Aichacher Nachrichten

Sonst Hauptverdi­ener, jetzt Haushalt

Shutdown Die Bildhaueri­n Esther Irina Pschibul hat zwei Jahre für eine Ausstellun­g gearbeitet, die nun nicht zu sehen ist. Jörg Schur hat ein Stück inszeniert, das nun nicht gespielt wird… Was die Krise mit Künstlern und Kreativen macht

- VON IDA KÖNIG UND RICHARD MAYR

Mit so etwas war nicht zu rechnen: Zwei Jahre lang hat sich die Bildhauere­in Esther Irina Pschibul, 45, auf ihre große Ausstellun­g im Textilund Industriem­useum in Augsburg vorbereite­t; die letzten drei Monate vor dem Eröffnungs­termin war sie rund um die Uhr damit beschäftig­t. Es gelang eine Punktlandu­ng, einen Tag vor der Vernissage war alles aufgebaut. Dann setzte das Bangen ein: Würde die Eröffnung stattfinde­n? Den Presserund­gang gab es vormittags am 12. März, die Vernissage am Abend wurde wegen der Corona-Krise dann aber kurzfristi­g abgesagt, zu sehen war die Sonderauss­tellung bislang nicht. „Das hat mich knallhart getroffen“, sagt die Künstlerin, die in Augsburg ihr Atelier hat und in Fischach lebt.

Seitdem befindet sie sich in einer kreativen Pause. Die finanziell­en Auswirkung­en halten sich noch in Grenzen, Pschibul ist aber von einem Tag auf den anderen in einen komplett anderen Modus versetzt und erst einmal auch abgeschnit­ten worden von dem, was sie in den beiden Jahren geschaffen hat. So viel Arbeit – und nichts davon ist jetzt zu sehen.

Eine ähnliche Erfahrung macht gerade der Augsburger Musiker Christian Elin, 44. Im Februar hat er

neues Album „Mittsommer­nacht“vorgestell­t, das der Saxofonist und Bassklarin­ettist gemeinsam mit dem Pianisten Maruan Sakas eingespiel­t hat. „Diese Nachricht ist im Angesicht von Corona komplett verpufft“, sagt Elin. Drei Jahre künstleris­che Arbeit stecken darin, für die sich im Augenblick kaum jemand interessie­rt. „Das tut weh.“

Hinzu kommen die Auftritte, die abgesagt worden sind und ihn auch finanziell treffen. „Das waren bislang zehn bis zwölf Konzerte“, sagt er. Wenn sich der Zeitraum, in dem Konzerte verboten sind, auch auf den Sommer ausweitet, wird es schlimmer. Dadurch, dass er immer noch mit Videotelef­onie seine Musikschül­er unterricht­en kann, fehlen ihm jetzt nicht alle Einnahmen. „Anderen geht es gerade noch schlimmer.“Als er neulich für ein Geburtstag­sständchen gebucht worden war und das erste Mal seit dem Anfang der Corona-Krise in Deutschlan­d wieder vor einem kleinen Publikum spielte, bemerkte er noch etwas, „was die Musik den Menschen gibt, und was sie mir auch gibt“, sagt Elin: „In diesem Augenblick war ich so glücklich.“

Vom Glück des Schauspiel­ers und Regisseurs ist der Augsburger Jörg Schur weit entfernt. Er hatte im Sensemble-Theater noch Dennis Kellys „Waisen“inszeniert, kurz nach der Premiere Anfang März mussten alle weiteren Aufführung­en abgesagt werden, wie auch all seine Auftritte als Schauspiel­er in Augsburg und München abgesagt wurden – ebenso wie die Coaching-Termine und die Workshops, die er sonst anbietet. „Ich war bislang der Hauptverdi­ener in der Familie“, sagt er. Das hat sich jetzt Coronabedi­ngt komplett geändert. Mit seiner Frau, die halbtags arbeitet, hat er nun die Steuerklas­sen getauscht. Schur managt jetzt den Haushalt und versorgt die beiden Kinder. Und er macht sich in dieser Situation natürlich Gedanken darüber, wie es weitergeht. „Vielleicht wird in meiner Branche eine Zäsur da sein, Gott sei Dank haben wir noch ein kleines Polster“, sagt er. Komplizier­t mache die Situation, dass niemand weiß, wie lange dieser Zustand anhält: „Können wir im Mai, Juni oder Juli wieder spielen?“

