Sonst Hauptverdiener, jetzt Haushalt
Shutdown Die Bildhauerin Esther Irina Pschibul hat zwei Jahre für eine Ausstellung gearbeitet, die nun nicht zu sehen ist. Jörg Schur hat ein Stück inszeniert, das nun nicht gespielt wird… Was die Krise mit Künstlern und Kreativen macht
Mit so etwas war nicht zu rechnen: Zwei Jahre lang hat sich die Bildhauerein Esther Irina Pschibul, 45, auf ihre große Ausstellung im Textilund Industriemuseum in Augsburg vorbereitet; die letzten drei Monate vor dem Eröffnungstermin war sie rund um die Uhr damit beschäftigt. Es gelang eine Punktlandung, einen Tag vor der Vernissage war alles aufgebaut. Dann setzte das Bangen ein: Würde die Eröffnung stattfinden? Den Presserundgang gab es vormittags am 12. März, die Vernissage am Abend wurde wegen der Corona-Krise dann aber kurzfristig abgesagt, zu sehen war die Sonderausstellung bislang nicht. „Das hat mich knallhart getroffen“, sagt die Künstlerin, die in Augsburg ihr Atelier hat und in Fischach lebt.
Seitdem befindet sie sich in einer kreativen Pause. Die finanziellen Auswirkungen halten sich noch in Grenzen, Pschibul ist aber von einem Tag auf den anderen in einen komplett anderen Modus versetzt und erst einmal auch abgeschnitten worden von dem, was sie in den beiden Jahren geschaffen hat. So viel Arbeit – und nichts davon ist jetzt zu sehen.
Eine ähnliche Erfahrung macht gerade der Augsburger Musiker Christian Elin, 44. Im Februar hat er
neues Album „Mittsommernacht“vorgestellt, das der Saxofonist und Bassklarinettist gemeinsam mit dem Pianisten Maruan Sakas eingespielt hat. „Diese Nachricht ist im Angesicht von Corona komplett verpufft“, sagt Elin. Drei Jahre künstlerische Arbeit stecken darin, für die sich im Augenblick kaum jemand interessiert. „Das tut weh.“
Hinzu kommen die Auftritte, die abgesagt worden sind und ihn auch finanziell treffen. „Das waren bislang zehn bis zwölf Konzerte“, sagt er. Wenn sich der Zeitraum, in dem Konzerte verboten sind, auch auf den Sommer ausweitet, wird es schlimmer. Dadurch, dass er immer noch mit Videotelefonie seine Musikschüler unterrichten kann, fehlen ihm jetzt nicht alle Einnahmen. „Anderen geht es gerade noch schlimmer.“Als er neulich für ein Geburtstagsständchen gebucht worden war und das erste Mal seit dem Anfang der Corona-Krise in Deutschland wieder vor einem kleinen Publikum spielte, bemerkte er noch etwas, „was die Musik den Menschen gibt, und was sie mir auch gibt“, sagt Elin: „In diesem Augenblick war ich so glücklich.“
Vom Glück des Schauspielers und Regisseurs ist der Augsburger Jörg Schur weit entfernt. Er hatte im Sensemble-Theater noch Dennis Kellys „Waisen“inszeniert, kurz nach der Premiere Anfang März mussten alle weiteren Aufführungen abgesagt werden, wie auch all seine Auftritte als Schauspieler in Augsburg und München abgesagt wurden – ebenso wie die Coaching-Termine und die Workshops, die er sonst anbietet. „Ich war bislang der Hauptverdiener in der Familie“, sagt er. Das hat sich jetzt Coronabedingt komplett geändert. Mit seiner Frau, die halbtags arbeitet, hat er nun die Steuerklassen getauscht. Schur managt jetzt den Haushalt und versorgt die beiden Kinder. Und er macht sich in dieser Situation natürlich Gedanken darüber, wie es weitergeht. „Vielleicht wird in meiner Branche eine Zäsur da sein, Gott sei Dank haben wir noch ein kleines Polster“, sagt er. Kompliziert mache die Situation, dass niemand weiß, wie lange dieser Zustand anhält: „Können wir im Mai, Juni oder Juli wieder spielen?“
Auch den freiberuflichen Sänger Michael Etzel trifft es hart. Er ist frustriert. Eigentlich würde für ihn gerade Hochbetrieb bei den Festspielen in Baden-Baden herrschen – jetzt sitzt er zu Hause vor einem Antrag auf Hartz IV. Für die Sichersein heitsmaßnahmen hat er auch Verständnis. Auch von vielen Veranstaltern erfährt er große Kulanz – die Festspiele zahlen den Musikern noch bis Mitte des Monats ihr volles Honorar, obwohl alles abgesagt wurde. Vom Bund und vom Freistaat Bayern fühlt sich der 34-Jährige aber im Stich gelassen. Denn die Soforthilfen, die auch für Soloselbstständige die Folgen der Krise abmildern sollen, kommen für ihn und zahlreiche seiner Fachkollegen wohl nicht infrage.
Grund dafür ist der Verwendungszweck für die Soforthilfen von Bund und Freistaat Bayern. Diese dürfen laut der zuständigen Ministerien nur für die Deckung von Betriebskosten verwendet werden, etwa für gewerbliche Mieten, Pacht oder Leasingfahrzeuge. Kosten für den privaten Lebensunterhalt wie die Miete der Privatwohnung dürfen davon nicht bezahlt werden – stattdessen hat der Bund die Beantragung von Hartz IV für sechs Monate vereinfacht. So wird etwa auf die Vermögensprüfung verzichtet und die Kosten für die Wohnung werden in voller Höhe übernommen. Für Etzel ist die Aussicht auf Hartz IV eine unbefriedigende Situation. Als freiberuflicher Sänger, der sonst in hochklassigen Chören wie etwa dem des Bayerischen Rundfunks, im Rundfunkchor Berlin oder in Zürich singt, hätte er theoretisch Anspruch auf die Soforthilfen, die finanziell möglicherweise höher ausfielen als Hartz IV und unbürokratischer zu beantragen sind. Praktisch hat er aber weder einen eigens angemieteten Übungsraum noch einen Dienstwagen. Als Büro und Übungsraum dient ein Zimmer in der Augsburger Mietwohnung, in der er zusammen mit seiner Frau und den zwei kleinen Kindern lebt – ob es sich bei einem Anteil seiner Miete um Betriebskosten handelt, konnte ihm bisher niemand beantworten. „Ich wünsche mir, dass die Politik den Mut hat und besser heute als morgen eine Aussage trifft, ob es im Jahr 2020 noch Großveranstaltungen geben wird oder nicht.“Bisher wollen aber weder Kanzlerin Merkel noch Bayerns Ministerpräsident Söder eine Exit-Strategie aus der Corona-Krise bekannt geben.
Die ganze Ungewissheit im Zuge der Corona-Krise erinnert die Bildhauerin Pschibul an ihr künstlerisches Arbeiten: „Man weiß nicht, was am Ende herauskommt, man weiß nur, einen Weg beschreiten zu müssen, von dem unklar ist, wie lange er dauert und wohin er einen führt.“Nun ist die komplette Gesellschaft mit einer solchen Situation konfrontiert, von der niemand sagen kann, wie die Corona-Krise die Welt verändern wird.
Ein hochklassiger Sänger nun mit Aussicht auf Hartz IV