Die Methode Merkel
Analyse Nur nicht zu viel versprechen – warum die oft kritisierte Strategie wie gemacht ist für eine Krise, in der es um mehr geht als Börsenkurse
Berlin Angela Merkels große Schwäche ist zugleich eine ihrer größten Stärken. In ihrer langen Kanzlerschaft musste sie Deutschland durch immer neue Krisen steuern. Und jedes Mal warfen ihr die Kritiker vor, zu lange abzuwarten, ihre Politik nicht genug zu erklären. Merkels Motiv war stets dasselbe. Sie will nichts versprechen, was sie nicht halten kann, keinen Fehler machen, der nicht korrigierbar ist. Das mag man Führungsschwäche nennen. Doch für die Coronakrise, in der Wissenschaftler und Politiker weltweit notgedrungen nur auf Sicht fahren, scheint die Methode Merkel wie gemacht.
„Meine Rolle ist, das zu sagen, was ist. Das heißt aber nicht, dass ich über das, was wird, nicht Tag und Nacht nachdenke“, sagt die Kanzlerin, als sie am Donnerstag in Berlin vor die Journalisten tritt. Es ist ein Satz, der für ihre Verhältnisse ziemlich pathetisch wirkt – und zeigt, wie schwer die Verantwortung in diesen Tagen auf den Regierenden lastet. Es geht für die Krisenmanagerin diesmal nicht „nur“um Geld, nicht um Rettungsschirme und Börsenkurse, es geht um Menschenleben.
Merkel enttäuscht die Sehnsucht, dass in Deutschland schon bald wieder so etwas wie ein normaler Alltag stattfinden kann. „Es wird Geduld brauchen“, sagt sie und bedankt sich, dass „so viele Bürgerinnen und Bürger diesen Weg mitmachen und damit anderen Menschen helfen“. Doch auch die Kanzlerin weiß, dass diese Geduld endlich ist. Sie spürt das ja selbst in der eigenen Partei. Mit Armin Laschet und Friedrich Merz stoßen gleich zwei Vielleicht-Kanzlerkandidaten die Debatte über einen schrittweisen Abbau der Beschränkungen an. „Es kann ein Verfahren sein mit Versuch und Irrtum, dass man also möglicherweise lockert, aber dann nach einigen Tagen, wenn die Infektionszahlen wieder sehr stark ansteigen, diese Lockerung auch wieder zurücknimmt,“schlägt Merz in einem Interview mit der Bild vor. Und angesichts der dramatischen wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Herunterfahrens einer ganzen Gesellschaft wird der Druck auf Merkel weiter steigen.
Doch sie widersteht auch an diesem Tag der Versuchung, der Bevölkerung zu viel Hoffnung zu machen. „Was ich nicht möchte, ist, dass wir einen so großen Schritt gehen bei den Lockerungen der jetzt sehr harten Bestimmungen, der uns dann wieder völlig zurückwirft“, warnt die Kanzlerin und fügt hinzu: „Das hört sich so an, als wäre das irgendwie eine Formel, nach der wir vorgehen können. Wir wissen das nicht. Und jedes Mal sind Menschen betroffen. Jedes Mal sterben wieder Menschen.“In dieser Krise geht es um mehr als Börsenkurse.