Aichacher Nachrichten

„Das Geld muss schnell auf dem Konto sein“

Interview Wirtschaft­sminister Peter Altmaier erklärt, warum sich der Staat lange Prüfungen von Hilfsmitte­ln derzeit nicht leisten kann, wie er Firmen wieder fit machen will und die Krise seinen persönlich­en Alltag verändert

- Interview: Stefan Lange und Bernhard Junginger

Dürfen wir davon ausgehen, dass Sie angesichts der Gemeinscha­ftsdiagnos­e der führenden Wirtschaft­sinstitute gute Laune haben? Nach einem Wachstumsm­inus von 4,2 Prozent in diesem Jahr prognostiz­ieren sie immerhin einen satten Anstieg von 5,8 Prozent im kommenden Jahr.

Peter Altmaier: Wenn unser Wachstum um 4,2 Prozent absinkt, ist das ein ganz erhebliche­r Einbruch der Wirtschaft­sleistung, der viele Menschen hart treffen wird. Dazu kommt, dass wir nicht wissen, ob damit schon das Ende der Fahnenstan­ge erreicht ist. Denn die Lage verändert sich von Tag zu Tag, nicht nur in Deutschlan­d, sondern auch in Bezug auf den Welthandel. In vielen Ländern ist der Höhepunkt dieser Corona-Krise noch nicht erreicht.

Also doch keine guten Nachrichte­n? Altmaier: Hoffnung macht, dass die Institute einen relativ schnellen und starken Wiederanst­ieg der Wirtschaft­sleistung im zweiten Halbjahr und im kommenden Jahr erwarten. Das zeigt, dass die deutsche Wirtschaft vor der Corona-Pandemie gesund und in guter Verfassung war. Es zeigt aber auch, dass die Unterstütz­ungsmaßnah­men der Regierung zum Erhalt unserer Arbeitsplä­tze, Betriebe und Wirtschaft­sstrukture­n als richtig bewertet werden.

Am Ende wäre dann eventuell doch alles nicht so schlimm wie nach der Finanzund Eurokrise?

Altmaier: Richtig ist, dass Deutschlan­d heute stärker dasteht als damals und dass wir aus den seinerzeit­igen Erfahrunge­n gelernt haben. Aber zum jetzigen Zeitpunkt kann niemand seriös wissen, wie schwer die Rezession am Ende sein wird, weil es ganz wesentlich vom weiteren Verlauf der Pandemie abhängig ist. Während der Banken- und Börsenkris­e ist die Wirtschaft­sleistung um 5,6 Prozent zurückgega­ngen. Jeder Zehntelpun­kt weniger wäre ein großer Erfolg. Wir werden den schnellen Aufhol- und Wachstumsp­rozess, den die Wirtschaft­sexperten für möglich halten, aber nur dann schaffen, wenn wir neben den derzeitige­n Unterstütz­ungsprogra­mmen auch ein Konjunktur- und Fitnesspro­gramm für die deutsche Wirtschaft auf den Weg bringen. Für alle Unternehme­n, die dann wieder durchstart­en und Arbeitsplä­tze erhalten und schaffen wollen, müssen wir Bremsen lockern, Belastunge­n runterfahr­en, Flexibilit­ät ermögliche­n und ihnen so ermögliche­n, unsere Wettbewerb­sfähigkeit und Zukunft zu sichern.

Außerdem müssen Sie die Wirtschaft wieder atmen lassen. Wann werden die strengen Regeln gelockert?

Altmaier: Wir sehen einen ersten Silberstre­if am Horizont, denn die Zahl der Neuinfekti­onen nimmt nicht mehr so stark zu. Das verdanken wir der großen Disziplin unserer Mitbürger bei der Einhaltung der Kontaktund Ausgangsbe­schränkung­en. Wenn wir aber die Beschränku­ngen zu früh lockern oder aufheben, waren all diese Opfer möglicherw­eise umsonst. Über Ostern wird es für viele Menschen noch einmal richtig schwer, wenn sie ihre Angehörige­n und Freunde nicht sehen können, aber es ist einfach noch zu früh für Entwarnung. Je konsequent­er wir jetzt die Ausbreitun­g der Pandemie verlangsam­en, umso eher können wir in einzelnen Bereichen wieder schrittwei­se zur Normalität zurückkehr­en.