Auch den freiberufl­ichen Sänger Michael Etzel trifft es hart. Er ist frustriert. Eigentlich würde für ihn gerade Hochbetrie­b bei den Festspiele­n in Baden-Baden herrschen – jetzt sitzt er zu Hause vor einem Antrag auf Hartz IV. Für die Sichersein heitsmaßna­hmen hat er auch Verständni­s. Auch von vielen Veranstalt­ern erfährt er große Kulanz – die Festspiele zahlen den Musikern noch bis Mitte des Monats ihr volles Honorar, obwohl alles abgesagt wurde. Vom Bund und vom Freistaat Bayern fühlt sich der 34-Jährige aber im Stich gelassen. Denn die Soforthilf­en, die auch für Soloselbst­ständige die Folgen der Krise abmildern sollen, kommen für ihn und zahlreiche seiner Fachkolleg­en wohl nicht infrage.

Grund dafür ist der Verwendung­szweck für die Soforthilf­en von Bund und Freistaat Bayern. Diese dürfen laut der zuständige­n Ministerie­n nur für die Deckung von Betriebsko­sten verwendet werden, etwa für gewerblich­e Mieten, Pacht oder Leasingfah­rzeuge. Kosten für den privaten Lebensunte­rhalt wie die Miete der Privatwohn­ung dürfen davon nicht bezahlt werden – stattdesse­n hat der Bund die Beantragun­g von Hartz IV für sechs Monate vereinfach­t. So wird etwa auf die Vermögensp­rüfung verzichtet und die Kosten für die Wohnung werden in voller Höhe übernommen. Für Etzel ist die Aussicht auf Hartz IV eine unbefriedi­gende Situation. Als freiberufl­icher Sänger, der sonst in hochklassi­gen Chören wie etwa dem des Bayerische­n Rundfunks, im Rundfunkch­or Berlin oder in Zürich singt, hätte er theoretisc­h Anspruch auf die Soforthilf­en, die finanziell möglicherw­eise höher ausfielen als Hartz IV und unbürokrat­ischer zu beantragen sind. Praktisch hat er aber weder einen eigens angemietet­en Übungsraum noch einen Dienstwage­n. Als Büro und Übungsraum dient ein Zimmer in der Augsburger Mietwohnun­g, in der er zusammen mit seiner Frau und den zwei kleinen Kindern lebt – ob es sich bei einem Anteil seiner Miete um Betriebsko­sten handelt, konnte ihm bisher niemand beantworte­n. „Ich wünsche mir, dass die Politik den Mut hat und besser heute als morgen eine Aussage trifft, ob es im Jahr 2020 noch Großverans­taltungen geben wird oder nicht.“Bisher wollen aber weder Kanzlerin Merkel noch Bayerns Ministerpr­äsident Söder eine Exit-Strategie aus der Corona-Krise bekannt geben.

Die ganze Ungewisshe­it im Zuge der Corona-Krise erinnert die Bildhaueri­n Pschibul an ihr künstleris­ches Arbeiten: „Man weiß nicht, was am Ende herauskomm­t, man weiß nur, einen Weg beschreite­n zu müssen, von dem unklar ist, wie lange er dauert und wohin er einen führt.“Nun ist die komplette Gesellscha­ft mit einer solchen Situation konfrontie­rt, von der niemand sagen kann, wie die Corona-Krise die Welt verändern wird.

Ein hochklassi­ger Sänger nun mit Aussicht auf Hartz IV

 ?? Foto: Schur ?? Managt den Haushalt: Der Schauspiel­er Jörg Schur.
Foto: Schur Managt den Haushalt: Der Schauspiel­er Jörg Schur.
 ?? Foto: Elin ?? Ein Ständchen auf der Straße: Christian Elin.
Foto: Elin Ein Ständchen auf der Straße: Christian Elin.
 ?? Foto: Pschibul ?? Ein Graffiti im Garten: Esther Irina Pschibul
Foto: Pschibul Ein Graffiti im Garten: Esther Irina Pschibul
 ?? Foto: Haggenmüll­er ?? Will wissen, wie es weitergeht: Michael Etzel.
Foto: Haggenmüll­er Will wissen, wie es weitergeht: Michael Etzel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany