Weniger Arbeitsschutz
Arbeit 60-Stunden-Woche und weniger Pausen: DGB-Chef Hoffmann kritisiert Regierung. Linke spricht von „fahrlässiger Körperverletzung“
Berlin Die Lockerung des Arbeitszeitgesetzes für Menschen in systemrelevanten Berufen in der Coronavirus-Krise durch eine Verordnung von SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil stößt auf scharfe Kritik von Gewerkschaften und der Linken. „Änderungen am Arbeitszeitgesetz sind nicht mit der Corona-Pandemie zu rechtfertigen“, sagt DGB-Chef Reiner Hoffmann auf Anfrage unserer Redaktion. „Bereits heute arbeiten viele Menschen am Limit, sei es in der Pflege, im Gesundheitswesen, im Lebensmitteleinzelhandel, den Rettungsdiensten, bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben oder der Polizei. Ihre Gesundheit gilt es zu schützen, gerade in Zeiten, in denen sie einen so wichtigen Job für die Gesellschaft machen.“
Laut der Verordnung sind ab Karfreitag für einen befristeten Zeitraum bis 30. Juni 2020 Ausnahmen von den Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes zugelassen. Dabei geht es um längere Höchstarbeitszeiten, gelockerte Mindestruhezeiten sowie Ausnahmen vom Beschäftigungsverbot an Sonn- und Feiertagen für bestimmte Berufe die in der
Coronavirus-Krise als systemrelevant gelten. Die werktägliche Arbeitszeit kann auf bis zu zwölf Stunden verlängert werden, die wöchentliche Arbeitszeit in dringlichen Ausnahmen sogar 60 Stunden noch überschreiten.
Zu den betroffenen Berufen gehören der Verordnung zufolge Gesundheitsund Pflegebereich inklusive der Apotheken, Handel und Logistik für Waren des täglichen Bedarfs, Polizei, Rettungsdienste und Feuerwehren, Landwirtschaft, Verpackungsbranche, Müllabfuhr, Geldtransporte, Energie- und Wasserversorger sowie die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit von Datennetzen und Rechnersystemen.
Die stellvertretende Fraktionschefin der Linken Susanne Ferschl kritisiert den SPD-Arbeitsminister scharf: „Der Inhalt dieser Verordnung grenzt an fahrlässige Körperverletzung“, sagte sie. „Es ist inakzeptabel, dass die Arbeitszeit von Beschäftigten, die täglich für uns ihre Gesundheit riskieren und schon an der Überlastungsgrenze arbeiten, jetzt auch noch verlängert werden soll“, betont sie.
Ferschl empfiehlt den Beschäftigten, keine Änderungen des Arbeitsvertrages zu unterschreiben und sich bei angeordneten Verlängerungen der Arbeitszeit an die Gewerkschaften zu wenden.
Scharf kritisiert die Kaufbeurer Linken-Abgeordnete fehlende Dokumentationspflichten zum Nachteil der Arbeitnehmer: „Hier versucht ein SPD-Arbeitsminister die Schutzfunktion des Arbeitszeitgesetzes außer Kraft zu setzen, sorgt aber nach wie vor nicht dafür, dass die Arbeitszeiten zwingend erfasst werden“, betont sie. „Damit wird die Büchse der Pandora für eine generelle Ausweitung der Arbeitszeit geöffnet.“Sie fordert eine dauerhafte qualitative und finanzielle Aufwertung der nun als systemrelevant eingestuften Berufe. Ferschl bezweifelte zugleich die Rechtsgültigkeit der Verordnung in tarifgebundenen Beschäftigungsverhältnissen.
Auch DGB-Chef Hoffmann mahnt, die Mitbestimmungsrechte der Betriebs- und Personalräte zu wahren. „Dort, wo es tarifvertragliche Regelungen gibt, gelten sie auch weiter“, betonte er. „Ich appelliere an die Arbeitgeber, den Rechtsrahmen nicht zu missbrauchen“, sagte Hoffmann. Bevor Arbeitszeiten verlängert würden, sollten andere personalwirtschaftliche Maßnahmen ergriffen werden, betonte er.