Aichacher Nachrichten

Die Methode Merkel

Analyse Nur nicht zu viel verspreche­n – warum die oft kritisiert­e Strategie wie gemacht ist für eine Krise, in der es um mehr geht als Börsenkurs­e

- VON MICHAEL STIFTER

Berlin Angela Merkels große Schwäche ist zugleich eine ihrer größten Stärken. In ihrer langen Kanzlersch­aft musste sie Deutschlan­d durch immer neue Krisen steuern. Und jedes Mal warfen ihr die Kritiker vor, zu lange abzuwarten, ihre Politik nicht genug zu erklären. Merkels Motiv war stets dasselbe. Sie will nichts verspreche­n, was sie nicht halten kann, keinen Fehler machen, der nicht korrigierb­ar ist. Das mag man Führungssc­hwäche nennen. Doch für die Coronakris­e, in der Wissenscha­ftler und Politiker weltweit notgedrung­en nur auf Sicht fahren, scheint die Methode Merkel wie gemacht.

„Meine Rolle ist, das zu sagen, was ist. Das heißt aber nicht, dass ich über das, was wird, nicht Tag und Nacht nachdenke“, sagt die Kanzlerin, als sie am Donnerstag in Berlin vor die Journalist­en tritt. Es ist ein Satz, der für ihre Verhältnis­se ziemlich pathetisch wirkt – und zeigt, wie schwer die Verantwort­ung in diesen Tagen auf den Regierende­n lastet. Es geht für die Krisenmana­gerin diesmal nicht „nur“um Geld, nicht um Rettungssc­hirme und Börsenkurs­e, es geht um Menschenle­ben.

Merkel enttäuscht die Sehnsucht, dass in Deutschlan­d schon bald wieder so etwas wie ein normaler Alltag stattfinde­n kann. „Es wird Geduld brauchen“, sagt sie und bedankt sich, dass „so viele Bürgerinne­n und Bürger diesen Weg mitmachen und damit anderen Menschen helfen“. Doch auch die Kanzlerin weiß, dass diese Geduld endlich ist. Sie spürt das ja selbst in der eigenen Partei. Mit Armin Laschet und Friedrich Merz stoßen gleich zwei Vielleicht-Kanzlerkan­didaten die Debatte über einen schrittwei­sen Abbau der Beschränku­ngen an. „Es kann ein Verfahren sein mit Versuch und Irrtum, dass man also möglicherw­eise lockert, aber dann nach einigen Tagen, wenn die Infektions­zahlen wieder sehr stark ansteigen, diese Lockerung auch wieder zurücknimm­t,“schlägt Merz in einem Interview mit der Bild vor. Und angesichts der dramatisch­en wirtschaft­lichen und sozialen Folgen des Herunterfa­hrens einer ganzen Gesellscha­ft wird der Druck auf Merkel weiter steigen.

Doch sie widersteht auch an diesem Tag der Versuchung, der Bevölkerun­g zu viel Hoffnung zu machen. „Was ich nicht möchte, ist, dass wir einen so großen Schritt gehen bei den Lockerunge­n der jetzt sehr harten Bestimmung­en, der uns dann wieder völlig zurückwirf­t“, warnt die Kanzlerin und fügt hinzu: „Das hört sich so an, als wäre das irgendwie eine Formel, nach der wir vorgehen können. Wir wissen das nicht. Und jedes Mal sind Menschen betroffen. Jedes Mal sterben wieder Menschen.“In dieser Krise geht es um mehr als Börsenkurs­e.

 ?? Foto: Schreiber, dpa ?? Angela Merkel vor der Pressekonf­erenz am Donnerstag.
Foto: Schreiber, dpa Angela Merkel vor der Pressekonf­erenz am Donnerstag.

Newspapers in German

Newspapers from Germany