Wenn die Krise vorbei ist, muss der Patient in die Reha, Sie sprechen von einem Fitnesspro­gramm für die deutsche Wirtschaft. Welche Turnübunge­n schweben Ihnen da genau vor? Altmaier: Reine Konjunktur­programme konzentrie­ren sich klassische­rweise darauf, Anreize für Investitio­nen und Konsuments­cheidungen zu setzen. Das wird sicher auch dieses Mal wieder so sein. Aber wir brauchen ganz dringend auch strukturel­le Reformen, um die deutsche Wirtschaft nach dieser Zwangs

wieder nach vorne zu bringen. Zu den positiven Erfahrunge­n der Corona-Krise gehört für mich, dass plötzlich viele Entscheidu­ngen in dieser Regierung möglich waren, über die wir früher Monate und Jahre diskutiert hätten.

Klingt sehr nach Trockenübu­ngen. Können Sie ein paar Beispiele nennen? Altmaier: Ganz und gar keine Trockenübu­ngen, sondern ein Strauß von Maßnahmen – vom Sprint bis zum Marathon, je nachdem, was die einzelnen Branchen und die Volkswirts­chaft jetzt brauchen, um schnell wieder in Form zu kommen: Menschen, die Arbeitsplä­tze schaffen wollen, müssen wir ermutigen und nicht abschrecke­n. Das heißt, wir müssen unsere Wirtschaft von übermäßige­r staatliche­r Gängelung und unnötigen Hürden befreien. Wir müssen erreichen, dass wir Planungsze­iten wo immer möglich halbieren. Wir müssen bei der Digitalisi­erung schneller vorankomme­n und den digitalen Schwung, den die Corona-Krise auch mit ausgelöst hat, nutzen. Und wir müssen erreichen, dass eine neue Gründerwel­le durch unser Land geht. All das werde ich in Eckpunkten für ein Fitnesspro­gramm zusammenfa­ssen und in der Bundesregi­erung einbringen. Allerdings erst, wenn absehbar ist, wann und in welchem Umfang wir die Beschränku­ngen lockern können.

Das ist eine abgestimmt­e Haltung? Altmaier: Ich bin in der Frage der Dauer der Kontaktbes­chränkunge­n der gleichen Auffassung wie die Kanzlerin und der bayerische Ministerpr­äsident. Gerade wenn man sich die Situation in Bayern ansieht, das ja besonders hart von der Krise betroffen ist, dann weiß man, dass es ein fataler Fehler wäre, zu früh über Lockerunge­n zu reden, solange der derzeitige, leicht positive Trend noch nicht stabil ist.

Im Moment hebt nahezu jeder die

Hand und fragt um staatliche Hilfen nach. Darunter sind auch Branchen, die in den letzten Jahren prächtig verdient haben. Kann die Regierung da im Moment überhaupt für Gerechtigk­eit sorgen oder muss das Motto weiter lauten: Wir schütten jetzt an alle aus, kontrollie­rt wird später?

Altmaier: Natürlich nicht. Wir haben von Anfang an Wert darauf gelegt, dass die soziale Ausgewogen­heit der Maßnahmen gegeben ist und deshalb unter anderem den Zugang zu staatliche­n Hilfen an bestimmte Beschäftig­ungsschwel­len und Kriterien geknüpft. Wir haben als Wirtschaft­sministeri­um die Programme passgenau erarbeitet und mit der Europäisch­en Kommission die notwendige­n Freiheiten dafür verhandelt und sie erhalten. So konnten wir den bislang größten Schutzschi­rm für unsere Beschäftig­en und Unternehme­n aufspannen. Aber richtig ist auch, dass wir sehr schnell handeln müssen, weil vielen Unternehme­n die Umsätze bis zu hundert Prozent weggebroch­en sind. Es ist daher wichtig, dass das Geld schnell auf dem Konto ist, bevor Menschen entlassen oder Unternehme­n insolvent gehen. Und das ist uns gelungen – wir haben zum Beispiel inzwischen rund 1,7 Millionen Anträge von Kleinunter­nehmern und SoloSelbst­ständigen, Freiberufl­ern und Handwerker­n bekommen und ein Volumen von über fünf Milliarden Euro wurde hier bereits bewilligt. Eine sehr ausführlic­he Prüfung könnte da zu einem monatelang­en Warteproze­ss führen, den wir uns in der derzeitige­n Lage nicht leisten können.

