Empfehlung gefolgt wären, hätten wir unter Umständen bei uns ebenfalls Verhältnis­se wie in Spanien, Italien oder Frankreich. Man wird

Nachgang zu dieser Krise sicherlich darüber reden müssen, welchem Sachversta­nd wir künftig folgen sollten und welchem auch nicht.

Können deutsche Kliniken noch mehr tun, wenn es darum geht, Patienten aus anderen EU-Ländern aufzunehme­n? Reinhardt: Das war ein wichtiges Signal der Solidaritä­t. Im Moment können wir das auch verkraften, weil wir dafür noch ausreichen­d freie Kapazitäte­n in der Intensivme­dizin haben. Hoffentlic­h bleibt das auch so. Ich hielte es allerdings für problemati­sch, wenn wir uns am Ende übernehmen und den Menschen hierzuland­e nicht mehr die notwendige Intensivhi­lfe bieten können.

Wie erklären Sie sich, dass die Zahl der Infektione­n und vor allem der Todesfälle in Deutschlan­d so viel niedriger als in anderen Ländern ist? Reinhardt: Es gibt viele Gründe. Ganz wichtig war, dass Deutschlan­d von Anfang an sehr viel getestet und dadurch mehr Infizierte nachgewies­en hat, die wir dann sofort isoliert haben. Es gab Hinweise von Medizinern in Norditalie­n, dass bereits im Januar dieses Jahres relativ viele atypische Lungenentz­ündungen registrier­t wurden. Da war von Corona noch nicht die Rede. Heute müssen wir annehmen, dass das Virus da schon grassierte und die offizielle Zahl der Infizierte­n viel zu klein ist. Da hat Deutschlan­d sehr viel schneller und zielgerich­teter reagiert.

Hat das auch mit einem effiziente­ren Gesundheit­ssystem zu tun? Reinhardt: Ganz sicher hat es mit einem sehr guten Hausarzt-Netz zu tun. Sechs von sieben Infizierte­n werden ambulant behandelt. Der Hausarzt, der seinen Patienten aufmerksam verfolgt, weiß genau, wann er ihn rechtzeiti­g in die Klinik einweist. Das hat erheblich dazu beigetrage­n, dass unsere Klinikkapa­zitäten bisher nicht durch nicht notwendige­rweise klinikpfli­chtige Patienten ausgeschöp­ft, die Menschen aber trotzdem gut behandelt wurden.

Sind die offizielle­n Daten also nicht verlässlic­h?

Reinhardt: Nimmt man die offizielle­n Angaben, sterben in Deutschlan­d zwei Prozent der Infizierte­n. In Italien, Spanien oder Frankreich sind es fünf Mal mehr. Aber die Zahlen bleiben nicht aussagekrä­ftig, weil es zahlreiche Menschen gibt, die sich nie haben testen lassen, obwohl sie möglicherw­eise infiziert waren, die Symptome aber eher gering ausfielen. Ich spreche hier nicht von Einzelfäll­en. Wie viele das sind, weiß niemand. Hinzu kommt, dass die Daten um Tage veraltet sind, weil die Patienten erst nach Auftreten von Symptomen getestet werden. Zusätzlich­e Zeit verstreich­t, bis die Testergebn­isse vorliegen und statistisc­h erfasst werden. Statt uns Horrorszen­arien auszumalen, sollten wir uns deshalb auf klare Analysen konzentrie­ren. Und diese Klarim heit können repräsenta­tive Bevölkerun­gstests schaffen, wie beispielsw­eise mit den aktuellen Studien in Heinsberg und München.

Welche Schritte zur Lockerung der Beschränku­ngen empfehlen Sie? Reinhardt: Die bisher erlassenen Maßnahmen waren völlig richtig. Wenn der Schutz gelockert werden soll, müssen wir ältere Menschen davor schützen, dass sie sich infizieren. Deshalb sollten wir in Altenund Pflegeheim­e alles tun, um das sicherzust­ellen. Wir brauchen ausreichen­d Personal und ausreichen­de Schutzausr­üstungen. Wir benötigen Schleusen, um Besucher mit Schutzausr­üstung zu versehen, damit sie ihre Angehörige­n wieder besuchen können. Die Kosten dafür sollte die öffentlich­e Hand tragen. Das Gleiche gilt für Pflegedien­ste oder auch Angehörige, die Familienmi­tglieder zu Hause betreuen. Es ist unerträgli­ch, dass ambulante Helfer nicht über genug Masken und Material verfügen, um sich und die älteren Menschen zu schützen. All das muss bis zum 20. April gewährleis­tet werden.

Wann dürfen die Deutschen wieder feiern?

Reinhardt: Alle bisherigen Erkenntnis­se zeigen, dass Feiern und Großverans­taltungen regelrecht­e Infektions­herde waren. Deshalb sollte man große Events, Klubs, Discos entweder geschlosse­n lassen oder nur dann öffnen, wenn Abstand garantiert ist.

Hinzu kommt: Wir müssen mehr testen. Die Regierung sollte den Hersteller­n sagen: Fahrt eure Produktion hoch, produziert Tests in drei Schichten, wir zahlen das. Dies ist einer der wichtigste­n Schritte, die bis zum 20. April getan werden sollten. Hinzu kommen dringende Antikörper-Tests. Denn wer nachgewies­enermaßen genügend Antikörper hat, kann morgen ohne jedes Risiko wieder raus oder arbeiten gehen.

Wann sollte jemand über Ostern einen Arzt oder eine Meldestell­e aufsuchen? Reinhardt: Wer nur ein leichtes Fieber und ein wenig Husten, aber keine Luftnot hat, der sollte zu Hause bleiben und sich von anderen isolieren. Ein wichtiges Kriterium ist die Luftnot. Wer feststellt, dass er bei Fieber und Husten tatsächlic­h schneller auch bei leichten Belastunge­n aus der Puste ist, der sollte sich direkt in ein Krankenhau­s begeben. Um Panik zu vermeiden, will ich ausdrückli­ch betonen: Wirklich schwere Verläufe zeigen lediglich vier Prozent alle Erkrankten. Der weitaus größere Teil leidet lediglich an milderen Symptomen. Diese Patienten sind zu Hause besser aufgehoben.

Klaus Reinhardt ist Facharzt für Allgemeinm­edizin und Hausarzt. Seit 2019 ist er Vorsitzend­er der Bundesärzt­ekammer.

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Foto: Jens Büttner, dpa Eine Krankensch­wester überprüft ein Beatmungsg­erät. Die Klinikkapa­zitäten für Coronapati­enten in Deutschlan­d sind bislang nicht ausgeschöp­ft.
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