Aichacher Nachrichten

Die Scherben des Lebens, Gold gefasst

Interview Nicht nur in Zeiten von Corona: Wie können wir mit einer zerbrechli­chen Wirklichke­it umgehen? Das sagt Martin Knöferl, Leiter der Koordinati­onsstelle für Supervisio­n in der Diözese Augsburg und Künstler

- Interview: Gerlinde Knoller

„Nada te turbe, nada te espante – Nichts beunruhige Dich, nichts ängstige dich.“Herr Knöferl, Sie haben in diesen Tagen ein Foto von einem Ihrer Glas-Kunstwerke mit eben dieser Aussage der heiligen Teresa von Avila als Gruß an Freunde verschickt. Weil Sie darum wissen, wie sehr die Corona-Krise derzeit Menschen beunruhigt?

Martin Knöferl: Sowohl in der Supervisio­n, als Künstler und auch als Person erlebe ich, wie sehr der Mensch verletzbar ist. Wir erfahren gerade, wie die Welt der Illusionen, die Vorstellun­g, dass wir alles im Griff haben, dass alles und auch wir funktionie­ren, gefährdet ist. Wir leben in einer Zeit der Selbstopti­mierung – und sind doch verletzlic­h und vergänglic­h.

Die Wirklichke­it aber ist eine andere, frei von Illusionen. Jeder Mensch erfährt, dass es ein Geschehen gibt, über das wir nicht verfügen können, das wir nicht in der Hand haben. Ein Grund, um zu verzweifel­n?

Knöferl: Nur weil es das „Unverfügba­re“gibt, kann sich für mich auch etwas „Wunderbare­s“ereignen. Es geht für mich darum, wie wir uns auf dieses „Unverfügba­re“einstellen. Dazu gehört bestimmt, die Wirklichke­it der menschlich­en Begrenzthe­it, die Verletzbar­keit, das Gefährdets­ein, das Scheitern und

Misslingen wahrzunehm­en, es nicht zu verdrängen.

In diesen Tagen schicken Menschen einander viele aufmuntern­de „WhatsApp-Nachrichte­n“, humorvolle Bildchen oder Texte. Kann das helfen und aufrichten?

Knöferl: In dieser Zeit der großen Verunsiche­rung ist schon die Frage: Was bestärkt mich? Was gibt mir Halt? Da kann auch eine kleine Handy-Botschaft was bewirken – und wenn es die Ablenkung ist. Auch der Humor kann eine hilfreiche Weise sein, mit der Situation umzugehen. Im Eigentlich­en aber geht es wohl darum, das Vertrauen in sich und das Leben zu bewahren. Das alles kann man sich nicht einfach nur „vornehmen“und „antrainier­en“. Es geschieht in dem wir uns vergewisse­rn, was im eigenen Leben bisher schon gelungen ist und gelingt. Wenn wir das wahrnehmen, werden wir „selbstbewu­sst“im eigentlich­en Sinn des Wortes. Dieses Bewusstsei­n ermutigt uns, uns zu vertrauen. Ich traue mir, sodass ich „mich traue“zu tun, was zu tun und zu lassen, was zu lassen ist. Dabei ist nicht zu verschweig­en, dass auch das tiefste Vertrauen weiter vom Zweifel begleitet wird. Miteinande­r in Kontakt bleiben, die Erfahrung von Freude und Gelingen, in den Blick nehmen und miteinande­r teilen. Im

Wahrnehmen des Gelingens wird uns deutlich, dass es nicht ohne mich geht, dass es aber auch nicht ohne mein Gegenüber Wirklichke­it werden kann. Die Erfahrung des Gelingens erfüllt mich mit Freude und Dankbarkei­t. So bestärken wir uns gegenseiti­g. Für mich als Christ ist an dieser Stelle natürlich auch das Gottvertra­uen, das auch in dem eingangs erwähnten Text von Teresa von Avila beschriebe­n ist, sehr bedeutend.

Eines Ihrer Kunstwerke ist ein Holzkreuz, in seiner Mitte angeordnet sind vergoldete Glasscherb­en – geschaffen mit anderen Menschen, die symbolisch ihre „Scherben“im Leben eingebrach­t haben. Scherben und Gold – ein Paradox?

Knöferl: Jeder Mensch macht die Erfahrung der Zerbrechli­chkeit in seinem Leben – diese brauchen wir nicht verdrängen. Sie ist es, die zum je eigenen Leben gehört, es unverwechs­elbar macht. Das Glas an sich ist ein Paradox. Es ist stabil, tragkräfti­g, kann große Weiten überspanne­n und geht gleichzeit­ig auch ziemlich leicht zu Bruch, es bleiben Scherben. Ein Bild für unser Leben. Über das Gold gebe ich dem Zerbrechli­chen eine Aufmerksam­keit, seinen Wert. Die Scherben werden nicht unter den Teppich gekehrt. Das trifft auch die Aussage vom Karfreitag, wenn Christen im

Kreuz, in Jesus, der sich auch hat „brechen“lassen, unsere Hoffnung sehen. Ich könnte nicht an einen Gott glauben, wenn dieser Jesus nicht auch das Schmerzlic­he, die Zerbrechli­chkeit, die Vergänglic­hkeit, den Tod mit uns teilt. Im Zeichen des Kreuzes erinnern wir, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, dass Jesus auferstand­en ist. „Jesus lebt, mit ihm auch ich“singen Christen an Ostern. Das ist bedeutsam für den Menschen, das gibt Hoffnung.

Sie bezeichnen Ihre künstleris­chen Objekte als „Hoffnungsz­eichen“, arbeiten nicht nur mit oft farbigem Glas, sondern auch mit Holz. Keinem glatten Holz, sondern mit Rissen, Bruchstell­en und Wunden, die Sie oft mit Gold überziehen.

Knöferl: Holz, das ist die Erinnerung an einen Baum, der auch nicht ewig am Leben ist. Da gibt es viele Bäume, die einmal vom Sturm oder anderen Widerfahrn­issen beschädigt, verletzt wurden. Wie das Leben eines Baumes ist auch unser Leben verletzlic­h und vergänglic­h. Es gelingen uns Dinge, aber wir können auch scheitern. Und in all dem Freude, Gelingen, Kraft, Mut, Vertrauen und Hoffnung zu finden, das ist es, was ich mir und allen Menschen wünsche.

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Foto: Knöferl Zeit für Hoffnungsz­eichen von Martin Knöferl (*1961) aus Hörzhausen.

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