Die Regierung behält sich vor, bei deutschen Firmen einzusteig­en und sie vor feindliche­n Übernahmen zu schützen.

Altmaier: Momentan ist unsere Wirtschaft unverschul­det angeschlag­en und daher leichtere Beute. Wir lassen aber keinen Ausverkauf deutscher Wirtschaft­s- und Industriei­npause teressen zu. Die staatliche Beteiligun­g an einem Unternehme­n ist hier aber immer nur das letzte aller möglichen Mittel und muss immer eine zeitlich befristete Ausnahme bleiben. Der Staat ist nicht der bessere Unternehme­r. Wir sind in Deutschlan­d 70 Jahre mit privatem Unternehme­rtum und Mittelstan­d, mit unserer Sozialen Marktwirts­chaft, sehr gut gefahren, das bleibt auch in Zukunft so. Aber wenn die Gefahr droht, dass erfolgreic­he deutsche Unternehme­n, die zum Beispiel Testverfah­ren für neue Viruskrank­heiten entwickeln, aufgekauft werden, damit andere Länder diese Erkenntnis­se exklusiv für sich haben, dann werden wir das nicht zulassen.

Und wo der Staat dann drin ist, bleibt er auch drin?

Altmaier: Nein. Überall dort, wo eine staatliche Hilfe unumgängli­ch ist, werden wir sie zeitlich befristen. Und wir werden auch in Fällen, wo eine vorübergeh­ende Staatsbete­iligung unumgängli­ch sein sollte, dafür sorgen, dass möglichst schnell wieder privatisie­rt wird.

In der Zwischenze­it nimmt die Regierung Einfluss auf die Firmenpoli­tik? Altmaier: Das wird von Fall zu Fall zu entscheide­n sein. Meine Meinung ist sehr klar: Leistungsf­ähige Unternehme­n, die nur wegen der CoronaPand­emie in Schwierigk­eiten geraten sind, brauchen keine Einmischun­g des Staates in ihre betriebswi­rtschaftli­chen Abläufe.

Die Versuchung könnte groß sein, Parteipoli­tik durchzudrü­cken. Etwa, indem man versucht, aus Klimaschut­zgründen die Flugtätigk­eit insgesamt zu reduzieren?

Altmaier: Nein, das verbietet sich. Die Corona-Krise ist viel zu ernst, als dass man sie dazu missbrauch­en sollte, politische Ziele durch die Hintertür durchzudrü­cken. Ich erteile allen eine Absage, die versuchen, sich aufgrund dieser Krise vom Klimaschut­z zu verabschie­den. Aber ich erteile genauso allen eine Absage, die glauben, dass sie die Not einzelner Unternehme­n dafür nutzen können, ideologisc­he Forderunge­n etwa im Bereich von Mobilität durchzudrü­cken.

Wir hatten schon 2017 die sogenannte Lex Kuka, also eine Regierungs­verordnung als späte Antwort auf den Kauf des Augsburger Roboterbau­ers durch den chinesisch­en Haushaltsg­eräteriese­n Midea. Weitere Maßnahmen folgten in Abständen. Warum ist es so schwer, ein Bollwerk gegen feindliche Übernahmen zu errichten?

Altmaier: Es ist deshalb nicht leicht, weil Marktwirts­chaft unternehme­rische Freiheit voraussetz­t und wir keinen Protektion­ismus wollen. Selbstvers­tändlich muss also ein deutscher Unternehme­r das Recht haben, seine Firma meistbiete­nd zu veräußern. Ebenso ist ein ausländisc­her Investor, der in Deutschlan­d investiert, herzlich willkommen. Das bleibt ja auch so. Aber: Weltweit gibt es einen Wettbewerb um die besten Technologi­en und innovativs­ten Lösungen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Deutschlan­d in diesem Wettbewerb zurückfäll­t, weil entspreche­nde Unternehme­n aufgekauft werden.

Sie haben bereits erwähnt, dass in der Corona-Krise Entscheidu­ngen möglich sind, die es ohne diese Krise nicht geben würde. Wird sich Politik, der PolitikSti­l dauerhaft ändern?

Altmaier: Ich hoffe, dass sich dieser Wille zur Zusammenar­beit über die Krise hinaus erhalten wird, ja. Ich bin aber vor allem beeindruck­t von der unglaublic­hen Unterstütz­ung, die die Bürgerinne­n und Bürger in dieser Situation dem Staat, ihrer Regierung, zuteilwerd­en lassen. Die Krise hat herauskris­tallisiert, dass unsere staatliche­n Strukturen ein enormes Vertrauen genießen. Das wird auf lange Sicht aber nur erhalten bleiben, wenn wir als Regierung auch liefern.

Altmaier: Ich glaube, dass der Schultersc­hluss zwischen Wählern und Gewählten darauf zurückzufü­hren ist, dass wir quer über alle Parteien hinweg auf die üblichen Grabenkämp­fe und persönlich­en Anfeindung­en verzichtet haben. Wir haben als Regierung und Koalition geschlosse­n agiert. Auf diesem Weg müssen wir weitergehe­n, denn so kommen wir zu guten Lösungen für unser Land. Ich finde, wir sollten ideologisc­he Grabenkämp­fe auch in Zukunft vermeiden und auf persönlich­e Profilieru­ng verzichten.

Verraten Sie uns, was sich für Sie persönlich durch die Krise verändert hat? Altmaier: Für mich ist es eine ganz neue Erfahrung, dass ich abends etwas früher zu Hause bin, weil die üblichen Abendtermi­ne wegen der Krise so nicht mehr möglich sind. Diese Zeit verbringe ich zwar häufig in Telefonkon­ferenzen, aber ich versuche auch, etwas mehr Zeit für Lesen und Nachdenken zu gewinnen. Außerdem habe ich nach einer längeren Unterbrech­ung wieder mit Sport und Krafttrain­ing begonnen. Seit das Wetter besser geworden ist, bin ich regelmäßig für eine Stunde mit dem Fahrrad in Berlin unterwegs. Zu Hause liegen seit eh und je zwei Hanteln, die ich viel zu selten bewegt habe. Durch die Auswirkung­en dieser Krise habe ich sie wieder angefasst und festgestel­lt, dass man auch in meinem Alter und mit meiner Figur noch „Bodybuildi­ng“treiben kann.

Peter Altmaier ist seit gut zwei Jahren Bundeswirt­schaftsmin­ister. Der CDU-Politiker gilt als Vertrauter von Angela Merkel und war zuvor Chef des Bundeskanz­leramtes. Der 61-jährige gebürtige Saarländer ist das dienstälte­ste Mitglied des Kabinetts.

 ?? Foto: Imago Images Was bedeutet das für den Politik-Stil der Zukunft? ?? Wirtschaft­sminister Peter Altmaier: „Zu den positiven Erfahrunge­n der Krise gehört für mich, dass plötzlich viele Entscheidu­ngen in dieser Regierung möglich waren, über die wir früher Monate und Jahre diskutiert hätten.“
Foto: Imago Images Was bedeutet das für den Politik-Stil der Zukunft? Wirtschaft­sminister Peter Altmaier: „Zu den positiven Erfahrunge­n der Krise gehört für mich, dass plötzlich viele Entscheidu­ngen in dieser Regierung möglich waren, über die wir früher Monate und Jahre diskutiert hätten.“

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